338 Über Internet-Kommunikation und Opfer (1/4)
Interview Teil 1
Was verstehen Sie unter Internet-Kommunikation?
Es ist der Austausch von Worten, Bildern oder anderen Zeichen über das Internet.
Also ein positives Medium für Verstehen und Verständigung?
Alles hat zwei Seiten. Im Laufe der Zeit entwickeln sich auch hier Isosthenien.
Die positive Seite kennen wir. Mittlerweile benützt die ganze Welt das Netz. Wir beide sind jetzt auch gerade dabei, mittels Internet über das Internet miteinander zu kommunizieren, dieses Interview über das Internet zu publizieren.
Was ist dann Ihrer Meinung nach das Negative an dieser neuen Kommunikationsform?
Drei Opfer der IT-Kommunikation fallen mir ein, beschäftigen mich sehr.
Das erste Opfer ist der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump. Er ist der erste Staatenlenker, der mit einer verkürzten, ja verkrüppelten Sprache sogar Politik und Wahlkampf erfolgreich gemacht hat. Sehr zum Nachteil der Politik als einer Lebenstechnik, wie man in der Antike gesagt hat. Auch wenn Trump jetzt seine WiederWahl verloren hat. Aber fast die Hälfte dieses großen Landes konnte er dennoch für sich und seine Kommunikations-Form gewinnen. Das muss man sich immer wieder klar machen.
Warum ist er dann ein Opfer, wenn er doch so erfolgreich war?
Er ist nach Außen hin nur eine über die IT-Kommunikation popularisierte und gestaltete Maske, eine Marke, eine Schimäre. Er ist kein Subjekt mehr, sondern nur noch Objekt, ja auch Opfer seiner Hintermänner, Einflüsterer, Schimären. Ich nenne nur die einflussreiche Claremont-Denkfabrik in Los Angeles. Trumps ganzes Denken stützt sich wohl eher unbewusst auf diese Intellektuellen-Schule. Dazu gehören auch Steve Bannon oder der frühere Kommunikations-Berater von Boris Johnson. Sein Name fällt mir gerade nicht ein. Ich will all diese Menschen auch gar nicht mehr als links oder rechts etikettieren. Sie sind nämlich beides, wie so vieles gegenwärtig in unserer Welt, die hin und her taumelt und willkürlich ihre Begriffe verwendet, sogar missbraucht. Etwa Begriffe wie Wahrheit oder Freiheit.
Das hört sich jetzt sehr pessimistisch an.
Ja, ist es auch. Es gibt immer Zeitenwenden, wo alles aus den Fugen gerät. Vor allem die geistige Welt, also auch die Sprache. Die geschriebene und die gesprochene Sprache.
Womit wir wieder bei Twitter wären.
Die Twitter Kommunikation, ein bewusst und gezielt eingesetztes Markenzeichen der IT-Kommunikation von Trump, ist reduziert auf nur einige wenige „leicht verstehbare“ Sätze. Dass das angeblich leicht Lesbare, leicht Verstehbare besonders schwierig wegen seinem verborgen gehaltenen Kontext und Hintergrund sein kann, Beispiel die Sprache der Bildzeitung, darüber habe ich schon öfter geschrieben.
Trumps Widersprüchlichkeit, Unberechenbarkeit und auch seine schaustellerrische, schauspielerische Fähigkeit haben eine ganz neue Art des Sprechens und der Kommunikation in die mediale Welt gesetzt. Sie hat zahlreiche Nachahmer gefunden einschließlich dem Kollateralschaden, dass niemand mehr weiß in dieser Welt der Fakes, Lügen und gut gemeinten Handlungsanweisungen, das sage ich jetzt ganz ohne Ironie, was Wahrheit ist und was nicht. Selbst im philosophischen Sinne.
Im philosophischen Sinn?
Ich denke, dass die postmodernen Philosophen, allen voran Lyotard und Derrida, sehr viel zu dieser Verwirrung beigetragen haben, ohne dass ich eine bessere Alternative anzubieten hätte. Die Szientisten der angelsächsischen analytischen Philosophie haben mit ihrem Denken genauso viel Unheil anrichten können wie diese neuzeitlichen französischen Sophisten, ihre Antipoden.
Sehen Sie nur die gegenwärtig herrschende große Verwirrung und Unsicherheit an in Wissenschaft und Bevölkerung im Denken, in der Wahrheitsfindung, in den Handlungsanweisungen. Um gar nicht von Gesetzen zu reden. Die Corona-Pandemie ist ebenfalls sehr stark ein Kommunikations-, ein Vermittlungsproblem der Politiker und Entscheider, also des Steuerungs-Systems geworden. Sie sehen, ich rede sogar schon von „System“ im Singular. So allumfassend ist diese Kommunikations-Störung bereits.
Im Alles-geht Durcheinander der Philosophie gibt es nur noch eine allgemein akzeptierte Wahrheit. Nicht mehr die uralte Suche nach Gerechtigkeit, Wahrheit, Schönheit oder Gott, sondern unterschwellig nur noch einen Konsens: Fürchte den Tod! Der Tod und das Sterben sollen möglichst vermieden oder verdrängt werden. Sonst geht es dir an den Kragen.
Wird die Gefahr zu groß, tritt man in unserer abendländischen Luxus-Gesellschaft die Flucht nach vorne an. Steigt die Zahl wie gegenwärtig der Sterbenden ungewöhnlich stark durch Krankheit, also im Sinne einer Seuche, einer Epidemie, selbst wenn die Opfer naturbedingt am Ende ihrer Zeit angekommen sind, beginnt ein geradezu mittelalterlicher Veitstanz der Ängstlichen, Verzweifelten, Helfenden, Wagemutigen, um diese wenigen zu retten. Mit nicht absehbaren Folgen.
Nicht beachtet wird aber dabei auch, dass in anderen Teilen der Erde, etwa in Syrien, in Afghanistan oder in den meisten Bürgerkriegs-Staaten, massenweise Tausende von Menschen sterben, kaltblütig abgeschlachtet werden mit einem zynischen Lächeln der Auftraggeber.
Dass man in Afrika oder anderswo tatsächlich Kinder verhungern, sterben lässt und sich umdreht und von nichts weiß. Dass die Flüchtlingslager überquellen und voll sind mit den Tragödien menschlichen Elends. Aber die Übersterblichkeits-Quote infolge der Corona-Epidemie ist x% höher als letztes Jahr. Das rechtfertigt jede Art von hektischer Intervention, auch wenn vielleicht noch schlimmere Kollateralschäden dabei herauskommen.
Ich denke manchmal sogar, wenn ich die gegenwärtigen Hiobsbotschaften über eine neue Mutation des CovidVirus lese, dass wir uns bereits wie im Mittelalter wieder in einem totalen, diesmal sogar Welt umfassenden Wahn befinden könnten. Im Mittelalter musste die Frau als Hexe für die Pest-Epidemie herhalten. Jetzt gibt es im Netz wieder eben solche WahnTheorien über die Steuerung unserer Welt durch Geheimdienste, über eine allmächtige künstliche Intelligenz. Ein politischer Eroberungswille mit Bio-Kampfstoffen aus China wird erfunden und medial verbreitet und dergleichen mehr. Heute spricht man treffender vielleicht in der Sprache der Psychoanalyse von MassenHysterie, die durch die Medien und die IT-Kommunikation immer stärker forciert wird. Gegen diese Krake scheint es gegenwärtig keinerlei Gegenmittel zu geben.
Warum ist Präsident Trump ihrer Meinung nach ein Prototyp des neuen Denkens, auch der neuen Kommunikations-Welt?
Er ist ein typischer Zeitgenosse, beherrscht zusammen mit seinen Helfershelfern die „sozialen Medien“, also die IT-Kommunikation, weiß die richtigen Computerknöpfe zu bedienen samt Infotainment, Verschwörungstheorien, Waffenhysterie, Betrug, Lüge, Aggressivität und Verleumdung. Nur er hat die Wahrheit. Er ist in unserer vollkommen säkularisierten und paganen Welt mit seinen Heilsversprechen fast Gottvater persönlich geworden. Die letzte Stufe dieser autoritären Einflussnahme auf das tägliche Leben unserer Mitbürger, um nicht von Normalsterblichen zu reden, ist dann die mediale Gehirnwäsche, wie es bildlich immer wieder genannt, auch beschworen wird. Vor allem in China scheint diese Methode der Einflussnahme und Steuerung im Sinne des Behaviorismus gut zu funktionieren.
Also typisch oberflächliches Pop-Business, nennen wir es einmal so: Nur mit Oberflächen umgehen können, unfähig sein zum abstrakten und komplexen Denken, zum Sprechen im Sinne einer partnerschaftlichen Diskussion. Auch Trumps Welt und die der sogenannten Claremonter-Intelligenz mag eine solche Wahnwelt sein. Die CoronaEpidemie hat deren Versuch einer vorerst geistigen Zertrümmerung unserer Gegenwart (neuer Nationalismus, autoritärer Führer-Kult, „alternative Wahrheiten“, Emotionalisierung der Massen, Steuerung der Medien, Zerstörung von EU und UN etc.) ein wenig in den Schatten der Aufmerksamkeit stellen können. Aber sie lebt unterschwellig weiter, sucht vielleicht sogar nach Rache für die verlorene Präsidentschaftswahl.
Irgendwie ist Trump mir aber auch sympathisch: Er gibt sich ehrlich und authentisch, auch wenn er ein ganz ausgebuffter Showtyp zu sein scheint, der mit allen Wassern des Pop-Business gewaschen ist. Er ist widersprüchlich, spontan, witzig und er zeigt sich emotional. Ein Mensch wie Du und ich. Und er drückt das alles sehr expressiv, das heißt auch hoch emotionalisiert aus. Selbst wenn das in der politischen Praxis gefährlich werden kann, wie die Geschichte der Machthaber immer wieder zeigt. Er ist auch nicht fähig, zusammenhängende Sätze zu bilden, er oder seine Ghost-Writer („Ich bin Euer Lieblings-Präsident“) veröffentlichen ganz bewusst nur gerade mal kurze und werbewirksame Twitter-Botschaften.
Trump ist mit vielen dieser Eigenschaften, die im Popbusiness oder merkantilen Bereich sinnvoll und effektiv sein mögen, vollkommen ungeeignet für das Präsidentenamt, als ein Lenker, ein Entscheider, der über ganze Völker Macht hat, auch über deren Zukunft samt Leid und Tod. Das ist eine übergroße Verantwortung, der ein solcher Mensch mit solchen Fähigkeiten nicht gewachsen ist, überhaupt nicht. Trump war für Popspektakel geeignet, aber nicht für Wahrheit und Weisheit.
Ist das nicht zu viel verlangt von einem Politiker? Sind Wahrheit und Weisheit nicht eher philosophische Kategorien?
Ja. Das ist wohl zu viel verlangt von einem Politiker. Ich mache jetzt einen ähnlichen Fehler wie Platon, der die Philosophen als Staatenlenker hat einsetzen wollen und mit seinem politischen Modell etwa in Syrakus bei dem Diktator Dionysios II. gescheitert ist. Denn es gibt einen Unterschied zwischen Denken in Büchern und praktischem politischen Handeln. Immer dann vor allem, wenn der Tod ins Spiel kommt mit Krieg und Untergang. Das sind dann die wenigen Momente der reinen Wahrheit, des spontan-schnellen und richtigen Handelns. Und dieser Wahrheit beugen sich dann alle. Jetzt gibt es definitiv nur eine Wahrheit, das Überleben. So war es in der Zeit unmittelbar nach den Weltkriegen oder ist es bei Naturkatastrophen.
Wenn Krieg und Tod und Untergang vieler Menschen ins Spiel kommen, dann muss das Schicksal schon eine große Portion Glück bereithalten, damit wir die richtigen Führer unser Staaten auch auswählen dürfen. Auswählen können.
Es gibt in der Wissenschaftstheorie zahlreiche Versuche, den Wahrheitsbegriff zu definieren. Wie gehen Sie mit diesen vielen Formen von Wahrheit um?
Also mit der Relativierung des Wahrheitsbegriffs und die Akzeptierung der Alles Geht Haltung?
Ja.
Im Durcheinander der medizinischen Theorien und Wahrheiten gegenwärtig hat sich notwendig bei vielen Menschen auch die Frage entwickeln müssen nach der Wahrheit der Wissenschaft, Wahrheit der Erkenntnis, der statistischen Wahrheit, nach Wahrheit überhaupt im philosophischen Sinne.
Wir sind keinen Schritt weiter als in der römischen Antike. Damals haben sich die beiden führenden Schulen der Zeit, die Stoiker als die Dogmatiker und die Skeptiker als die Anti-Dogmatiker um ein dogmatisches oder kritisch-skeptisches Verstehen von Wahrheit heftig bekämpft. Selbst die Bibel lässt in diesem Streit einen politischen Vertreter, Pilatus, mit seiner zweifelnden Frage nach Wahrheit in einer folgenschweren Gerichtsverhandlung, wo der Angeklagte schließlich zum Tode verurteilt worden ist, zu Wort kommen.
Ich erwähne auch gerne, um den isosthenischen Wahrheitsbegriff wieder ins Spiel zu bringen im Gegensatz zum dialektischen etwa Hegels, die Anekdote aus der Bibel vom weisen König Salomon. Es geht um eine Streitigkeit unter zwei Frauen, die schließlich vom König gelöst werden soll. Die erste Frau schildert ihr Problem; der König gibt ihr Recht. Die zweite Frau schildert ihre Sicht der Dinge und kann den König ebenfalls überzeugen. Der Berater des Königs kritisiert, er könne doch nicht beiden Parteien Recht geben. Salomon antwortet: Genau, auch du hast Recht.
Mit dieser zögerlich-skeptischen Haltung der Wahrheit gegenüber kann man jedoch nicht regieren oder über Recht und Unrecht urteilen. Mit dem Ergebnis, dass die stoische Haltung, also der dogmatische Wahrheits-Begriff, mit Hilfe des Christentums und dem Papst als oberstem Dogmatiker bei der Auslegung der Heiligen Schriften bis in die Gegenwart hinein einen großen Einfluss auf unsere Rechtsprechung, ja eigentlich auch auf die Gesetzgebung aller Staaten hat. Wenn man Sozialismus und linkes Denken als eine Säkularisierung oder Ableitung aus dem Christentum versteht und mit einbezieht.
Während die skeptische Schule immer nur im Verborgenen im laufe der Weltgeschichte weiter wirkt, weil sie selber in sich den großen formallogischen Widerspruch trägt, dass sie auch sich selber gegenüber skeptisch bleiben muss, um nicht unglaubwürdig zu werden. Das heißt dass sie doch auch wieder zu einer letztlich dogmatischen Wahrheit gelangen muss, einem Dogma der Skepsis.
Dies gilt aber nur, wenn man den Bereich der abendländischen Logik als Maßstab nimmt, wie man zur Wahrheit kommen könnte. Es gibt auch andere Möglichkeiten einer Wahrheitsdefinition, es gibt etwa gefühlsmäßig erfasste Wahrheiten, die sogar widersprüchlich in sich sein können. Lieben und Hassen gleichzeitig, das geht. Oder dass das wahr ist, was nützt, der pragmatische Wahrheitsbegriff etwa in der Ökonomie. Wahrheit ist, wenn man erfolgreich ist und Geld verdient oder Menschenleben rettet in der Medizin.
Sie sehen, es gibt viele Möglichkeiten, Wahrheit zu verstehen, zu definieren. Was das tägliche Leben und die Lebenspraxis unserer Mitbürger jedoch keineswegs leichter macht. Im Gegenteil.
Teil 2: Die Corona-Pandemie
Teil 3: Der Autor als Opfer
Teil 4: Schreiben ohne Schrift?