352 Teheran – Von der Begegnung der Religionen
Bücher von Reinhold Urmetzer in Nr.282
Den folgenden Briefwechsel mit SG habe ich bereits vor sechs Jahren geführt. SG war Manager in einem großen deutschen Industrie-Konzern. Es war eine ganz andere Zeit, die gerade noch nicht für Diktaturen bereit war. Selbst ein Appeasement mit Persien schien möglich. Eine Zeit aber, die sich dennoch bereits wendete. Vom „Ende der Geschichte“ wurde immer weniger gesprochen. Dafür umso mehr vom Clash of Cultures. Dieser Zusammenprall der Kulturen scheint tatsächlich medial herbeigeschrieben worden zu sein ähnlich anderen, mittlerweile die ganze Welt betreffenden Ereignissen, etwa die Covid-Horror-Szenarien in China oder der nostalgische Konservativismus, die Sehnsucht nach dem, was wir verloren haben..
Doch die Begegnung der Religionen, das Sich-gegenseitig-Kennenlernen -Wollen bleibt. Selbst wenn die russisch-orthodoxe Kirche in Moskau sich mittlerweile isoliert und Fanatiker im Islam weiterhin an die Macht drängen. Auch im Mittelalter hat man im Namen des richtigen christlichen Gottes – katholisch oder protestantisch?- einen selbstmörderischen Kontinentalkrieg entfesselt, der 30 Jahre lang gedauert hat. Selbst wegen der philosophisch rein abstrakten Frage, ob Allgemeinbegriffe existieren können oder nicht, hat es Duelle und heftige Auseinandersetzungen gegeben.
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Letzten Samstag habe ich bei einer Studioaufnahme zusammen mit dem Sänger Frazan Kotwal und dem Matutina Ensemble den Gott Mazda kennengelernt. Er ist der Gott der Zarathustra-Religion, die noch älter als das Alte Testament der Juden ist und wo vielleicht Parmenides und Platon ihre Idee des Guten gefunden haben, die ein wichtiges Attribut auch dieser Gottheit ist. Gut denken, gut sprechen, gut handeln ist das moralische Hauptgesetz, welches der Prophet Zarathustra im Namen Mazdas in die Welt gesetzt hat.
Frazan Kotwal ist ein Anhänger dieser Religion, die nur geerbt, nicht erworben werden kann. Infolgedessen ist diese Glaubensgemeinschaft sehr klein, exklusiv und hat nur noch wenige Gläubige vor allem in Indien. Dafür wird sie dort sehr geschätzt, besitzt ein hohes Ansehen quasi wie eine Kaste und wird offiziell vom Staat unterstützt, ja sogar gefördert. Freddy Mercury (Queen), der Dirigent Zubin Metha oder der Stahl-Magnat Tata waren/sind Zarathustrianer.
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Stuttgart, 10.1.2016
Lieber SG,
Ich denke, Ihren Text können wir so sehr gut abdrucken. Er macht die Religionen miteinander etwas bekannter. Der biografische Kontext zeigt auch den Lesern das Leben so spannend und unmittelbar, wie es uns umgibt. Und nicht immer nur die Abstraktionsebene, wie sie (zu) oft im Blog vorkommt.
Sie können im Text auch ändern oder kürzen, was Sie wollen. Bitte den Text dann in der Kommentarspalte zum Gottesdienst-Blogeintrag Nr.185 einfügen.
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Teheran, im Januar 2016
Lieber RU,
Vielen Dank für die Veröffentlichung zum Gottesdienst. Am Sonntag, 1.November, findet natürlich auch in St. Maria ein Heiligengedenken statt. Ich soll sogar die Allerheiligenlitanei vorbereiten.
Ich bin wieder zurück aus Teheran. Es war eine sehr eindrückliche Reise. Natürlich war ich auch einfach froh, bei der Beerdigung meines Schwiegervaters (er ist fast 100 Jahre alt geworden)dabei sein zu können. Das Zusammensein nach dem Tode eines Familienangehörigen ist dort noch wichtiger als hier. Wegen des Ashura-Festes (größtes Trauerfest im schiitischen Islam im Gedenken an den Tod von Hussein, dem Sohn des Imam Ali, mit vielen öffentlichen Umzügen und blutigen Aufführungen der damaligen Schlacht) fand die Beerdigung erst zwei Tage nach dem Tod statt. Sonst wird ja schon am Todestag beerdigt. Sonst hätte ich gar nicht teilnehmen können.
So habe ich erstmals auch die Zeremonien der Aufbahrung und Trauerfeier im Haus, der Straßenprozession, der Leichenwaschung, einer Statio auf dem Friedhof und schließlich das Begräbnis selbst miterlebt.
Am Abend traf man sich dann bereits erneut, diesmal Männer und Frauen getrennt. Die Männer haben erst alte persische Gedichte rezitiert und dann erneut Trauergesänge zum Ashura-Fest angepasst an den Trauerfall gesungen. Schließlich war gestern eine große Trauerfeier in einer Moschee mit Hunderten Teilnehmern. Die Familie meiner Schwiegereltern kommt aus einem kleinen Ort im iranischen Azerbeidschan. Die Menschen von dort bilden quasi einen Clan und haben Ihre eigene Moschee. Ich erfreue mich nunmehr der besonderen Gunst des Clanchefs.
Ich habe ständig die gregorianische Sequenz “Dies Irae” im Kopf gehabt. Es ist ein Text von ungeheurer poetischer Kraft und es ist ein kulturelles Verbrechen ersten Ranges, dass sie nicht mehr Teil des Requiems ist. Der Weltenrichter dort ist der, der den Menschen wie dem verlorenen Schaf nachgeht: “Ermüdet von der Suche nach mir hast du dich niedergesetzt.” Wunderbare Bilder.
Es grüßt
SG