57 Über Gott(1)
Negative Theologie
Negative Theologie ist die Wissenschaft vom Nicht-Sprechen-Können oder Nicht-Sprechen-Wollen über Gott. Gott ist größer als der menschliche Geist. Jede positive Beschreibung von Gott endet in der Falle des Relativismus, der Isosthenie, in Fehlern, Subjektivität, in Gottes Tod.
Nach Derrida¹ kann das Andere, allgemein gesehen, nicht gänzlich mit den Begriffen des Nichtanderen erfasst, beschrieben, benannt werden. Dieses Andere ist jeweils einzigartig und immer mehr als das, was wir von ihm zu wissen glauben. Es besitzt eine Transzendenz, die sich nie ganz dem Nichtanderen erschließen wird. Dieses immer wieder “Mehr-Sein” gilt allgemein für jede Erkenntnis ebenso wie für den menschlichen Kontakt selbst.
Um wie viel mehr muss es dann für das ganz Andere, welches Gott vielleicht darstellt, gelten! Sprache schränkt mit ihrer begrenzten und begrenzenden Welt der Begriffe das Andere immer nur unzulässig ein, legt es fest auf die Sichtweise, Sprache und Denken des Nichtanderen, macht es schließlich durch die oft willkürliche Benennung zu einem Objekt sogar von Erniedrigung. Du bist immer mehr, als ich von dir glaube, als ich von dir weiß. Das ist auch die grundlegende Voraussetzung einer jeglichen personalen Beziehung.
Deshalb nähere ich mich der Frage nach Gott nicht ontologisch als Frage nach seinem Sein, sondern lieber anthropologisch, indem ich untersuche: Wer oder was ist der Mensch, was kann er (oder eher auch nicht)? Warum braucht er nach Feuerbach/ Marx überhaupt Gott und Religion als “Opium”?
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1 Immer wieder werde ich direkt oder indirekt nach Gott befragt. Es gibt einen m.E. ganz einfachen Gottesbeweis oder eine Antwort im Sinne der negativen Theologie:
Ich werde Gott nicht zu definieren versuchen , ebenso wenig wie die Ameise den Menschen definieren kann.
1.1 Ich werde also über Gott nichts sagen können, ebenso wenig wie die Ameise etwas über den Menschen wird sagen oder wissen können.
1.2 Ich werde Gott nicht definieren können, ihn zu definieren versuchen. Ich werde also keine konkreten Aussagen zu Gott machen, denn auch die Ameise kann den Menschen nicht definieren und die Blume nicht die Ameise. Das bedeutet aber nicht, dass es den Menschen nicht gibt.
Die Ameise lebt in ihrem Staat und der Mensch in seinem.
1.3 Gott überfordert mein Erkenntnis- und Sprachvermögen. Ebenso sehr wie der Mensch die Ameise mit seiner allmächtigen Existenz überfordert. Ameisen sind alle Agnostiker. Sie können gar nichts vom Menschen als dem ganz Anderen wissen.
Ihr Staat funktioniert perfekt, bis ein galaktischer Unfall oder eine Naturkatastrophe eintritt: ein Fußtritt des Menschen-Gottes kann alles zerstören.
Wer ist zuständig in unserer Welt für Naturkatastrophen und galaktische Unfälle?
2 Umgekehrt gilt aber auch: Wenn der Mensch wie eine Ameise dahin vegetiert(Entschuldigung), dann gibt es auch den Über-Menschen, der den Menschen definiert, steuert, bildet, ohne dass der Mensch diesen Urheber/ Beeinflusser/ Gott kennt, beschreiben kann und ohne dass er etwas von ihm weiß, wissen kann und so fort.
3 Man kann m.E. Gott weder glaubwürdig für alle und für alle Zeiten erfinden und einsetzen noch abschaffen. Er ist das ganz Andere(die Philosophen nennen es auch das Transzendente) und er existiert auch ohne uns. Man muss sich nur immer wieder den Ameisen-Status der menschlichen Existenz und unseres begrenzten Erkenntnisvermögens klar machen. Existiert die Unendlichkeit des Weltalls nicht auch ohne uns?
4 Ob Gott in der Welt wirkt oder gewirkt hat ( z.B. durch Schöpfung).
Ich denke, das ist eine Sache des Glaubens (= Fürwahrhaltens). Bei manchen Menschen funktioniert dieser Glaube, das heißt er ist nützlich, hilfreich, bei anderen weniger.
5 Ob Gott zu den Menschen gesprochen hat oder immer noch spricht.
Für manche hat er sich in der Welt gezeigt z.B. als Schöpfer, Prophet, Seher, Heiliger, als Mohammed, Christus, Lao Tse, Platon etc.
Die christliche, muslimische und jüdische Religion werden von den asiatischen Religionsgemeinschaften als die Religionen des Buches bezeichnet, wodurch Gott gesprochen hat.
6 Ob Gott besser jenseits der Sprache erkannt werden soll wie bei den Hindus oder Buddhisten.
Ich denke ja, also nicht im Sinne eines geistig-sprachlichen Erkennens, sondern er soll gefühlsmäßig gespürt werden durch Rituale, Meditationen, Mysterien, Kunst, Musik etc.
Der sinnliche Bereich der Gefühle ist näher am Menschen dran als der Wort-Bereich.
Sprache ist immer mehrdeutig und gibt mit ihren Isosthenien Anlass zu vielfältigen Interpretationen und Streitigkeiten, ja sogar zu Religionskriegen.
In der Antike funktionierten nur die religiösen Rituale, während die Götter der Bücher und Sprache (etwa in den Epen Homers) ein jämmerliches Leben schließlich führten und auch gar nicht mehr ernst genommen werden, sondern sogar nur noch verspottet werden konnten ( etwa bei Lukian)
7 Virilio schreibt dazu (in „Der reine Krieg“ S.131f):
“Der Tod Gottes – ich beziehe mich hier auf Nietzsche – ist ein Greul der Verwüstung in der jüngeren Geschichte.
Die Frage nach Gott ist aus der jüngeren Geschichte verschwunden.
Nach Nietzsche hat man erst Gott abgeschafft und dann auch die Frage nach Gott, was zum Materialismus, zum historischen Materialismus etc. geführt hat”.
Die Macht Gottes wurde in die Macht der Klassenkämpfe und des Proletariats verlegt. Schließlich sollte daraus das kommunistische Paradies entstehen.
Virilio verbindet wie Pascal die Frage nach Gott außerdem immer mit der Frage nach dem Tod. Ähnlich wie oben (1.) wird die Grenze und Begrenztheit als ein gattungsspezifisches Merkmal der menschlichen Unvollkommenheit angesehen. Wobei Virilio sogar eine Zeit lang von der Apokalypse eines Nuklearkrieges ausgegangen ist.
(80er Jahre!)
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8 Exkurs: Ob es ein außerweltliches Leben geben kann. (Dieser Gedankengang hängt methodisch stark mit den Erläuterungen oben zusammen).
Wenn die Evolutionstheorie stimmt, das heißt wenn sich der Mensch aus einfacheren Urformen tatsächlich entwickelt hat, dann muss es auch angesichts der Unendlichkeit der Zeit komplexere Formen als den Menschen geben, also Entwicklungen, die die menschliche Art übertreffen, quasi also auch Über-Menschen, dann auch Götter etc.
Diese besitzen in der Unendlichkeit der Zeit alle Möglichkeiten des Reisens (die Begrenzung der Lichtgeschwindigkeit ist nur eine Hypothese), der Kontaktaufnahme etc., von denen wir gegenwärtig nur träumen können. Warum ist jedoch noch kein Kontakt glaubwürdig bewiesen worden? Haben diese Über-Menschen kein Interesse? Sind wir ihnen zu Ameisen-ähnlich?
Wir möchten ja auch mit den Ameisen und ihrer Welt keinen Kontakt aufnehmen oder doch?
Ich bleibe also bei meiner Meinung: Solange ich noch keinen Außerirdischen getroffen habe, glaube ich nicht an seine Existenz. Ich kann die Frage also nicht beantworten, ob wir die einzigen Lebewesen im Universum sind.
Für SG, mit dem ich Woche für Woche, Sonntag für Sonntag diesen Diskurs idealiter führe und der nichtsdestotrotz gerade dabei ist, den Tractatus von Wittgenstein durchzuarbeiten (ächz stöhn)
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1 Jacques Derrida, “Wie nicht sprechen. Verneinungen”, Wien 1989