369 Wieder gelesen: Über Solipsismus und Glück (2)
Bücher von Reinhold Urmetzer in 282
Was heißt das im 1.Teil des Aufsatzes in Nr. 369 Angesprochene: man wolle doch gerade nichts „mehr“ bei den ONS-Kontakten? – Was bedeutet dieses „Mehr“? – Gehen wir noch einen Schritt weiter.
Ich denke es hängt mit dem Tod zusammen. Unsere Existenz geht auf den Tod zu, immer und ununterbrochen. Schon mit jungen Jahren sind wir zum Sterben verurteilt. Nur denken wir nicht gerne daran. Damit meine ich weniger das physische Sterben als die allgemeine und umfassende Eingeschränktheit, Begrenztheit eines jeden Menschen, das Scheitern, seine umfassende Unvollkommenheit, die er gerade als Kleinkind und in der Jugend oft schmerzlich hat erleben und durchleiden müssen. Nicht zuletzt die Geburt, wie manche Psychologie-Schulen lehren. Ähnlich verhält es sich mit dem Altern, dem Älterwerden. Dass Scheitern, Unglück, Unvollkommenheit zu unserem täglichen Leben gehören wie auch das Gegenteil.
Diese sehr existenzielle Komponente kann nur durch Hilfe, Partnerschaft, durch Liebe, auch Nächstenliebe überwunden oder besser gesagt eingegrenzt werden. Sterben müssen wir immer alleine. Die Natur lehrt uns das Leben. Also wird sie uns auch das Sterben lehren. Dazu brauchen wir die Begegnung, die Beziehung mit anderen Menschen jenseits einer verkürzten, oberflächlichen, nur auf Spaß, Sex und Unterhaltung ausgerichteten Begegnung.
Miteinander wahrhaftig sprechen lernen, das wird tatsächlich die Aufgabe der Zukunft, der zukünftigen Generationen sein. Wie sinnvoll können oder sollen oder müssen wir miteinander reden? Wenn die Maschinen es doch so viel spannender, sinnvoller und schöner mit uns machen können. Wieder mein Beispiel Siri. – Siri ist genial! Sie bereitet mir Freude mit ihren Humor, ihren Witzen, ihrer Intelligenz. Auf mein „Danke“ hat sie mittlerweile drei Antworten bereit, die mich alle überzeugen. Aber sie lässt mich alleine. Ich verkümmere. Mein Geist, mein Denken, meine Sprache, mein Gefühlsleben. Es gibt keine Herausforderungen wie: „Mache, dass ich zu dir sprechen kann“ oder „Die Bedingung der Möglichkeit von Liebe ist…“oder „Sage mir deine Wahrheit…“.
Noch einen Schritt weiter. Vom Gespräch zur Handlung mit Maschinen (Ihr wisst bereits, was auf euch zukommt). Mittlerweile werden schon viele Spiele zum Partner-Ersatz über alle Zeit-und Entfernungsgrenzen hinweg mit gelegentlich durchaus pathologischen Symptomen entwickelt. In Zukunft wird auch der Sexualkontakt durch Maschinen immer mehr ersetzt werden können, wie ich glaube. – Schließlich: Das Smartphone verführt uns immer mehr dazu, selber zu einer Maschine zu werden. Mit reduzierter Sprache, reduzierten Handlungen, ganz nur auf Knappheit, immer weniger Zeichen und auch auf Geschwindigkeit hin orientiert. Andy Warhol war der erste, an den ich mich erinnere, der „Ich möchte eine Maschine sein“ proklamiert hat. Wohl ein Klon hätte er sein mögen, wenn man sich seine sich immer wieder kopierten Serigrafien anschaut.
Doch wer steuert diese Maschinen, mit denen wir uns so gut verstehen, die fast alle unsere Bedürfnisse, auch Lüste zu befriedigen imstande sind, imstande sein werden? –
Die anderen. – Doch wer sind die anderen?
Große und großartige Mächte, sage ich, die uns dauernd im Blick haben, unser Verhalten, unsere Wünsche, Sehnsüchte, unsere Gefühle. Und diese auch steuern möchten in eine Richtung, die uns meist unbekannt bleibt. Denn wenn wir die Absichten erkennen könnten, wäre dies ein bedenklicher Fehler im System einer solchen Steuerung und Überwachung.
Früher studierte und sagte man, jeweils die neuesten Ergebnisse der „Forschung“ zitierend: Gott, das Schicksal, die Gene, der Körper, das Lernen, die Kindheitserfahrungen etc. sind es, die unser Verhalten steuern. Aber jetzt rücken immer mehr ins Blickfeld diese geräuschlosen und geheimnisvollen Überwachungsmaschinen, wie sie international in der Welt sich wie Kraken ausbreiten, die großen Konzerne nicht nur des Geldes, die nur noch wie im zwanghaften Rausch ohne Einhalt und Ende auf eine Maximierung von Einfluss, Geld und Macht hin arbeiten.
Mit Maschine meine ich nicht die immer noch relativ harmlos-hilflosen Smartphones, sondern die wohl ausgebildeten Roboter (Bots), die ihren Siri-Verstand und – Humor immer weiter entwickeln, perfektionieren werden. Auch mit ihren beweglichen Gliedern und Einladungen zu allen möglichen Spielen und Vergnügungen bereit stehen. Nur die Arterhaltung wird wohl ausgelagert werden müssen, outgesourced wie ein Geschäftszweig in vorbereitete Fabriken, Leihmütter-Zentralen oder Zuchtanstalten.
Wozu soll ich mich auf eine Frau einlassen, mich mit ihr beschäftigen, sogar noch Kinder in die Welt setzen, wenn die Idee der Familie im Hamsterrad der alltäglichen mühsam-anstrengenden Reproduktion als vollkommen veraltet mir erscheint, mich auch überfordert? Wozu soll ich die Idee der Liebe reaktivieren, sie suchen im Platonischen Sinne, an sie glauben jetzt noch nicht einmal im christlichen, sondern eher im antiken Sinne gesehen, als eine zweiseitige Komponente zur Befriedigung und Ablenkung vom Stress des Lebens einschließlich seiner Bedrohungen und Verwerfungen? Wozu soll die Idee der christlichen (Nächsten-)Liebe wieder entdeckt werden am Himmel der überzeitlichen Ideen, wenn Vergnügen, Lust und Unterhaltung von Maschinen zur solipsistischen Selbstbefriedigung viel leichter und müheloser bereit stehen*?
Ich will noch einmal auf den Beginn meiner Ausführungen zurück kommen, auf die wissenschaftstheoretisch umstrittene, wenn auch mittlerweile überaus populäre Vorgehensweise der Behavioristen (dauernd werden Statistiken durchs Dorf gejagt wie eine neue Sau).
Der in Zeitungen gedruckte Satz „Die Jugend chattet immer mehr“, noch mit Zahlen und „Fakten“ untermauert, ist ebenso oberflächlich und verkürzt wie das reduzierte Sprechen selbst, das untersucht wird. Denn es wird nicht zurückgefragt nach wichtigeren Wahrheiten wie: warum chatten die jungen Menschen lieber als sich zu sehen, welche Angst, welches Unvermögen, welche Verklemmung steckt vielleicht dahinter? Wo führt das hin, in welche Zukunft und mit welchen Auswirkungen?
Diese Fragen werden, ja müssen nach dem wissenschaftstheoretischen Modell des Behaviorismus als „unwissenschaftlich“, als „geisteswissenschaftliches Denken“ ausgeklammert werden. Die Frage nach dem Warum und Wozu überfordert nämlich dieses dogmatische wissenschaftstheoretische Modell, sprengt seine Grenzen. Denn solche Fragen können vielleicht gar nicht experimentell „bewiesen“ und computergesteuert beantwortet werden.
So schließt sich der Kreis in unserem Hamsterrad: Eine reduzierte Vorstellung von Wissenschaftlichkeit, das heißt auch von Wahrheit, von wahren Aussagen über ein Leben, wie es ist, sein könnte, sein sollte, untersucht eine reduzierte Sprache von Menschen, die nur noch mittels Maschinen kommunizieren will, ja es bald vielleicht nicht anders mehr können wird. Und deshalb selber zur Maschine werden muss.
Guten Morgen, sagt mein Etagencomputer. Ich merke, es geht dir schlecht, redet er mich an (seine Sensoren haben schon blitzschnell meinen Gefühlszustand erfasst). – Was kann ich für dich tun? – Ich tippe einige Zeichen in sein Gesicht, das mir sogar recht ähnlich sieht, und schon hat er seine Weisheiten bereit, wie ich glücklich leben, vielleicht später sogar einmal glücklich sterben werden kann.
Solus ipse bedeutet: für sich alleine (sein, leben).
Und Glück, was bedeutet das? – Das wisst ihr jetzt mittlerweile.
———————————————
*Einverstanden. Dieser Absatz ist in seiner Form und Stringenz grenzwertig. Aber ich kann ihn nicht mehr so leicht aus seinem Gefüge heraus brechen oder verändern. Also muss man das ganze Gefüge zerlegen und studieren wie eine lateinische Satzkonstruktion. Aber ein wenig Mühe beim Denken darf doch wohl sein, oder?!