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Zweihundert (Interview)
Was für eine langweilige Überschrift!
Warum?
Zweimal das Gleiche! Die reine Wiederholung.
Ja, eine Tautologie.
Eine Tauto-was?
Tautologie.
Was heißt das?
Googeln! Ich bin kein wandelndes Lexikon. Vielleicht stimmt es auch nicht, was ich sage.
Und warum diese Überschrift?
Einfach so, es ist mir nichts Besseres eingefallen.
Ich weiß schon, was du mit diesem seltsamen Titel willst.
Nämlich?
Du willst auf den zweihundertsten Beitrag in deinem Blog hinweisen.
Wieder eine runde Zahl, wieder ein Jubiläum!
Genau.
Freust du dich darüber?
Ja, etwas stolz bin ich schon. Zweihundert Aufsätze. Ein ganzes dickes Buch, fast wie ein Tagebuch, was mich gerade beschäftigt hat.
Wo nimmst du nur die Energie dazu her?
Eros, der Gott der Kreativität, steckt in mir drin.
Du willst also zeugen?
Ja, es gibt Kinder des Geistes und Kinder des Körpers.
Unsterblich werden wollen wie WR?
Gut dass du den Namen nicht nennst. Auch der Stabreim war gut.
Warum immer so viel Kunst und Philosophie. Andere Blogs sind kurz und knapp und ganz nah am Leben. Vor allem deine Beiträge zur Wissenschaftstheorie mag ich überhaupt nicht. Noch mehr Philosophie, hat Derrida schon in den achtziger Jahren in seinem Collège in Paris propagiert. Es geht um Wahrheit. Nicht um Oberflächen. Das Denken kommt zu kurz in unserer Zeit, die skeptische Distanz, das Einordnen in die Vergangenheit, in frühere Zusammenhänge. Dass sich etwas wiederholt, dass man aber auch Wiederholungen vermeiden kann.
Im Guten oder im Schlechten?
Beides.
Und für wen schreibst du diese philosophischen Gedanken?
Für jeden, der mich liest!
Liebt?
Nein: liest!
Super Antwort. – Und wer liest dich?
Der das Denken üben und nicht nur Wissen sammeln will.
Was meinst du damit?
Das Wissen der Welt ist im Internet sofort verfügbar. Aber die Verknüpfung dieses Wissens zu einem inneren Zusammenhang, zu einem Ganzen, einem Verstehen, einer Verständigung, wie man ein Leben leben soll, das klappt immer weniger. Damit meine ich auch: das Sprechen-Können, das Verstehen-Können, das Zuhören-Können, die Einfühlung verkümmert. Verkümmert die Sprache, dann verkümmert das Denken. Verkümmert das Denken, dann verkümmert der –
Danke! Diese Geschichte kenne ich schon genug aus deinen Texten.
Wer ist deine Zielgruppe?
Jeder, der mich liest.
Wieder eine super Antwort.
James Joyce hat seinen Ulysses zeitweise nur drei Leuten in Triest vorgelesen. Und Franco Evangelisti hat nur neun abgeschlossene Kompositionen in seinem ganzen Leben vorgelegt.
Und die sollen dir ein Vorbild sein?
Nein. Aber manchmal reichen drei Leute zum Zuhören. Oder auch nur eine Person. Es kommt darauf an wer. Der Beifall der Facebook-und SMS-Kreaturen interessiert mich nicht.
Was meinst du damit? Ist das wieder eine Diskriminierung?
Das sage ich besser nicht an dieser Stelle. Oder vielleicht doch:
Sextus Enpirikus schreibt über das Problem, ob man das Denken erlernen und üben kann, ich rede meistens davon, eine Lebensspur zu spuren… hier, Suhrkamp Wissenschaft 499 Seite 293 –
Genug! Es reicht! Du startest genauso wie er wieder mit deinem Verwirrspiel.
Wieso?
Kein Mensch wird dir folgen wollen!
Woher weißt du das?
Beweise mir das Gegenteil!
Mich haben immer besonders schwierige Texte angestachelt und fasziniert. Aristoteles sagt vom –
Ja ja, genug! – Dein Blanchot-Text Nr.155 war das beste Beispiel davon. Einsame Spitze! – Nein danke.
Wovon?
Von Verwirrung, Unverständlichkeit und Spielerei. Der Beginn hat mir schon gereicht zum Abschalten.
Wenn du meinst…Schade. Macht aber nichts. Ich schalte auch manchmal ab.
Wie lange willst du noch weiter schreiben?
Ich wollte eigentlich jetzt mit der Zahl 200 aufhören. Ich weiß es nicht. Vielleicht solange du willst.
Ich?
Ja, du gehörst doch auch dazu.
Wieso?
Zu meiner Zielgruppe. Du liest mich und regst dich auf. Das ist doch genau das Richtige! Meine Provokation findet ihr Ziel und nützt.
Ganz im Gegenteil: ich kann mein Gerät ausschalten und schon bist du tot.
Dann mach’s doch!
Entschuldigung, es war nicht so hart gemeint. – Aber manchmal gehst du einem mit deinem Stil, mit deiner Thematik schon ganz schön auf den Wecker. Diese ewigen Sex-Geschichten. Langweilig.
Reden wir davon. Reden wir über ONS. Das interessiert jeden.
Mich nicht. Ich mache das, was ich will, und brauche keine Besserwisser.
Stimmt. Darüber mache ich mir auch immer wieder Gedanken. Entschuldige, wenn ich dir manchmal wie ein Moralapostel zu nah trete. Aber bald werden diese Geschichten auch ein Ende haben.
Warum?
Ich ändere die Thematik.
Was kommt? Ein neues Buch?
Ich starte bald mit der Dekonstruktion der christlichen Lehre.
Was meinst du damit?
Ich will zeigen, dass das Christentum eine direkte Übernahme und Weiterentwicklung hellenistischer Bräuche, Gedanken, Rituale, Philosophien, Lebensformen und so weiter war. Dass vieles von dem, was wir heute im Christentum glauben oder auch nicht, schon in der Antike vorhanden war.
Was zum Beispiel?
Das Thema Auferstehung war im ersten Jahrhundert nach Christus sehr aktuell. Eine richtige Mode. Jeder Kaiser musste in den Himmel aufgefahren sein, nur dann war er ein richtiger Gott, zu dem man beten konnte.
Als Gott?
Ja. Vergöttlicht per Senatsbeschluss. Ein Kaiser konnte aber nur nach seinem Tod vergöttlicht werden, das heißt in einem eigenen Tempel angebetet werden, wenn es einen Zeugen im Senat gab, der schwor, dass er gesehen habe, wie der Verstorbene in den Himmel aufgestiegen sei. Unter Domitian mussten dann sogar die lebenden Kaiser bereits angebetet werden. Schon vor ihrer Himmelfahrt.
Und das alles interessiert dich? Seltsam. – Wirst du jetzt zum Atheisten?
Nein. Im Gegenteil. Es hat mich immer sehr beeindruckt, dass so kluge Leute wie Platon oder Cicero oder Albert Einstein gläubig waren. Dass sie sogar die Rituale mitgemacht haben. Cicero war sogar Hoher Priester, Pontifex Maximus. Heute sagt man Papst dazu.
Rituale sind Hokospokus.
Nein, im Gegenteil. Ebenso wie die Institutionen den Staat entlasten, so entlasten die Rituale die Seele. Sie machen das Leben leichter und einfacher. Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Gebete, Eucharistie…Selbst das Liebesspiel ist ein Ritual. Auch was wir gerade machen, das Fragen und Antworten, geht in Richtung Ritual, ist fest gelegt durch bestimmte Regeln, an die wir uns halten.
Warum denkst du so kompliziert?
Ich denke und schreibe nicht kompliziert. Das Thema, das Leben, die Welt sind kompliziert. Komplex, vielschichtig. Je nachdem, mit welcher Brille du alles anblickst.
Wie sieht deine Brille aus?
Manche Menschen sind kurzsichtig, andere weitsichtig. Da ich mich oft im Bereich der abstrakten Begriffe bewege, bin ich eher weitsichtig. Wenn man abstrakten Begriffen Wahrheit abspricht, man also eher im Hier und Jetzt lebt, das heißt auch in der sinnlichen Welt des Körpers, ist man kurzsichtig.
Ist das eine Wertung?
Nein, überhaupt nicht. Jeder wie er will und kann. Beides ist wichtig.
Deine Sprache ist oft so wenig präzise. Mit unverständlichen Bildern.
Danke für dieses Lob oder diese Unterstellung. Ich verwende manchmal doppel- oder sogar mehrdeutige Begriffe, die man interpretieren muss, die nicht sofort eine einzige Sache benennen wollen. Deren Kontext, auch Sinnzusammenhang man erst erkunden muss.
Das bedeutet schon eine gewisse Anstrengung beim Lesen und Verstehen von Sinn. Ich nenne das auch gerne das “stockende Lesen“. Es ist m.E. nachhaltiger, erreicht unser Denken und Merken eher und intensiver als das schnelle, oberflächliche Lesen. Man glaubt es zu verstehen und übersieht das Wesentliche. Wie fragte früher der Lateinlehrer: Wo ist das Subjekt, was ist Prädikat…
Ich kann kein Latein.
So funktioniert auch Propaganda: Schlagworte, Oberflächlichkeiten, Ablenken von der eigentlichen Wahrheit. Das philosophische Problem dabei ist jedoch, dass es meist mehrere, vielleicht sogar gleichwertige Wahrheiten gibt. Da muss man schon einen guten und weitsichtigen Politiker als Entscheider haben. Das heißt bei den Wahlen nicht auf Vereinfacher, Marktschreier oder Schauspieler und Populisten herein fallen.
Außerdem ist unsere ganze Welt so mehr- und vieldeutig. Ununterbrochen ist man gezwungen mit seinen Erkenntnis-Organen zu interpretieren. Alles ist ununterbrochen Interpretation. Dazu gehören auch die Augen und Ohren und nicht nur unser vorprogrammierter Verstand.
Vorprogrammiert? Wer hat ihn vorprogrammiert?
Ich denke, unsere Lebensgeschichte programmiert ihn ununterbrochen. Immer wieder gibt es neue Updates. In einem gewissen Sinn bin ich auch ein Updater. Ich biete neue Zugänge an, auch zur Welt, zu einem Verstehen von Welt und Vergangenheit.
Und wer ist dein Updater, wer hat dich programmiert? Zum Teil meine Lebensgeschichte. Und ich habe die notwendigen Werkzeuge dazu mit bekommen bei meiner Geburt. Oder vielleicht auch infolge meiner seelischen, vielleicht sogar neurotischen Struktur. Du siehst, Neurosen mit ihrer manchmal großen Hyper-Sensibilität im Gefolge sind nicht nur negativ. Du hast ja auch schon Erfahrungen damit gemacht. Solche seelischen Erfahrungen oder Labilitäten sind nicht nur gelernt, sondern auch angeboren. Aber nicht nur. Man kann sie auch übernehmen, üben. Das ist tatsächlich positiv. Der aus dem Buddhismus kommende Begriff der “Achtsamkeit“, eine Form von Sensibilität, die uns Männern oft abgeht, ist gegenwärtig sehr in Mode.
Auch Gefühle spielen eine Rolle.
Schon. Damit man körperlich bereit ist, auch neue Erfahrungen mit neuen Begriffen zu machen. Sich dafür zu öffnen.
Gefühle sind der Schlüssel zu einem Palast, welcher voll Welt und Leben und Liebe ist. Manche Paläste sind leer, verkümmert, zerfallen. Andere wiederum sind schön, neu, groß und einladend. Liebe ist bei mir übrigens immer eine gelingende menschliche Begegnung, dass also Verstehen und Verständigung ins Spiel kommt, welches Fremdheit auflöst. Immer sind wir von Fremdheit umgeben.
Ich weiß. Camus und der Fremde.- Wie sieht ein solcher Palast aus?
Mein Palast ist bunt und vielfältig. Mit Ideen, Gewächsen, Menschen, Gefühlen…und mit vielen Überraschungen. Auch mit Musik.
Danke, das reicht für heute. Von meinem Palast kann ich dir leider nichts berichten. Machen wir Schluss?
Schade. Jeder besitzt einen solchen Palast, der gefüllt, der besucht werden kann. Es liegt nur an dir!
Gibt es eigentlich etwas in deinem Blog-Palast, das dich stört, das du für verbesserungswürdig hältst? Jetzt kannst du Wünsche äußern.
Ja, es trauen sich immer noch zu wenig Leute Kommentare zu schreiben. Oder mit zu diskutieren. Es gibt zwar persönliche Reaktionen im Gespräch, aber schriftlich äußern sich nur wenige.
Dabei gibt es jemanden in der Schweiz, der oder die sich regelmäßig morgens in der Früh bei mir einschaltet. Mich gerade gelesen hat, wenn ich erst aufgestanden bin. Diese Person möge sich doch bitte einmal melden!
Vielleicht fällt das Schreiben manchen Leuten zu schwer. Ich kann es auch nicht. – Wer ist denn SG in deinem Blog. Der schreibt ja ganz schön viel.
Er will nicht, dass ich ihn oute. Er ist Chef in einer großen Firma.
Ein Mathematiker?
Ja, auch ein promovierter Physiker. Aber eigentlich ist er ein Mystiker.
Baut seine Firma Autos?
Nein, aber so was Ähnliches.
Und wer ist AR? Ein Freund, der sich vor dem Leben versteckt oder den das Leben sogar verloren hat.
Wie soll ich das verstehen?
Er traut sich nicht in andere Paläste hinein zu gehn oder den eigenen Palast zu öffnen, ihn kennenzulernen.
Verfolgst du die Leser-Statistiken?
Ja. Es interessiert mich. Was gelesen wird und aus welchem Land die Leser stammen. Ihren Namen und ihre Adresse erfahre ich nicht. Wenn ein Aufsatz mit Titel extra als solcher ausgewählt und angeklickt worden ist, der weit zurück liegt, lese ich ihn noch einmal durch, kommentiere ihn oder korrigiere auch eventuell.
Und hast du dich auch schon mal geirrt?
Nein, seltsamer Weise wiederholen sich sogar einige Grundgedanken meines Denkens, die ich ganz zu Beginn der Blog-Aufsätze schon aufgeschrieben hatte.
Welche? Du verlangst ja ganz schön viel von mir!
Na klar, die du bist doch hier der Philosoph.
Ich ein Philosoph?
Wenn nicht, was dann?
Du spielst auf ein neues Lied von mir an, das ich gerade komponiert habe.
Lenk nicht ab von meiner Frage von eben.
Welche Frage war das noch einmal?