340 Über IT-Kommunikation und Opfer (3/4)
Interview Teil 3
Was ist das dritte Opfer?
Das dritte Opfer dieser neuartigen Kommunikationstechnik bin ich selbst, weil ich wahrscheinlich keine Bücher mehr schreiben werde. Ich werde vielleicht nicht mehr dazu im Stande sein. Nach meinem eingeschränkten, reduzierten Bücherlesen-Wollen oder auch -Können befürchte ich sogar das Ende meiner Bücher-Produktion.
Bedeutet das auch das Ende Ihres Blogschreibens, das Sie im November 2015 begonnen hatten?
Ja. Vor fünf Jahren, begonnen mit Hilfe von Alexey Chibakov, einem IT-Experten in der edition weissenburg.
Das Blogschreiben fällt mir tatsächlich mittlerweile schwer. Begonnen mit einem großen Schwung und fast jede Woche einem neuen Beitrag, bin ich jetzt dazu gekommen, nur noch monatlich einmal etwas zu publizieren. Also alles Zeichen eines Endes.
Ich mache lieber Interviews wie jetzt mit Ihnen. Auch Spotify sendet mir zur Vermarktung meiner Musik lieber Podcasts, redet lieber mit seinen Kunden, unterstellt also bereits mangelnde Lesebereitschaft oder mangelndes Lesenkönnen.
Obwohl mir geschriebene Texte angenehmer sind. In Englisch zu lesen fällt mir leichter als einer schnell gesprochenen Sprache zu folgen.
Warum kommt das jetzt so plötzlich?
Es war eher ein schleichender Prozess. Es fing damit an, dass ich keine Bücher mehr im Zusammenhang als ein Ganzes, ein Gesamtes lesen wollte. Geschweige denn, dass mich solche Bücher interessierten, die spannende Geschichten wie im Film nachzuerzählen versuchten. Schöngeistige Literatur, vor allem Belletristik, hatte auch irgendwann ein Ende bei mir.
Beständig weiter kümmerte ich mich natürlich um solche Texte, die pragmatisch den Lebensalltag begleiten, etwa wie man eine Waschmaschine bedient, ein Auto fährt, mit dem Handy zurecht kommt und so fort. Auch das Zeitungslesen habe ich schon seit einiger Zeit sehr eingeschränkt. Ich lese wie mein Vater in der Nazi-Zeit meist nur noch die Neue Zürcher Zeitung, um auch Gegenstimmen zu hören. Die NZZ schreibt nicht immer das, was der Mainstream hören will und angeblich fordert.
Sie lesen also gar keine Bücher mehr?
Doch! – Ununterbrochen. Aber nur solche, die mich interessieren und die mein Denken irgendwie steuern oder beeinflussen oder inspirieren können. In einer Sprache, in der ich aufgewachsen bin einschließlich Philosophie und Latein in der Schule oder auch Literaturunterricht mit Übungen zum Selber-Schreiben in der Oberstufe.
Dazu gehören auch weiterhin und ununterbrochen die römischen Autoren, die ich mittlerweile fast alle gelesen und studiert und auch verstanden habe. Gegenwärtig beiße ich mich durch den langatmigen 2.Band von Senecas Lucilius-Briefen durch. Einen stilistischen Trick Senecas habe ich im Blog immer wieder aufgegriffen. Auch bei mir gibt es einen Lucilius, der teils real, teils fiktiv ist. Das darf der Leser dann schon selbst entscheiden, wer oder was Lucilius in meinem Leben ist. Er kann es aber auch ganz ignorieren.
So ganz aufgegeben haben Sie also das Lesen nicht?
Nein, im Gegenteil. Ich habe das sorgfältige Auswählen des Lesestoffs, das kritische Hinterfragen von allem gelernt. Mehr interessiert haben mich schließlich nur noch Sprache und Stil der geschriebenen Texte oder sogar nur noch solche Texte, die hermetisch, fast schon unverständlich wegen ihrer Komplexität oder Verschlüsselung waren. Solche Bücher fand ich interessant. Sie haben mich schon immer interessiert, seit meiner Jugend. Dazu gehörten Hegels „Rechtsphilosophie“, womit mein Philosophie-Studium bei Karl-Otto Apel, also auch Jürgen Habermas, begann. Oder Derridas „Sporen“, die mich zum postmodernen Denken der französischen Schriftsteller führten.
Diese sind nicht immer Philosophen. Ihre Bücher schillern oder ich sage besser irrlichtern zwischen rationalem Diskurs im philosophischen Sinn und funktionaler Phantasterei im Sinne von Kunst hin und her. Etwa Baudrillards „Fatale Strategien“ oder Virilios seltsame und dennoch überzeugenden Be- und Entschleunigungstheorien.
Die ältere Generation der Postmodernen, die sogenannten Poststrukturalisten, allen voran Michel Foucault oder Roland Barth, interessieren mich gegenwärtig weniger. Auch wenn sie mich stilistisch fasziniert und beeinflusst haben. Die Franzosen sind und bleiben halt eben wie so oft Ästheten, Sprach-Artisten, Stilisten. Der Soziologe und Philosoph Michel Serrès etwa hat mehrere Seiten über einen guten französischen Rotwein geschrieben, vielleicht auch seine Energie daran verschwendet. Aber das Thema Verschwendung ist ja ein beliebtes Thema mancher französischer Autoren. Verschwendet eure Jugend, hat George Bataille sogar propagiert..
Das hört sich jetzt aber fragwürdig an. Auch für mich, die ich mich immer noch zur Jugend rechne.
Natürlich sind Sie für mich Jugend! Für wen schreibe und durchdenke ich das alles? Für Euch und Eure Zukunft! Nicht für mich. Ihr müsst diesen heftigen Wandel überall, nicht nur in der Kommunikation, noch viel mehr durchstehen und ertragen lernen als ich.
Man kann Verschwendung tatsächlich nicht jedem jungen Menschen empfehlen. Aber wenn man über den Sinn dieses Satzes, dieser Forderung nachdenkt – Jugend besitzt, wenn sie gelingt, also der Reifungs-und Erziehungsprozess erfolgreich war, wenn er zur Entfaltung von Fähigkeiten und zum eigentlichen Selbst, also dem Ich geführt hat, dann besitzt Jugend von Natur aus tatsächlich viel überschüssige Energie. Sie kann im positiven Sinne weiter gegeben, verschwendet werden. Wie auch das Heilige oder heilige Menschen mit einer überschüssigen Lebens-Vorbildlichkeit ausgestattet und gesegnet sind. Sie sind quasi Muster-Menschen, wie Montaigne sagt.
Ich glaube sehr an diese Kraft des Heiligen im Sinne einer Vorbild-Funktion oder des Heilen-und Helfen-Könnens.
Aber das Schreiben von Musik geben Sie noch nicht ganz auf?
Mir macht die Musik mehr Spaß zur Zeit, ja sogar sehr viel mehr. Die Auseinandersetzung mit jungen Menschen, ihrem Leben, ihrem Denken, das Musizieren, ein Publikum, das sofort reagiert, die direkte emotionale Sprache der Musik – das alles interessiert mich mehr als das Schreiben. Auch wenn das Komponieren, also das Aufschreiben von Musik und nicht nur das spontane Musik-Improvisieren wie in den Pop- und Rockgruppen, von allen Kunstgattungen m.E. am schwierigsten ist. Schwieriger als das literarische Schreiben, das Malen, Filmen, Tanzen, Fotografieren oder Theaterspielen.
Worte zu finden fiel mir eigentlich auch früher schon sehr leicht. Es entwickelte sich mit der Zeit eine Routine, was Satzbau, Textstruktur, Wortfindung, Bildhaftigkeit etc. betrifft. Es ist in vieler Hinsicht einfacher als die Musiksprache. Sie sind ein Schriftsteller, hat mich schon sehr früh mein Kompositionslehrer Erhard Karkoschka ermuntert. Und ich habe mit Aufsätzen über Musik und meine Diskussionen mit ihm angefangen. Bin sogar bei der Schriftstellerei und Musikkritik angekommen. Auch wenn die Brillen der Kritiker meist immer nur einäugig sind.
Um Musik zu verstehen, sie verständlich zu machen, muss man sie immer wieder neu erklingen lassen, also einüben. Nicht nur die Noten lesen können.
Genau, das macht neben dem Ideenfinden, dem Komponieren und dem Aufschreiben fast in der Sprache der Mathematik eine weitere Schwierigkeit der Musikwelt aus. Die geschriebene Musik braucht Interpreten, die sie zum Klingen bringt. Man muss sie einüben, damit sie real wird und nicht nur in meinem Kopf allein existiert. Ich kann für fast alle klassischen Instrumente komponieren, während ich nur einige wenige Instrumente selber spielen kann.
Musik aufzuschreiben, so dass sie jeder Instrumentalist nachspielen kann und gemacht nicht für Produzenten, Musikcomputer oder Soundmaschinen, die Instrumente und auch die menschliche Stimme perfekt nachahmen können – das ist mein Haupt-Ziel. Das mag vielleicht etwas veraltet und altmodisch klingen. Aber es ist eine bedeutend größere, intensivere und schwerere Aufgabe, als Worte zu finden. Es ist eben Kunst. Brahms arbeitete jahrelang an seiner 1.Symphonie.
Im Gegensatz zur Literatur, die auch still von jedermann gelesen werden kann, sofern man diese Sprache zu verstehen einigermaßen geübt ist.
Wieviele Bücher haben Sie bis jetzt geschrieben?
Insgesamt sind es bislang 15. Drei davon, On Seduction 1-3, sind von dem Amerikaner N. Andrew Walsh ins Englische übersetzt worden.
Und wieviel Musik haben Sie komponiert?
Das kann ich nicht sagen. Es gibt keine Opus-Zahlen mehr. Im Laufe meines Lebens habe ich immer auch komponiert. Es gab Bücher von mir, die mehr als 20 Jahre gebraucht haben, um lebendig zu werden. Und es gibt Musik, etwa das Werk „Pasolini-Pop“ für meine damalige ArtRockgruppe Zoom-Orchestra von 1978. Dieses Musiktheater, fast ganz ohne Neue Musik, liegt oder wartet immer noch im Archiv in der Ulmerstraße auf seine Auferweckung.
Einige Stücke daraus habe ich in der Musikhochschule Stuttgart früher bereits vorgestellt. Sehr zum Missfallen mancher orthodoxer Professoren. Erhard Karkoschka hat’s gefallen. Er hat uns, also die Band, auch zusammen mit dem Jazz-Musiker Bernd Konrad in unserem Übschuppen in Schwäbisch Gmünd besucht. Und er hat mir die Mitarbeit von Uta Kutter bei einem Live-Auftritt der Band zusammen mit dem Geiger Peter Wallinger in der Stuttgarter Musikhochschule vermittelt. Sie war später langjährige Leiterin der Klasse Sprecherziehung in der Stuttgarter Musikhochschule, hat die Hugo Wolf-Akademie gegründet und sie ist eine sehr formidable Frau. Ich mag sie sehr.
Damals war ich zusammen mit Bernd Konrad, Matthias Spahlinger, Ulrich Süße und Reinhard Karger in der Stuttgarter Meisterklasse von Erhard Karkoschka. Ebenfalls eine sehr inspirierende Gruppe.
Sie haben neben der Rockmusik auch eine Zeitlang Neue Musik komponiert, sogar Musikgrafiken gezeichnet und musikalisch realisiert.
Klar, ich sehe mich als ein postmoderner Künstler, der alle möglichen Stile der Vergangenheit einschließlich der Gegenwart kennt und in diesem Steinbruch wildert. Gegenwärtig ist es besonders die Musik des Früh-Barock, etwa Monteverdi. Eine Musik auch des Zitats, des Rückblicks, des Abschieds ganz im Sinne eines neuen Historismus. Auch im Sinne der Präraffaeliten in der Malerei des späten 19.Jahrhunderts, die bei ihrem Rückblick ganze Kunst-Epochen der Vergangenheit überspringen wollten und dennoch etwas Neues gefunden haben. In Architektur und Design wirken sie bis in die Gegenart hinein.
Von einer Wiederverzauberung der Welt wurde schon in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts geredet. Die Frage nach Sinn, nach Gott und die Sehnsucht nach dem Irrationalen ist immer noch da, denke ich, selbst wenn die Kirchen mittlerweile leer sind oder sogar in ihrer Funktion ganz umgewidmet werden.
Die Jugendmusik, immer nah am Leben und in den Tanzhallen, um aktiv zu bleiben oder zu werden hat bereits die akustischen Instrumente der alten und auch neuen Klassik überholt. Mit ihren Computern und technischen Produktionsmitteln braucht sie fast keine Künstler-Menschen mehr, eher nur noch Techniker, Mathematiker, Ingenieure.
Das hört sich jetzt auch nach dem Ende der Künstler–Persönlichkeit an.
Ja, vielleicht. Der Künstler war früher immer nur ein Macher, ein Handwerker. Vielleicht als kreativer Mensch auch gottbegnadet, aber doch ein normaler Mensch wie du und ich. Dass er zu einer so herausragenden Person geworden ist, das liegt an der Epoche der Romantik und ihrer Suche nach dem Ungewöhnlichen, dem Märchenhaften und auch Seltsam– Verrückten. Im beginnenden Zeitalter von Industrialisierung und Technik war dies schon eine erste Gegenbewegung und Flucht, die bis in die Gegenwart reicht. Sehen Sie nur mich an.
Wieso?
Ich habe Angst, im neuen Maschinen–Zeitalter nur noch zu einer Nummer, also auch digitalisiert, zu einem Ding, einem Objekt zu werden mit allen Konsequenzen. Wie Häftlinge werden wir eingekerkert leben und sterben müssen. Jenseits von Freiheit und Menschenwürde. No hope, no fear, das sagten schon die alten Stoiker.
Ihre Bücher werden vielleicht in den Bibliotheken überleben.
Vielleicht. Dort warten sie bereits auf Leser.
Es gibt von Ihren Werken auch eBooks.
Ja. Ich habe jedoch noch kein einziges davon gelesen. Aber mein Sohn liest und studiert nur noch eBooks. Auf manche meiner Bücher bin ich richtig stolz, auch wenn sie nicht so populär sind wie meine Musik, die dann und wann und vor allem gegenwärtig tatsächlich den Bereich der Popmusik trifft.
Warum stolz?
Sie sind Endprodukte aus dem Zeitalter der BuchProduktion. Sie gefallen sich in einem Manierismus der Sprache, des Stils. Sie legen kaum Wert auf Handlung, Spannung oder auf eine wie auch immer inhaltliche Botschaft oder Belehrung. Manchmal kreisen sie sogar nur um sich selbst und ihre eigene Unverständlichkeit.
Aber vom Schreiben solcher Bücher, etwa die „Landschaft mit Martyrium der Heiligen Katharina“, bin ich weg gekommen. Schade. Die Blogtexte sind einfacher, auch näher am Leben. Ich wollte diese mittlerweile mehr als 340 Texte, darunter auch einige sehr gute, in Buchform bringen. Aber auch dies wird mir vielleicht nicht mehr gelingen. Zu sehr bin ich jetzt von der Musik gepackt.
Die Romantiker haben sich auch in mehreren Genres bewegt.
Das ist allgemein auch ein Markenzeichen der Popkünstler, etwa der Popmusiker. Sie erfinden Musik und Texte gleichzeitig, haben manchmal wie John Lennon und etliche andere an den Kunstakademien studiert. Vielleicht hängt es auch mit Synästhesie zusammen. Jedenfalls ist Vielfalt das Markenzeichen dieser Künstler, auch immer noch. Selbst im Berufsleben wird sie mittlerweile verlangt, wenn nicht sogar vorausgesetzt.
Teil 4: Schreiben ohne Schrift?