361 Über Wettbewerbe und Interpretation
Bücher von Reinhold Urmetzer in Nr.282
Lieber Rafael Vélez,
Ich habe den Klavier-Wettbewerb in Sydney, an dem Du diesen Sommer teilgenommen hast, über YouTube live sehr gut mitverfolgen können. Nicht nur hat mich Dein Spiel interessiert – Du weißt, dass ich im Allgemeinen ein großer Fan Deiner Interpretationskunst bin. Sondern auch die Struktur des Wettbewerbs, was ist ausschlaggebend, warum gewinnt diese Person und nicht eine andere. Es ist gewiss keine Schande, wenn du bei Wettbewerben nicht den ersten Preis erhältst. Immerhin bist du zugelassen, eingeladen, gehörst zu einer kleinen Gruppe von Auserwählten, die dankbar dafür sein müssen, dass sie zu dieser Olympiade der Welt-Pianisten eingeladen worden sind.
Wettbewerbe sind so gut, wie es die Juroren sind, die dafür ausgewählt wurden. Und die wiederum von anderen Juroren eingeladen worden sind. Diese Juroren sind alle so gut, wie sie von den Veranstaltern oder Organisatoren ausgewählt werden. D.h. jedes Wettbewerbsergebnis ist relativ auf auf den Geschmack der Juroren, ihre Zeit, Alter, Lebensform etc. Das bedeutet auch: jeder Wettbewerb ist relativ, subjektiv, und selbst die angesehensten sind es meiner Meinung nach manchmal nicht wert, dass man auch nur eine Zeile über sie schreibt. Dennoch fühle ich mich jetzt von Dir aufgefordert, weil du in Sydney mitgemacht hast, einen solchen Klavier-Wettbewerb als Feedback zu untersuchen und zu beschreiben. *
Ich habe sehr schnell feststellen können, dass die Wettbewerbs-Jury sich auch in diesem Wettbewerb von zwei Punkten wieder hat blenden lassen: Erstens die technische Perfektion der Interpreten, ob das Noten-Bild genau und richtig wiedergegeben wird. Zweitens und relativ neu von der Fähigkeit der Wettbewerbs-Teilnehmer zur gestischen Interpretation, ob die Körpersprache auch entsprechend der Musik eingesetzt wird. Ich als Komponist lege auf den ersten Punkt überhaupt keinen Wert. Ob meine Musik jetzt perfekt, perfektissimo oder mittelmäßig gespielt, also realisiert wird, ist mir egal, wenn nur eine mich ansprechende Interpretation vom Spieler gefunden wird und auch eine mir entsprechende Musikalität vorhanden ist. Bei mir heißt das auch: die “Sprache des Herzens” muß hörbar, fühlbar werden. Das bedeutet: dass man meine Musikprache spricht, also trifft, mich interpretiert. Im Winterlied 3 mit Frazan Kotwal hast Du mich auf einen einzigen wichtigen Ton aufmerksam gemacht, der in Takt 132 Unterstimme Klavier fehlen würde.Das war richtig und gut so. Nicht wegen der Perfektion der Struktur, sondern wegen der musikalischen Botschaft. Genauso, wie ich es gefühlt habe.
Welche das ist, das frage mich besser nicht.
Das ist die eine Seite, die technische Seite der Interpretations-Kunst. Diese Kunst wird unterstützt durch die emotionale Gestik, die Körpersprache. Mit der Gestik kann sehr viel ausgedrückt werden. Aber gerade dieser Punkt scheint bei Wettbewerben allgemein, auch in Sydney, insgesamt und überall noch sehr verbesserungswürdig.
Am Anfang und im Mittelpunkt dieser negativen Show-Entwicklung im 19.Jahrhundert stand mehr noch als der Geiger Paganini m.E. Franz Liszt. Wie so viele andere ehrgeizige Interpreten bist auch Du ein Opfer seines Meisterspiel-Wahns geworden, zum Beispiel wie Du Liszts „Wilde Jagd“ interpretiert hast, ein richtiger Hexentanz. Was für ein überflüssiges Stück! Nichts gegen Liszt allgemein. Seine h-Moll-Sonate, die ungarischen Rhapsodien und einige andere Stücke gefallen mir sehr. Sie sind schöne Musikstücke mit eigener Sprache. Dennoch ist es vollkommen unsinnig, wenn er Stücke mit 12 Kreuz(!) komponiert, die man so gar nicht lesen kann. Immer muss man sich eine ganz andere einfachere Tonart vorstellen. Effekte also, die im Publikum imponieren sollen, was für ein guter Spieler man in der Nachfolge von „Abbé Liszt“ doch ist, wenn man solche aberwitzigen Tonarten beherrscht.
Falsche, ja überflüssige Show-Effekte gibt es im diesjährigen gestischen Interpretieren häufig. Der südkoreanische Preisträger im Wettbewerb hat meines Erachtens eine vollkommen unangemessene Gestik bei seinen Interpretationen eingesetzt. Ich war geradezu abgestoßen, die Musik dergestalt von dieser Person zu hören. Damit meine ich, dass ich mit ihm als einem Asiaten nicht unbedingt eine heftige gestische und auch emotionale Expression verbinde, eher eine ruhige, konzentriert-nachdenkliche Haltung, was ja auch in manchen Werken richtig sein kann. Der Interpret hat jedoch versucht, eine eher westliche Körper-Sprache zu entwickeln und er hat meiner Meinung nach gerade nicht die Musik damit getroffen oder besser gesagt seine Ausdrucksweise war nicht passend zu den Musikstücken.
Was Dich betrifft, so finde ich, dass Du im Augenblick sehr gut im gestischen Interpretieren von Bach bist. Das habe ich auch mit dem Produzenten Igor Stepanov besprochen. Und er hat das Gleiche empfunden, ja er war ebenso wie ich vollkommen begeistert sogar. Das bedeutet aber nicht, dass ich die Art und Weise, wie Du Bach gestisch interpretierst, immer richtig finde. Sie war im Hamburger Speicher-Konzert durchaus etwas übertrieben und manchmal weniger nachvollziehbar. Aber es ist doch immer noch bedeutend besser dergestalt als die Musik von Bach einfach nur rational oder analytisch („intellektuell“) darzustellen, wie genau man die Struktur der Musik versteht und deutlich werden lässt etc., was ich als vollkommen überflüssig finde.
Deine Haydn Interpretation in Sydney war ebenfalls sehr gut. Ich denke auch nicht, dass Du nervös warst, wie Du schreibst. Wir haben jedenfalls nichts davon gemerkt. Im Gegensatz zu anderen Werken, die ich allgemein von dir gehört habe und wo Tempoprobleme Dich manchmal als nervös zeigten. Du hast jedenfalls einen sehr souveränen Eindruck gemacht. Auffallend war vielleicht auch, dass Du als einziger ohne Jackett gespielt hast. Eine Nebensächlichkeit vielleicht, aber es war ein Zeichen von Unangepasstheit. Es wird nicht allen gefallen haben. Eine weitere Nachlässigkeit war Deine Vorstellung und Verbeugung zu Beginn vor dem Publikum: Arme und Hände müssen offen sein und nicht züchtig geschlossen vor dem Gemächt.
Vor allem aber glaube ich, dass die Auswahl deiner Stücke in Sydney im zweiten Teil schlecht war. Wir sind nicht im Westen so fasziniert von den russischen Meistern, wie du sie beim Studium in Moskau kennengelernt hast. D.h. das Werk von Nicolai Medtner konnte ich als ein Musikwerk zum Hören, nicht jedoch zum intellektuellen Studieren noch einigermaßen ertragen; aber mit Skrjabin kann ich nur wenig anfangen. Er schreibt für mich schon so etwas wie atonale Musik, die mir fremd ist und zu weit vom natürlichen Dur oder Moll (im Sinne Hindemiths) entfernt bleibt. Dennoch, auch dieses Stück hast du meiner Meinung nach in den ruhigen Teilen sehr schön, sehr spannend vorgestellt, auch wenn Du an den virtuosen Show-Stellen des Werkes Dich wieder hast hinreißen lassen zu einem typischen Virtuosen- Klamauk. Ich denke weiterhin und deshalb: wenn die Musik als Werk einen Hörer nicht packt, dann packt einen die Interpretation der Musik wie auch immer noch weniger.
Im Verlauf des Wettbewerbs habe ich auch einiges Überflüssige kennengelernt. Die Preisverleihung zum Beispiel. Immer ging es auch um Dollar, um Werbung für Instrumente, Firmen und Organisationen. Und so groß waren die PreisträgerSummen auch nicht, wenn ich jetzt höre, dass ein einziges Konzert mit Madonna 1600 Dollar Eintritt in den USA hätte kosten sollen. Alles war sehr amerikanisch, mit dem ich mittlerweile nur noch wenig anfangen kann.
Selbst hochrangige Politiker mussten sich bei dieser „Welt-Veranstaltung“ in Sydney zeigen, auf die man, was die Anforderungen betrifft, zu Recht stolz sein konnte.** Ähnliches habe ich vor etlichen Jahren in Prag erlebt. Dort wurde für eine kurze Zeit von US amerikanischen Großindustriellen und finanzstarken Kultur-Potentaten eine Institution mit Namen „Mozart Akademie“ gegründet. Ich habe damals als Pressemensch den Aufmarsch der Staatsoberhäupter von Polen, Tschechien und der Sowakeit mit erlebt. Wir mussten uns alle erheben, als sie zum Mozart-Konzert die Oper betraten. Die neue Institution ist dann einige Zeit später in das Haydn-Schloß Esterházá an der ungarisch-österreichischen Grenze weiter gezogen; hat sich gleichwohl jedoch recht bald auch dort wieder aufgelöst.
Ich denke, dann war der Leipziger Klavier-Wettbewerb besser und passender für die zukünftige Weltkultur als dieser übertrieben amerikanische Event. Du weißt, dass ich ein Anhänger der Post-Avantgarde bin ebenso wie des Post-Amerikanismus und des Post-Kommunismus. Wo wirst Du stehen, wenn der Postkommunismus Moskauer Prägung jetzt ebenso am Ende ist wie bald auch der Post-Amerikanismus? Wo werden wir stehen, wenn diese beiden Zeitalter zu Ende sein werden? Werden nur noch Maschinen und Roboter Musik spielen, Musik machen wie jetzt schon in der Pop-Kultur?
Was die Biografie betrifft, die ich Dir geschickt habe und die Du als zu „pompös“ dargestellt empfunden hast – ich habe jahrelang entsprechende Flyer und Werbungen der internationalen Schallplattenfirmen zugeschickt bekommen. Ich kann unterscheiden. Was ist Wahrheit, was ist Falschheid, was ist übertrieben pompös, was ist zu wenig. Ich denke, wie ich es geschrieben habe, war es die Wahrheit und richtig. Ich denke auch, im Deutschen sagt man, man solle „ sein Licht nicht unter und nicht über den Scheffel (Leuchter) stellen“. Du stellst jedenfalls dein Licht zu oft „unter den Scheffel“, was genauso schlecht ist. Anerkenne vor Dir selbst, dass Du ein guter Pianist bist und es nicht mehr nötig hast, das zu beweisen, indem Du die schwersten und auch langweiligsten Werke mancher Musikliteratur wochenlang auswendig lernst. Ich denke, dass Du es Dir mit einem schlecht gewählten russophilen Programm beziehungsweise auch mit unmäßig schweren Stücken, die das Einstudieren nicht wert sind, unnötig schwer gemacht hast und schwer machst.
Soviel zu meinem Eindruck bei diesem Wettbewerb auf der anderen Seite der Welt. Ich werde mir keine weiteren Wettbewerbe mehr ansehen, ebenso wie ich auch nicht dem wie immer zweifelhaften Applaus von Juroren und Kritikern mein Ohr schenken werde. Was Dich betrifft bleibe ich jedoch bei meiner bisherigen Haltung: Ich werde weiterhin diese deine Ausbildungs-Spur(en), diesen Deinen Lebensweg nur begleiten, weniger ihn unterstützen, fördern oder bremsen wollen. Du bist alleine dafür verantwortlich. Platon glaubte am Ende seiner „Politeia“ sogar, dass man im vorgeburtlichen Leben bereits seine Lebensspur gelost habe. Halte also Plan B bereit! Vielleicht sogar auch noch Plan C und…
Freundliche Grüße aus good old Germany sendet Dir nach Mexiko in Deine ferne Heimat
Reinhold Urmetzer
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* vgl. eine ähnliche Kritik gerade auch am Sydney Piano -Wettbewerb in Wikipedia (Sydney International Piano Competition)
** Das sind die anspruchsvollen Aufnahme-Bedingungen für die Zulassung zum Sydney-Wettbewerb: Herstellung eines aussagekräftigen Konzert-Videos im Herkunftsland. Die Klavierstücke müssen ungeschnitten, ohne Pause und auswendig gespielt werden. 32 Teilnehmer werden von einer Jury ausgewählt ( aus weltweit ca 300 Aspiranten) und eingeladen. Auch ein zeitgenössisches australisches Werk muss eingeübt werden (auswendig). Kammermusik (Geige oder Cello und Klavier) wird ebenfalls vorgeschrieben. Wer in die Endphase der Ausschreibung kommt, muss darüber hinaus ein Mozart-oder romantisches Klavierkonzert mit Orchester vorbereitet haben. Also ein umfangreiches Programm, das leicht zwei Konzertabende füllen könnte.
vgl.auch die Nr. 367

