349 Wieder gelesen: Über Diktatur
In den Blütezeiten der Antike, die es wohl auch gegeben haben mag, wählte in großer Not „das Volk“, wer auch immer das war, einen Diktator. Dieser besaß für eine genau festgelegte Zeit das unumschränkte Recht, mit autoritärer Gewalt und Alleinherrschaft einen Krieg durchzuführen. Nach diesem Krieg war er jedoch verpflichtet, seine Macht wieder abzugeben an den Senat oder an das Volk. Gelegentlich ist dies auch geschehen. Die Weigerung Caesars hat jedoch diese 500 Jahre alte Tradition in Rom zu Ende geführt. Mittlerweile hat sich in der Weltgeschichte durchgesetzt, dass die Diktatoren gerade nicht dazu bereit waren, ihre Macht abzugeben, weil sie zu viel zu verlieren hatten. Nicht zuletzt drohte ihnen eine lebenslange Haft oder sogar der Tod. Das gilt zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch für das östliche Imperium samt seinen Vasallen und Geld-Herrschern, die mittlerweile alle sehr viel zu verlieren haben.Noch mehr hat aber das gesamte Volk zu verlieren unter einer Willkür-Herrschaft, die keine konstruktive Kritik erträgt, eine Kritik, die sogar gelegentlich Isosthenien, also die Gleichwertigkeit der Argumente, mit einzuschließen mag. Denn weite Teile der Bevölkerung sind überall in der Welt mittlerweile durch ausgeklügelte Techniken der Propaganda und Des-Information indoktriniert, fanatisiert, „gehirngewaschen“ und verängstigt. Diese Konditionierung-Taktik ganz im Sinne Orwells wirkt so stark und allüberall, dass die Menschen blindlings wie die Lemminge in den Abgrund gehen, zu gehen gezwungen sind. Es ist schrecklich. Presse und Medien verstärken über das Internet in noch nie da gewesenem Ausmaß das Durcheinander in der Wahrheitsfrage.
Das gilt in erheblichem Umfang auch für die KLIMA- oder COVID-Krise, wo in Fragen von Wahrheit und Hilfestellung sogar Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit vollkommen zerstritten, auch unglaubwürdig geworden sind. Wer weiß schon genau in den Fragen der Impfung, was richtig, was falsch sein kann sub specie aeternitatis, „unter dem Aspekt der Ewigkeit“? Unser Sohn, er arbeitet am Institut für Immunologie der Universität San Francisco, glaubt sogar an eine zukünftig verbreitete HIV-Infektion mancher Geimpfter – also eine Krankheit des Immunsystems – in wenigen Jahren, weil das injizierte Speick-Protein geradezu schädlich für das Immun-System sei. Ganz zu schweigen von den wissenschaftlichen Streitigkeiten und Unklarheiten in Sachen Klima – dass die Ursachenforschung in Fragen der Klima-Änderung, woran niemand zweifeln wird, noch voller Widersprüche und politisch motivierter Antithesen, auch Interessen steckt.
In einer anderen Zeit und vor mehreren Jahren habe ich den nachfolgenden Aufsatz über Diktaturen ebenfalls schreiben müssen, noch ganz unter dem Eindruck der islamistischen Bombenattentate von Paris und Brüssel. Ich war direkt mit einbezogen. Am Bahnhof in Brüssel ging fast kein Zug mehr, alles war abgesperrt und man wurde bei der Ausreise sehr stark kontrolliert. Wie froh war ich, endlich im Zug zu sitzen und abfahren zu können! Ähnliches ist mir auch in meiner Jugendzeit passiert, wenn der einzige Zug am Tag den Budapester Ost-Bahnhof Keleti pu in Richtung Westen mit mir verlassen durfte und wehmütig-sehnsüchtige Blicke am Bahnsteig ihm folgten. Mein Artikel ist bis heute aktuell geblieben, ja er ist sogar noch aktueller geworden. Die entscheidende Frage aber, wie man sich einer schlechten politischen Herrschaft erwehren, sie abwehren oder entfernen kann, diese entscheidende Frage war und ist leider auch in meinem Aufsatz nicht beantwortbar. Dass die Diktatoren der Gegenwart, die es ja überall immer mehr und mehr gibt, freiwillig aufgeben, zurück treten, ins Exil gehen, das ist sehr unwahrscheinlich geworden. Die skeptische Schule der Antike würde sagen: Abwarten, Gegensätze aushalten, was sagen Tradition und geschichtliche Erfahrung. Die Stoiker propagierten ebenfalls das Aushalten einer schlimmen Situation und: Allein es gilt, unseren Garten zu bestellen (Voltaire). Die Epikureer empfehlen stattdessen: Versuche die Gegenwart zu genießen und lebe im Verborgenen. Noch provokativer die Hedonisten um Aristipp: Suche die Lust und vergiss, Freud würde sagen: verdränge alles andere. Vor allem die Angst vor dem Tod.
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Mein ganzes Leben lang habe ich immer nur den unblutigen Zusammenbruch von Diktaturen miterleben dürfen. Ich denke an Griechenland, Portugal, Spanien, die Sowjetunion, an die DDR. Ich erinnere mich an Länder, die es nicht so tierisch ernst nahmen mit der Unterdrückung – etwa Polen, Jugoslawien; allen voran Ungarn, dessem unbezwingbaren Willen auch Ostdeutschland so viel zu verdanken hat. In Ungarn bin ich seit 1975 immer wieder gewesen, während ich der DDR und ihren Staatsbürgern erst 1989 zum ersten Mal richtig begegnet bin. Trotz und gerade auch wegen meiner häufig sehr negativen Erfahrungen mit Besuchen und Kontrollen in Berlin, vor allem in Ost-Berlin.
Die politischen “Befreiungsbewegungen” der NachkriegsZeit bekämpften sowohl die Rechts- wie Links-Diktaturen. Rechts-Diktaturen wie in Spanien, Portugal und Griechenland implodierten ohne großes Aufsehen und Blutvergießen, quasi wie ein Naturereignis. So kann es also auch gehen, dachte ich damals, geduldig bleiben, ausharren, warten bis diese Zeit zu Ende ist – dann kommt die neue Morgenröte und ganz ohne Blut. Skeptisch blieb ich hingegen gegenüber „Befreiungsbewegungen“, wie sie sich international überall in der Welt und mit großer politischer Unterstützung etwa durch Maos China oder die UdSSR entwickeln konnten. Kann man sich solche blindwütig um sich schießenden Fantasten und Fanatiker als kluge und bedachtsam abwägende Staatslenker vorstellen, fragte ich mich? – Nein. Am allerwenigsten solche, die im Namen einer selbst ernannten “Avantgarde” gezielt Menschen “hinrichteten”, als ginge es um einen Tyrannen-Mord, der von wem legitimiert war? Nur vom eigenen Denken. Selbst wenn Jean Paul Sartre in seiner maoistischen Phase Sympathie zeigte für solche Menschen und Endzeit-Fanatiker, die auch Dostojewski bereits in ihrer ganzen Ambivalenz schon so treffend beschrieben hat.
Der Widerstand gegen die Links-Diktaturen im Osten Europas war subtiler. Eine offene Auseinandersetzung im Sinne eines Krieges schloss sich infolge der Angst vor einem totalen atomaren Untergang aus. Also waren es die Mittel der Propaganda, sprich der Verführung durch lockende Werbe- und Filmbotschaften sowie durch Vertrauen bildende Maßnahmen – miteinander sprechen, Ängste abbauen, Überzeugungsarbeit leisten.
In Erinnerung geblieben sind mir vor allem Willy Brandts Ostpolitik sowie der Einfluss der grünen Abgeordneten Petra Kelley bei ihren Besuchen in Moskau und mit ihrem direkten Einfluss auf den russischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Beide haben einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für den unblutigen und friedlichen Zusammenbruch dieser Diktaturen geleistet. Wenn auch der Zusammenbruch des riesigen sowjetischen Reiches zu erheblichen KollateralSchäden geführt hat, die im Kleinen, etwa am Beispiel der Jugoslawien-Kriege, selbst in Europa zu beobachten waren und sind. Bis in die Gegenwart hinein (2022).
Die Demokratie wurde in den kreisförmig angelegten antiken StaatsTheorien, etwa von Platon oder Aristoteles, immer notwendig von einer Diktatur abgelöst. Demokratie bedeutete aber in der Antike nicht Herrschaft des Volkes, geschweige denn eine Mitbestimmung der Frauen und Sklaven, die den Großteil der Bevölkerung ausmachten. Demokratie war die Herrschaft einer kleinen Gruppe von Männern mit Bürgerrecht. Und das waren wenige. Nur sie waren wahlberechtigt und konnten gewählt werden. Während vor der Demokratie eine kleine Elite von Aristokraten oder Geldmenschen(Oligarchen) den Staat dominierten und führten, kamen nun die Menschen auch der “Mittelschicht” zum Zug und zur Mitbestimmung. Entsprechend groß war das Parlament, Senat genannt, dem in Rom jeweils zwei Konsuln als Staatslenker vor standen.
Aber auch die demokratische Staatsform führte schließlich immer wieder zu Unruhe, Krieg und Gewalt, zu ausufernder Zügellosigkeit im Inneren und Chaos. Sie förderte schließlich eine Sehnsucht nach „geordneten Verhältnissen“, nach einem starken Mann, und all dies hatte dann die Diktatur wieder zur Folge. Mit dem Endergebnis (nach Aristoteles), dass dieser neue Staatschef sich schließlich zu einem Gewaltherrscher, gar einem Tyrannen radikalisierte. Seine Staatsform überdauerte aber ebenso wenig die Zeiten – er wurde abgelöst (manchmal durch „Tyrannen-Mord“) wieder von der Herrschaft der wenigen im Sinne jetzt einer klugen und überlegenen „Herrschaft der Besten“(Platon wünschte sich sogar einen Philosophen dafür), also der Aristokratie, die immer für Tradition und Konservatismus stand.
Doch mittlerweile, was geschieht jetzt bei uns und hierzulande? – Neue Diktaturen werden scheinbar wieder gebraucht und aufgebaut, als wenn die alten und jüngsten nicht abschreckendes Beispiel genug gewesen wären mit diesen politischen Potentaten des Unheils.
Im Osten Europas brechen Narben wieder auf. Sozialneid und eine tiefe weltanschauliche Desorientierung machen sich breit, die den unbedingten Willen nach Macht nur noch unterstützen. Warum? – Weil alles nicht schnell genug ging, die versprochene Umwandlung in die bunt schillernde Werbewelt von Kapitalismus und Pseudo-Wohlleben nur mit heftigen KollateralSchäden und Opfern gelingt.
Der islamistische Kreuzzug, ebenfalls eine indirekte Folge des Zusammenbruchs der östlichen Glaubensgemeinschaft und Ideologie, krallt sich an alten Mustern fest, die sich der Globalisierung und allgemeinen Transformation unserer Welt zu widersetzen suchen, gerade auch mit Hilfe des Internets. Digitalisierung, Internet-Populismus und Roboterisierung haben sich gleichwohl jeglicher Kontrolle entzogen und führen ein Eigenleben jenseits von rationaler Steuerung oder Hinterfragung nach langfristigen Zielen, Sinn und Teilung von Macht.
Auch das alte philosophische Problem von Wahrheit und Wahrheitsfindung („Faktizität“) stellt sich wieder umso dringlicher: Wie kann die Ablösung der Experten (“Expertogratie”), des allgemein anerkannten Wissens, des rationalen Diskurses innerhalb einer Kommunikations-Gemeinschaft als Folge der so genannten “sozialen Medien” und Mitbestimmung aller im Internet in der Gesellschaft abgefedert, kompensiert werden?
Wie mit den absehbaren Endzeiten, was das traditionelle Lesen, Schreiben, Verstehen und Zuhören betrifft, umgehen? Wie wird sich Wahrheit zum Beispiel bei der Staatslenkung zukünftig im ungezügelten politischen Infotainment des Internets durchsetzen können? Was ist Meinungsbildung im Pluriversum der unzähligen „richtigen Meinungen“ im Netz, all dieser vielen like- und share-Knöpfe, wenn alles geht und es auch keine Schamgrenze oder allgemeine Moral mehr gibt?
Wie kann der zukünftig notwendige Zusammenprall von der virtuellen (Spaß-)Welt der Bildschirme mit ihren tausend Wahrheiten – alles wird “Show”, “Fake”, sogar die Politik – und der Realität abgeschwächt, abgefedert werden? Ich wiederhole mich resignierend und schreibe nur noch von einer „Abfederung“. Welche neuen Kollateralschäden sind zu befürchten oder bereits auch politisch schon eingetreten? Denn im Bereich der Kultur sind mittlerweile heftige Umbrüche und Zusammenbrüche zu beobachten.
Auch die zahlreichen Gegenbewegungen gegen die Moderne, die Entwicklungen der Aufklärung in Frage stellen und sogar die Menschenrechte als “eurozentrisch“ zu opfern bereit sind, radikalisieren sich mit ihren selbstmörderischen theokratischen Strategien bis hin zur Gedankenlosigkeit in Richtung Führer-Diktatur, ja bis zur Besinnungslosigkeit. Gegenstimmen, die notwendig sich in einem solchen schmerzlichen Prozess der Transformation und Änderung immer entwickeln müssen, werden als erste ausgeschaltet, wenn nicht sogar eliminiert (vgl. auch meinen Aufsatz über Eurozentrismus im Blog Nr.45).
Der Osten Europas, aber vor allem auch die Islam-Staaten, erinnern sich wieder, bewusst oder eher unbewusst, an Verhaltensmuster aus den Zeiten der Diktatur, wie mit Konflikten und Problemen radikal und brachial umgegangen worden ist und umgegangen werden kann. Die Flüchtlingskrise verschärft noch die Sehnsucht solcher Menschen nach der verlorenen (seelischen) Heimat, nach Stärke und Identität im eigenen Land, in Beruf und Familie, im Staat. Unterbewusst bildet sich wieder der Wunsch nach selbstbewusster Führung, nach einfachen Antworten in blasenhaften (Internet-) Gemeinschaften, nach dem starken Mann und nach Ruhe im Land vor zu viel Ungewissheit, Komplexität, Fremdheit und Neuem. Ich trage nur zusammen, was die Frankfurter Schule, etwa Horkheimer, schon vor der Nazi-Zeit bereits warnend über den „autoritären Charakter“ und seine Folgen beschrieben hat und was dann in Form eines neuerlichen und verheerenden Weltkriegs tatsächlich auch eingetreten ist.
Zu dieser Verunsicherung gehört gerade auch, ich wiederhole mich, die heftig hereinbrechende Welt der Digitalisierung mit Computern, Internet, Taschencomputern (Smartphones) und Robotern, die den Zusammenbruch des alten Industriezeitalters teilweise auffangen, meist aber eher nur beschleunigen werden.
Das Neue und Fremde in unserer Zeit verunsichert sehr und macht Angst, gerade weil es mit einem scheinbaren Alles-Geht-Liberalismus daher kommt. Es destabilisiert unser Weltbild, was Wahrheit ist und wie sie – und mit welcher Sprache vor allem – im allgemeinen Diskurs selbst der Wissenschaften gefunden werden kann. Es destabilisiert unser ganzes Wertesystem einschließlich unserer Vorstellung von Liebe und Leben und wie ein Staat gelenkt werden soll. Auch Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit sind an eine Grenze gestoßen, die alles zu relativieren und in Frage zu stellen versucht. Das ganze kommunikative System Wissenschaft jenseits der kapitalistischen Merkantibilität scheint vor einem Zusammenbruch zu stehen. Wer interessiert sich heute noch für Wissenschaftstheorie oder Philosophie? Wer liest alle diese meine Aufsätze noch, versucht sie zu verstehen?
Diese Unsicherheit und Labilität als ein sich weltgeschichtlich immer wieder zeigendes vorübergehendes Phänomen auszuhalten und nicht auf ausgetretenen Pfaden eine zukünftige Richtung zu suchen, das ist m.E. das sehr schwierige Gebot dieser Stunde.
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vgl.auch meinen Aufsatz über IT-Kommunikation und Opfer (338ff) sowie über Blasen und Gruppen-Inzest (314ff)