343 Sprechen lernen
Wieder gelesen: Interview
Frage: Nun, zufrieden?
Antwort: Worüber?
Über meinen neuen Aufsatz im Blog zur Handlungstheorie. Mit nur ganz wenigen Fremdwörtern oder Fachbegriffen.
Dafür aber viel zu viel Text.
Zu viele Worte?
Ja. Fasse dich kurz sage ich immer.
Ich nicht. Aber die Sätze sind kurz.
Was soll das denn schon wieder heißen?
Ich will wissen, was ankommt und was nicht.
Was meinst Du damit?
Weiß ich nicht.
Was soll dann diese Ausfragerei?
Du beschwerst Dich doch immer bei mir.
Worüber?
Über meine Themen.
Sie sind mir zu kopflastig, zu abstrakt. Schon gar nicht mag ich Deine Untersuchungen zur Sprache.
Mein Lieblingsgebiet. Ob Du mich wirklich nicht verstehst oder ob Du mich nur nicht verstehen willst.
Warum soll ich Dich nicht verstehen wollen?
Weil Du, Entschuldigung, zu träge zum Nachdenken bist.
Danke für dieses Kompliment. Geht’s auch noch stärker?
Wir wollen uns nicht streiten. Aber ich kann das nicht mehr hören, dieses ewige Nicht-verstehen-Können oder Mich-nicht-verstehen-Wollen.
Du solltest Dich mehr an deine Leserschaft anpassen.
Und wer ist meine Leserschaft, bitte sehr? Doch ganz bestimmt auch Du!
Ich?
Ja wer denn sonst?
Intellektuelle, Philosophie-Menschen, Künstler… Das sind Deine Leser.
Langweilig. Nur nicht Normalsterbliche wie Du und ich.
Du bist kein Normalsterblicher.
Sondern?
Du bist eine ganz besondere Gattung Mensch.
Mann-Mensch?
Das auch.
Inwiefern?
Du liebst das Kochen, das Musizieren, Kinder aufziehen, verachtest den Sex.
Den Sex? Wieso?
Mir wirfst Du du immer vor, ich wäre zu sexlastig.
Was ist denn das?
Du weißt schon, was ich meine.
Was meinst Du denn?
Jetzt stellst Du Dich wieder ganz schön dumm.
Ich und dumm?
Das habe ich nicht gesagt.
Du stellst Dich dumm.
Sexlastig soll ich sein, hast Du gesagt.
Das soll ich gesagt haben? Was soll das denn sein?
Klar. Als wir damals in der Kneipe saßen und von Sex und Liebe gesprochen haben. Du warst ganz schön betrunken.
Wir sollen von Liebe gesprochen haben ?
Warst Du nicht in mich verliebt?
In dich verliebt? Wo Du Dich doch dauernd über mich und meine Sprache beschwerst.
Das ist auch richtig so.
Wieso?
Wieso wieso, immer Deine dauernden Fragen.
Was willst Du denn dann von mir hören?
Ich weiß es nicht. Warum ich mich überhaupt darauf eingelassen habe.
Auf was eingelassen habe? Meinst Du das in der Kneipe?
Du hast mich gefragt, wie mir Dein neuer Aufsatz im Blog gefällt.
Und?
Dass er sowas von langweilig war, habe ich gesagt.
Hast Du nicht gesagt. Denn heimlich bewunderst Du mich, hast Du gesagt. Dass ich die Fähigkeit besitze lange Sätze zu bilden, bildhafte Ausdrücke… –
So bildhaft, dass Dich keiner mehr versteht.
Jetzt fängst Du schon wieder damit an!
Du hast doch damit angefangen!
Womit?
Mit Deinen Vorwürfen!
Welche Vorwürfe?
Dass ich Dich nicht verstehen würde und nur an Sex in der Kneipe denke.
Was soll das denn wieder heißen?
Verstehen ist verstehen, einfach nur verstehen, verstehst Du das nicht?
Doch schon, aber was willst Du damit sagen? Warum immer wieder das Thema Sex in der Kneipe?
Dies will ich nicht damit sagen.
Sondern?
Warum sondern?
Warum sondern? Kein Mensch fragt bei sexuellen Dingen nach dem Sondern. Jeder will’s genau wissen.
Jetzt machst Du schon wieder alles so kompliziert. Immer diese Sprachspielereien, immer dieses wie sagt man – Hinterfragen sagst Du. Du bist ja schon ganz –
Ja genau, einen Schritt weiter
Danke für dieses Lob, ich auch.
Wieso?
Wieso wieso? Mach mal halb lang. Schreib lieber weiter an Deinen Aufsätzen über das Verstehen und wie Sex und Kneipe damit zusammen hängen.
Über das Nichtverstehen, bitte sehr.
Schon gut. Wir sind ja wieder beim Anfang und können jetzt also auch Schluss machen.
Schluss machen womit?
Mit der Ausfragerei. Oder was meinst Du?
Hallo! Jetzt fängst aber Du wieder an!
Womit?
Womit womit, mit der Ausfragerei!
Ich frage Dich nicht aus. Ich bin überhaupt nicht an Deinen Gedanken interessiert.
Ich aber an Deinen.
Wieso?
Wieso wieso. Es interessiert mich, warum man so wenig verstehen kann und ob ich so unverständlich spreche.
Und mich interessiert, warum man so viel verstehen will. Wo es doch gar nichts zu verstehen gibt.
Natürlich gibt es was zu verstehen!
Nämlich?
Ob wir uns verstehen.
Verstehen im Sinne von lieben?
Jetzt fängst Du schon wieder an.
Womit?
Mit der Sprachverwirrung! Du wechselst einfach den Begriff und verstehst ihn anders als ich.
Welchen Begriff?
Du hast einen anderen Begriff einfach ins Spiel gebracht. Redest von Kneipen, in welcher wir gar nicht waren.
Welchen Begriff? Den Begriff Kneipe hast Du doch genannt.
Den Begriff Sex und Liebe.
Davon soll ich geredet haben? Und was haben wir davon?
Vielleicht nichts.
Nein nichts.
Genau. Gar nichts.
***
Nachtrag: So redete man die ganze Zeit weiter und weiter. Unerschöpflich ging das Gespräch hin und her bis in die tiefe Nacht hinein. Zwischenzeitlich bin ich eingeschlafen. Ein eigentliches Ziel gab es nicht, Neugierde war nur ein Vorwand, ganz zu schweigen vom Wissen, das gerade nicht gesucht worden ist.
Aber die Stimmung war gut trotz aller Verschieden-und Andersartigkeit. Es war ein reger, ein interessanter Austausch von Gedanken und Gefühlen. Auch wenn das Ziel unbestimmt war, auch wenn im strengen Sinn von Wahrheit und Weisheit und Philosophie bei dieser Begegnung gar nicht gesprochen werden konnte.
Aber was sind schon Wahrheit und Weisheit und Philosophie, wenn etwas ganz anderes mitschwingt und im Raum steht, über das man keine großen Worte zu machen braucht?