Über Verunklarung(1)
Lieber SG!
Ich bedauere sehr, dass Sie Ihren Kommentar zu meinem letzten Blog nicht an dieser Stelle abgedruckt sehen möchten. Auf Ihre Wittgenstein-Ausführungen will ich im Zusammenhang mit dem logischen Empirismus bzw. der Analytischen Philosophie demnächst zurück kommen dürfen.
Dennoch möchte ich auf eine Feststellung/Interpretation(was nun wohl?) von Ihnen eingehen, meine Gedanken “verunklarten” die Leser. „Verunklarung“ ist eine sprachliche Neuprägung, die mir ausnehmend gut gefällt. Sie trifft nämlich genau die Sache. Nicht unbedingt, weil ich mein Bild nach Außen modellieren, inszenieren, gestalten müsste wie auch immer, wie Sie andeuten. Und dieses Bild nach Außen und im Blog hat tatsächlich wenig mit mir zu tun je nach der Rolle, in der ich mich jeweils befinde (Wittgensteins “Sprachspiel” oder auch „Lebensform“). Meine Rolle in Familie oder Beruf ist jedenfalls das Gegenteil von “Verunklarung”. Ich werde emotional, rational, kommunikativ etc. ganz eindeutig in die Pflicht genommen, die täglichen Aufgaben zu erledigen.
Andere mögen jedoch von dieser „Verunklarung“ durch mein Schreiben mehr betroffen sein, die nur ein Phänomen meiner Kommunikation, meines Sprechens und Denkens, nicht jedoch meiner Gefühle ist. Oder ist nicht vielleicht doch unser Gefühlsleben “verunklart” genug? Vor allem wenn ich nur in einem schriftlichen Mail – oder SMS – Kontakt mit diesen Menschen, sogar Freunden stehe. Dann bin ich nur noch eine SMS-Kreatur, von Maschinen gestaltet und verkürzt. Und diese Person gibt es deshalb vielleicht auch gar nicht in der Realität. Ich bin nur noch eine virtuelle Existenz in dieser Kommunikationsform, in dieser Art Begegnung, Beziehung, Interaktion.
Noch schlimmer steht’s um die Chat-Kreaturen, die sich vollkommen einer menschlichen Begegnung entziehen, zumindest was ich unter einer solchen verstehe. Sie fühlen sich lebendig, sie sitzen in einer neuen Sesshaftigkeit nur noch im Sessel vor ihren Maschinen, bewegen sich elektronisch unter Gleichgesinnten, reduziert auf eine meist wenige Worte nur benützende Kunstsprache, bestens informiert (die Über-Information erstickt jedes Wissen, geschweige denn ermöglicht sie Erkenntnis) und angenehm-vielfältigst unterhalten (nur Kinder-Zeugen geht noch nicht per Computer).
Ein anderer Punkt ist mir jedoch wichtiger. Die Idee der “Verunklarung” ist eine zersetzende, tatsächlich, um nicht zu sagen auch anarchistische. Sie rüttelt an den Grundpfeilern des Dogmatismus, auch Fundamentalismus mit – wie in meinem Fall – oft künstlerischen Mitteln. Das war auch in der Antike schon so, etwa im Streit der skeptischen Schule gegen die Stoa. Auch die Kyniker haben mitgemischt etwa wie heute die Punks in ihrer Fundamental-Opposition. Auch die französischen Philosophen gehören dazu, die sogenannten „Vincenner“ (Ihre Universität lag in den 80er Jahren in Paris/Vincennes), indem sie eine neue Sprache mit vielfältigen ästhetischen Tricks erfunden haben, die oft sogar gar nicht oder nur ganz missverständlich verstanden werden konnte, weil man sich nicht die Denkarbeit des Verstehens machen wollte.
Dass auf diese Art und Weise ein neuer Dogmatismus, vielleicht sogar auch Fundamentalismus begründet werden kann, ist ebenso offensichtlich, selbst wenn er meine Vorgehensweise betrifft. Sie fragen ironisch und beziehen es auf die eigene Person, indem Sie meine Haltung für „fundamental falsch“ halten: “Bin ich nun ein Terrorist?“ – Natürlich sind Sie es, antworte ich ebenso ironisch, jeder Fundamentalismus ist auf dem Weg zum Terrorismus. Doch wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe – selbst die Gesetze der Logik, hier der Satz vom unwidersprüchlichen Denken, gelten nicht absolut und können dann und wann höchst sinnvoll, etwa vom paradoxen Denken der Zen-Buddhisten, in Frage gestellt werden. Und das ist kein Fundamentalismus (wer zwingt Sie zu einem solchen Denken? Niemand!) und noch weniger ein Terrorismus, der zu politischen Gewaltaktionen aufruft. Niklas Luhmann rückt in einem Interview mit mir das Denken etwa der Zen-Meister in die Ecke Religion. Er extrapoliert es quasi, um es unschädlich zu machen und das eigene Denken nicht in Frage stellen zu müssen (seine Philosophie ist eh, Entschuldigung, so sehr mit Technokratie und Geldverdienen verbandelt).
Dass die Verunklarung nebenbei auch noch sehr schöne ästhetische Ergebnisse immer wieder im Laufe der Kunstgeschichte in die Welt gesetzt hat, das ist überall zu bewundern. Zumal immer dann neue Kunst entstanden ist, wenn sie sich gerade nicht an die Regeln gehalten hat. Und das nicht nur im Bereich von Sprache und Denken, sondern mehr noch in der Malerei oder Musik.
Soviel für heute über die Verunklarung – ich schreibe sie schon gar nicht mehr in Parenthese!
Demnächst noch einige Anmerkungen über Wittgenstein, vor allem den späten. Ich denke, er würde in Vielem mir trotzdem zustimmen. Und Ihnen auch!
Freundliche Grüße, Gruß an die Gattin und bis zum nächsten Mal!
Ihr R.U. |