353 Unterwegs nach Luzern Brief an Lucilius 13
Über Popmusik
Du bist unterwegs nach Luzern. Damit Dir die Reise nicht zu langweilig wird, sende ich Dir diesen Hit aus der aktuellen Pop-HitParade für deine private Playlist, auch zum Tanzen, damit du nicht zu einseitig wirst. 😉
Es ist ein Elektropop Stück mit einer typisch modalen Kadenz, wie ich sie mehr oder weniger verschlüsselt immer wieder auch in meiner Musik verwende. Weshalb diese Musik bei der Jugend, sofern sie durch großbürgerliches Gehabe oder autoritäre Indoktrination nicht vorbelastet ist, so gut ankommt.
Die alte Kadenz Tonika(T), S, D einschließlich „Dissonanzen“ wie Septimen oder Nonen meidet die Popmusik wie der Teufel das Weihwasser, um nicht in die Schlager-Ecke gedrängt zu werden. Stattdessen gibt es im beigefügten Beispiel jetzt nur eine modale Harmonik mit aufsteigenden Quinten im Bass, in diesem Fall g-Moll, d-Moll (Moll-Dominante!), F-Dur, C-Dur. Moll-Dominanten waren über Jahrhunderte in der Harmonielehre verboten, ebenso wie die Rückungen S nach D statt S vor D in der Kadenz, wie sie in fast jedem Rock‘n‘Roll-Hit vorkommen. Sogar im lärmenden Satz meiner Geigensonate, die jetzt von den beiden russischen Musikern Oganes Arustamov und Evgeny Alexeev wieder einstudiert wird.
Du wirst auch in meiner Musik keine Septimen oder Nonen finden, geschweige denn die ursprünglich alte traditionelle Kadenz C Dur- F Dur- G Dur- C Dur oder in Moll t,s,D, t…
Ich weiß nicht, ob Du diese hierzulande verwendete Schreibweise nach Riehmann kennst. Ich musste in der Harmonielehre-Prüfung einen Bach-Choral harmonisieren nach den Regeln der Kunst, also Parallen und Rückungen, wie sie ganz spät erst die Impressionisten eingeführt haben, waren streng verboten -Prüfung nicht bestanden!
Von dieser strengen Schule auch der Kontrapunkt-Lehre übernehme ich sehr gerne jedoch seit einiger Zeit den Grundsatz, dass jede Stimme in der Begleitung der Melodie eigenständig und schön sein muss und Gegenbewegung angestrebt werden soll.
Ich muss bei diesem Popsong, sobald ich ihn höre im Radio oder sonstwo, immer wieder an dich denken.Ich weiß nicht, ob der Text zu deinem Leben passt, vielleicht eher nein. Aber die Grundfrage des Liedes „Are We Young Right Now?“ bleibt doch immer gültig in vielen Lebens-Abschnitten.
Mich selbst wage ich nicht zu befragen: „Are we Old Right Now?“, obwohl das doch genau mein Thema schon die letzte Zeit ist, wo der allmähliche Abbau sogar wichtiger Funktionen des Körpers immer mehr einsetzt und mich erschreckt.
Ich schreibe diese Zeilen eher für mich. Du brauchst sie weder zu lesen noch darauf zu reagieren. Was nicht ausschließt, dass ich gerne bereit bin, gewisse Punkte mit dir zu besprechen. Immer wieder mit der Devise meines so sehr geschätzten langjährigen Philosophie-Professors und -Mentors Karl Otto Apel: Denken und reden will ich über ein Leben, wie es ist, sein könnte oder sein sollte.
Das gilt nicht nur für die Kunst, sondern für das private Leben ebenso.
So viel für heute und viele Grüße!
Reinhold Urmetzer
Young Right Now/ Robin Schulz