29 Evgeny Alexeev
Traumland
Evgeny Alexeev spielt in der Stuttgarter Musikhochschule
Gibt es so etwas wie einen russischen Jazz? Eine Form musikalischer Improvisation, die sich unabhängig vom amerikanischen Ursprung entwickelt hat und aus anderen Quellen gespeist wird? – Immerhin war Russland lange genug der erklärte Feind der USA und scheint es leider wieder zu werden.
Nach dem Konzert mit Evgeny Alexeev in der Stuttgarter Musikhochschule könnte man es meinen. Seine endlos langen Improvisationen am Flügel , die ununterbrochen fast eine ganze Stunde dahin fließen, speisen sich aus Elementen der Minimal Music, asiatischer Pentatonik und europäischer Klassik ( hier besonders die französischen Impressionisten), was bei einem ausgebildeten Konzert-Pianisten nicht verwunderlich ist.
“Blickt nicht auf mich”, erläutert der aus St.Petersburg stammende Künstler, “betrachtet eher die Bühne, die Decke, das Licht”. Er selbst spricht am Klavier eine eigene Gestensprache, verkriecht sich fast in die Tasten oder scheint sich hinter dem Instrument verstecken zu wollen. Der Hörer beginnt schließlich Bilder irgendwo zu sehen, Geschichten kommen einem in den Sinn, entstehen, vergehen wieder. Wären da nicht die gelegentlich heftigen expressiven Ausbrüche, man könnte mit dieser fast dissonanzlos dahinfließenden Musik ein poetisches Traumland betreten, das man früher “psychedelische Musik” oder auch “New Age”, neues Zeitalter, genannt hat und das mittlerweile wie Atlantis wieder verschwunden scheint.
Reinhold Urmetzer