156 Vom Bücherschreiben (Antwort)
Ich habe meine Arbeit an der Thematik zum Buch über “Liebe und Lust in Zeiten der Pornographie” eingestellt, obwohl ich bereits viel Material gefunden und zusammen geschrieben hatte. Zumindest vorläufig. Nicht dass mir ein geistlicher oder wie auch immer gelagerter höherer Rat gegeben worden wäre.
Zwei Hauptgründe haben mich dazu veranlasst. Der erste ist bekannt und wird traditionell oft diskutiert. Der zweite hängt mit den neuen Medien zusammen.
Ich bin also (1) zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich nicht lohnt, so viele Worte über dieses Thema zu verlieren, auch zu verschwenden.
Die Lust ist “billiges Brot der niederen Stände”, die sonst nichts anderes haben, sagte man früher abschätzig, als das Geistige(Denken, Wissen, Intellektualität) noch mehr zählte als das Materielle (Lust, Spaß, Emotion). Die Lust ist wichtig und gut dann und wann. Einverstanden. Aber wesentlich kann sie tatsächlich nichts beitragen zu unserer Zeit, zur Gestaltung unserer Gesellschaft, einer gerechten Politik, zum Glücklich-Sein. Eher kann sie zum Unglücklich-Sein beitragen, etwa wenn sie zu sehr vernachlässigt, unterdrückt oder gar bestraft wird. Sie kann sich auch zur Sucht entwickeln, und das ist dann bereits der Anfang vom Ende.
Weshalb sollte ich also so viele Worte auf die Lust verwenden? Es gibt außerdem genug Ideen und Anregungen dazu in meinem Blog. Ich kann die einzelnen Beiträge dies -bezüglich schon gar nicht mehr aufzählen. Das ganze Thema Antike, antikes Denken, antikes Leben und Begehren beschäftigt sich letztlich immer damit und ist noch nicht einmal abgeschlossen. Es geht weiter und wird sich auch noch mit der alles zersetzenden Partei der Christen in Person des mächtigen und einflussreichen römisch-jüdischen Intellektuellen Saulus beschäftigen müssen.
Wichtig wäre wohl auch noch die genauere Differenzierung, das heißt Unterscheidung oder Begriffsbestimmung von Lust und Spaß. Spaß scheint mir der heute alles dominierende allgemeine Oberbegriff zur Sinnstiftung des Lebens zu sein. Während Lust ein Unterbegriff davon ist, der die Sexualität betrifft, fast nur noch die Sexualität.
Aber auch das scheint schon wieder falsch zu sein: Lustvoll genießen kann man ebenso auch eine Mahlzeit, ein fein und schön gestaltetes Menü. Kunst, Schönheit, selbst ein Gespräch kann lustvoll werden, lustvoll gestaltet sein, auch ohne dass die Sexualität dabei mit ins Spiel käme.
Ein zweites Argument war mir jedoch bedeutend wichtiger.
Ich habe ich es nicht mehr geschafft, in meinem Refugium in Fatima/Portugal, wo ich schon so viel geschrieben, erfunden, komponiert habe, einen zusammenhängenden Text mit der Hand zu schreiben. Oder auch nur die vielen Teile und Ideen, die sich im Laufe der Zeit zum Thema bei mir angesammelt haben, stilistisch zu einem einheitlichen, wenn auch wie immer gebrochenen Ganzen zusammen zu fügen. Ich wusste zwar, dass der Text zwei Teile haben würde: Einen oberen, diskursiven und einen auf der gleichen Seite unten eher privaten Beitrag im pseudo-biografischen Stil (auch das gibt es in der Schriftstellerei, mehr als je zuvor).
Ich bin jedoch mittlerweile ebenfalls ein Opfer der Schreib-und Text-Maschinen geworden. Die englische Sprache hat das neue Wort “to text” erfunden, also “texten”, wenn es um SMS oder Mails, das heißt von Maschinen generierte Texte geht. “You texted me” bedeutet, du hast mir eine Mail oder SMS gesendet. Die neuartigen Computer-Maschinchen machen es mir bedeutend leichter, einen Text zu konzipieren, als wenn ich ihn handschriftlich auf Papier bringen würde.
Beim früheren handschriftlichen Schreiben haben sich nach und nach die Gedanken entwickelt. Jetzt ist es anders: Fast schon wie in der Antike bin ich zurück gekommen auf das Diktieren. Ich diktiere meine Gedanken, sobald sie entstanden sind, in die Smartphone-Maschine. Sie schreibt meine Gedanken sofort auf, verändert das Vokabular permanent, also auch in statu nascendi, entwickelt es weiter, passt es an, erweitert auch den Wortschatz, so dass ich die Sätze schriftlich sofort vor mir habe und mir auch nur wenig Gedanken machen muss um Orthographie oder Rechtschreibung.
Das ist tatsächlich ein Fortschritt, wie ich meine. Dass ich dergestalt aber auch das Schreiben verlernt haben werde, wage ich noch nicht abzuschätzen. Ob es gut oder ob es schlecht ist.
Natürlich sehe ich mir üblicherweise längere und komplexe Texte ausgedruckt noch einmal an, korrigiere sie lieber im kopierten Zustand als auf dem Bildschirm. Aber dennoch ist es eine große Erleichterung für mich geworden, einen kreativen Text auf diesem Weg zu produzieren, zu schreiben.
Das Blog-Schreiben hat mich außerdem in die Welt der kürzeren Texte geführt*. Zwar nicht unbedingt weniger komplex, weniger komprimiert im Sinn und Denken. Aber doch weniger reichhaltig im Vokabular, kürzer auch und “logischer” im Satzbau. Beschränkt auf eine bestimmte Seiten-oder Zeilenzahl.
Es geht alles auch sehr schnell. Zeit ist Geld, nicht wahr. Fast so schnell wie früher bei dpa, der deutschen Presse-Agentur, der ich etliche Jahre kurze, reduzierte Texte per Telefon diktiert habe, die dann in Rundfunk/Fernseh-Nachrichten oder Zeitungs-Schlagzeilen erschienen sind. Aber was waren das für oberflächliche Sätze! Eine gute Vor-Schul-Ausbildung für meine jetzige Twitter-Tätigkeit, die tatsächlich eine Endstufe darstellt. Kürzer geht’s nimmer. (Auch dieser Satz ist schon wieder eine Verkürzung).
Während beim Hand geschriebenen Text die Gedanken sich immer weiter metastasierend ausbreiten konnten, ja sollten in meinen Vorstellungen von sprachlicher Schönheit, denn das gehört bei mir immer dazu, ist jetzt beim Blog-Schreiben alles mehr reduziert und weniger ausschweifend.
Nächster Schritt. Genau das, was ich an anderer Stelle immer wieder auch als ein “verkürztes Denken”, verkürztes Schreiben kritisiert, ja angeprangert habe, mache ich jetzt selbst. Obwohl ich doch so in Sorge bin um den verkürzten Menschen, der schließlich ganz verschwunden sein wird – er ist bereits in der Hand von Objekten, die ihn beherrschen, ohne dass er es weiß oder merkt (siehe dazu meine ausführlichen Baudrillard-Ausführungen in den Blogbeiträgen Nr.44, 43, 42, 40 und 37).
In Nr.37 habe ich diese meine schönen Sätze wieder gefunden, die ich jetzt noch einmal zitieren will (Achtung Abschweifung!) :
Ich bin immer wieder gefragt worden, für wen ich diese Zeilen, diesen Blog schreibe. Natürlich für euch, die ihr mich jetzt lest und zu verstehen sucht und mein Spiel spielt, wie auch ich euer Spiel spiele. Nicht für Geld, nicht für Ruhm und Ehre und Massen-Hysterie mache ich das. Sondern damit ihr euch findet: sprachlich in Worten, emotional im Schmunzeln, Lachen und Begehren, geistig in der Sehnsucht nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit.
Und um euren Weg zu finden, eine Spur zu spuren in diesem Chaos und Durcheinander, das sich Leben, Lieben, Sprechen, Denken und Suchen nennt.
Wenn dieser Weg dann ein ganz anderer sein wird, als den ich zu gehen bereit bin, dann ist das auch ok. Ihr habt eure Spur gespurt und gefunden, euer Denken, Fühlen und Begehren, das euch entspricht und das ihr seid. Selbst gesteuert und frei und bereit, so hoffe ich jedenfalls, auch anderen Sprachen zuzuhören, sie zu verstehen, sie zu übersetzen.
Also werdet ihr zu Dolmetschern meiner und ich zum Übersetzer eurer Seele in diesem Spiel, das Leben, Lieben, Sprechen, Denken und Suchen bedeutet.
Was nun? Wo stehe ich? Ist mein Denken in diesem meinem Blogbeitrag dergestalt jetzt auch reduziert, verkürzt wie im Falle von H. und A., mit denen ich heftige Kommunikations-Störungen deswegen beklagen muss, woraus sich sogar Störungen in der Beziehung bis zum völligen Bruch voraus sagen lassen?
Wie steht es mit unserer Kommunikations-Fähigkeit, wenn man keine Bücher mehr im alten Sinne schreiben kann?
Jedenfalls will ich die Blog-Texte veröffentlichen. Veröffentlichen als Buch, gern als ein Kreuz-und-quer-Buch. Denn ich halte viel vom Kreuz-und quer-Denken, Kreuz-und-Quer-Leben. Vielleicht sogar nur als Hardcover-Buch mit Lese-Band, das heißt nicht als E-Book. Den jetzt neu herausgekommenen Gedichtband “Abfahrende Schiffe” habe ich auch nur als Hardcover-Buch veröffentlichen lassen.
Ich empfinde es als ausgesprochen schlecht, ja schon pervers, Gedichte auf dem Bildschirm zu lesen, zu studieren. Ich finde es schöner, wenn man Gedichte in der Hand hält, fast schon kulinarisch genießt, das Buch aufschlägt, zu macht, diese Stelle betrachtet, jene Stelle überfliegt und so fort.
In der Antike sind alle Bücher meist nur diktiert worden. Sklaven haben dann weiter den Text von den Wachstäfelchen auf Papyrus-Rollen übertragen, eine mühselige, schwierige Arbeit, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann. Diese Texte wurden eher gezeichnet im Sinne von Kalligrafie als geschrieben.
Bekannt geworden für diese Arbeit ist Cicero und sein Lieblingssklave Tiro, dem er aus Dankbarkeit dann schließlich sogar die Freiheit geschenkt hat. Alle Texte hat Cicero Tiro diktiert. Sie wurden dann von diesem neu aufgeschrieben, kopiert, d.h. damit auch veröffentlicht. Über die Anzahl dieser Veröffentlichungen, quasi die Auflage, ist mir bislang noch nichts bekannt.
* Dieser Text ist erstmalig ganz ohne Computerbildschirm oder Ausdruck nur auf dem Handy in Fatima/Portugal entstanden. Eine richtige Premiere für mich.