358 Über Krieg und Freiheit(1)
Bücher von Reinhold Urmetzer in Nr.282
Geschrieben 2017, überarbeitet VI/2023
Überall in der westlichen, d.h. auch freien Welt, bilden sich gegenwärtig Isosthenien, also Patt-Situationen.
Warum? – Ich denke, seitdem das östliche Imperium weltanschaulich und ökonomisch zusammen gebrochen ist, braucht es einen neuen Gegner, um die eigenen Positionen zu klären und zu festigen. Auch um eine gleichgesinnte Anhängerschar um sich zu scharen, worin man sich quasi wie in einer geistigen Heimat wohl und zu Hause fühlen kann. In der Relativität, in der Alles-geht-Haltung zu schwimmen befriedigt auf die Dauer niemanden.
Gegensätzliche Postionen haben sich überall in der Welt mittlerweile gebildet und verfestigt. Wobei ich beiden Seiten gute Argumente und wohlmeinende Interessen oder Motivationen gerne unterstellen möchte. Denn die Wahrheit kann vielfältig sein und sie betrifft nicht immer jeden. Je nach Brille und Blickwinkel sieht die Welt einmal rot, einmal schwarz oder grün oder wie auch immer aus. Wobei der Blickwinkel von der körperlichen und geistigen Natur eines jeden einzelnen vorgegeben wird, von seiner genetischen Veranlagung, seiner Erziehung, Bildung, seinen Lebenserfahrungen etc.
Besonders offensichtlich ist die Gespaltenheit unserer Welt gegenwärtig in Großbritannien (Brexit) und in den USA mit einem gleich großen demokratischen wie konservativen Lager. Wobei sogar die beiden Zentralbegriffe „Demokraten“ und „Konservative“ wieder in Isosthenien zerfallen sind und das eine wie das andere bedeuten können. Querverbindungen und spontane Meinungsänderungen entwickeln sich quasi zwangsläufig.
Man vergleiche auch die kürzlich erfolgte Abstimmung in Katalonien. Nicht nur, dass die Interpretation der Wahlergebnisse, also der Zahlen, unklar und gespalten ist. Hinzu kommen wieder einmal schwer wiegende politische Verhandlungsfehler der Mächtigen, die sich sowohl auf die Gesetzeslage wie auch auf den Volkswillen berufen können.
I
Wie geht es nun weiter in der Politik, wenn sich solche Isosthenien gebildet haben? Darf die hauchdünne Mehrheit (51%) die große „unterlegene“ Minderheit (49%) beherrschen, niederknüppeln oder gar in Gefängnisse sperren?
In der Sprachphilosophie ist das Problem bekannt. Nicht zuletzt schon seit den antiken Skeptikern, die sich gar nicht mehr festlegen wollten auf irgendwelche Wahrheiten und Positionen.
In der deutschen Sprachphilosophie, die eher linkslastig war, also ihre Ideen von Marx und Freud hergeleitet hat (Freudo-Marxismus), etwa die der Frankfurter Schule, geht man mit solchen Situationen fast schon ganz im linguistischen Sinne um. Das heißt es wird eine Dogmatik quasi wie ein Lehrbuch der sinnvollen oder auch richtig/falschen Argumentation entwickelt, an die man sich zu halten habe, wenn man in einer Kommunikations-Gemeinschaft ernst genommen werden will. Das bedeutet, dass man gehört, beachtet, anerkannt werden will als gleichwertiger Gesprächspartner. Verhandlungen auf Augenhöhe, nennen das manche Politiker. Man will also mit „guten“, „starken“ Argumenten den jeweiligen anders Denkenden bei Handlungs-Entscheidungen, denn nur darum geht es, auf seine Seite bringen, ihn überzeugen. Auch auf diesem Spezialgebiet der Sprachwissenschaft hat sich eine umfangreiche linguistische Literatur gebildet mit dem Ziel, eine sinnvolle und überzeugende ArgumentationsStruktur fest zu legen, zu definieren.
Aber auch auf der anderen, gegnerischen Seite, die von Wittgensteins Sprachphilosophie und dem sich daran anschließenden Logischen Positivismus ableiten lässt (um nur eine der sich daraus formierenden philosophischen Richtung der analytischen Philosophie, auch Philosophy of Science, zu nennen), gibt es eine rigorose Dogmatik der SprachReinheit, der SpracheEffizienz und SprachWahrheit, die sich auf formal logische, letztlich auch informationstheoretisch von Maschinen und Geräten überprüfbare Argumentationen stützen will, stützen darf, muss, kann.
Mit dem Ergebnis, dass man in beiden gegnerischen Lagern gleichwohl keinen Schritt weiter gekommen ist. Weder konnte man überzeugte Marxisten oder auch nur Sozialdemokraten von der sekundären Wichtigkeit des sozialen Gedankens und sozialer Gerechtigkeit überzeugen noch konnten umgekehrt SprachPuristen in ihrer Einseitigkeit und Dogmatik vom logischen Konstruktivismus ihres Denkens (und Handelns) weg gebracht werden. Wahr ist nämlich dort nur das, was im naturwissenschaftlich-mathematischen Sinn als wahr bewiesen werden kann. Wahrheit ist mehr als nur subjektive Interpretation.
Oder, im Sinne des kapitalistischen Neo-Liberalismus gesprochen: wahr ist das, was dem allgemeinen Wohlleben und Geldausgeben dient. Spaß und Genuss (die antike Lust) stehen also mittlerweile an erster Stelle in unserem westichen WerteKanon für den LebensSinn.
Aristoteles glaubte noch an die zwingende Überzeugung der formalen Logik, die er für viele Jahrhunderte, ja fast zwei Jahrtausende in LehrbuchForm festlegen konnte. Dass beispielsweise das Denken sich nicht in Widersprüche verwickeln dürfe etc. Aber auch dieser Punkt ist mittlerweile nicht mehr unumstritten. Ich habe oft genug in meinem Blog mit Bezug zum Buddhismus oder auch Taoismus darüber geschrieben. Nicht zuletzt hat auch die Gender-Thematik, welche weibliches und männliches Denken zu unterscheiden sucht und es als gleichwertig gegeneinander stellt, alte logische Grundsätze in Frage gestellt, ja ausgehöhlt.
Die KonsensTheorie von Jürgen Habermas, im Grunde gegenwärtig das am meisten akzeptierte philosophische Modell unserer westlichen Debattenkultur und DemokratieVorstellung/Interpretation mitsamt ihrer umstrittenen linguistischen Unterscheidung in starke und schwache Argumente, wird gleichwohl nicht von jedermann akzeptiert. D.h. es gibt nicht nur im Lager der autoritären oder diktatorischen Herrscher, sondern auch unter Sprachwissenschaftlern Gegner der Konsenstheorie, die einen „billigen Kompromiss“ ablehnen und nicht zuletzt sogar im Sinne einer Elitenbildung von manchen Demokratien als einer unzumutbaren Diktatur der „dummen Mehrheit“ sprechen. In einem von mir 1985 in der taz veröffentlichten Interview mit François Lyotard hat der einflussreiche französische Philosoph sogar vor der Gefährlichkeit mancher Mehrheits-Entscheidungen gesprochen.
Was ist nun der Archimedes Punkt, von dem das Denken, das Überzeugen, das Sprechen und Verstehen ausgehen kann?
Diese so genannte Letztbegründung, auf die alles zurückgehen und von wo jedes sinnvolle Sprechen ausgehen muss, hat Karl Otto Apel festzulegen versucht und beschrieben. In einer Kommunikationsgemeinschaft muss jeder dem anderen zuhören wollen und zuhören können, sagt er. Man muss die Sprache sprechen und verstehen können. Man muss das Gegenüber, dessen Interessen, Absichten, Hintergründe durchschauen lernen und für gut, für schlecht befinden dürfen. Und man muss mit einer gewissen Offenheit und wohlmeinenden Gutherzigkeit auch in ein KonfliktGespräch gehen. Selbst ein Widersprechen würde nur wieder Apels These beweisen, dass man sich seinem „Sprachspiel“(Wittgenstein), seiner Art von Denken und Sprechen und Argumentieren angeschlossen habe. Nämlich auch Widerspruch und Gegensätze zu akzeptieren.
Was ich und wir im Grunde ebenfalls gerade ebenso machen: Ich versuche zu überzeugen; Ihr, meine Leser, versucht diese meine in Schriftform festgelegten Gedanken zu lesen, sie zu verstehen, ihnen zu widersprechen(2). Also sind wir eingebunden in ein Denken und Sprechen, das zu einem Ziel kommen will, welches Verstehen und Verständigung heißt. Bildhaft ausgedrückt spuren wir zusammen und vielleicht sogar voller Widersprüche und Dissonanzen eine Spur, die wohin fuhrt? – Das müsst ihr selber wissen. Ob zum Glück oder Unglück, Konsens/Dissens, zu Himmel und Hölle, dem Blumengarten um die Ecke oder zu Rihms gewalttätigen musikalischen Tutuguri- Explosionen, wer weiß…Aber bereit seid Ihr, das Gegenüber ernst zu nehmen und ihm zuzuhören. Selbst wenn ihr es besser wisst. Und bereit seid ihr (hoffentlich) auch zu einer Änderung Eurer Position.
Noch nicht einmal Glück kann ich euch als Lebensziel empfehlen, weder Lust noch Askese, weder ein Leben allein oder in einer Großfamilie – wir können es nicht mehr, wir, das heißt die Weltkultur, schaffen keine Verallgemeinerung mehr, was dieses Thema betrifft. Dazu ist unsere Welt zu groß, zu vielfältig geworden, die Globalisierung zu weit bereits fortgeschritten. Das ist das Problem.
Doch führt eine solche LetztBegründung, dass wir alle in einer KommunikationsGemeinschaft sind, aus der Falle von Nichtverstehen, Nichtverstehen-Wollen und Ablehnung heraus?
Ich glaube nein.
Was tun, wenn jemand gar nicht zum Sprechen, zum Dialog, zu Verhandlungen bereit ist? – Ich denke, in solchen Momenten gibt es immer wieder nur einen atavistischen Rückfall in die Gewalt, in die Macht der Gewehre. Es ist die Zeit von Totschießen und Leid; Zerstörung, Trauer und Verzweiflung gewinnen die Oberhand, bis schließlich beide Parteien so erschöpft sind (mit und ohne „Sieg“), dass ein Ende und ein Neubeginn absehbar sind.
Solche kriegerischen Momente gibt es immer wieder, und scheinbar sind sie auch nicht ausrottbar. Die Verkrüppelung von Denken und Sprechen führt notwendig auf direktem Weg zur Verkrüppelung des Menschen und schließlich zu seiner Zerstörung – sowohl beim Sieger wie bei den Besiegten.
Was für ein Sieg wird gegenwärtig in den TrümmerWüsten Syriens, im Irak, überall in der kriegerischen Welt gefeiert?! – Ja, ein Neuanfang steht bevor. Aber welche KollateralSchäden hat es gegeben, wird es weiterhin geben?
Manchmal glaube ich sogar resignierend, dass eine Population im Sinne von Selbstzerstörung einen solchen Zusammenbruch braucht, um wieder neu beginnen zu können. Nichts geht mehr – wie in einem kranken Körper, der in einem Heilungsprozess alle Kräfte noch einmal sammelt oder untergehen muss. Vielleicht sogar untergehen will; siehe Freuds Theorie von einem Todestrieb oder sogar die Diskussionen um ein Todeshormon, welches die Alterung einleitet im menschlichen Körper.
II
Für Heraklit, den großen Pessimisten unter den antiken philosophischen Schulgründern, war der Krieg der Vater aller Dinge. Gegensätze bestimmen Welt und Wirklichkeit. Ihr Zusammenstoß bewirkt Werden, Entwicklung, Fortschritt. Es bedeutet auch permanente Veränderung und permanente Dynamik in der Welt. Pessimistisch war er nur wegen seinem Glauben an ein eschatologisches Ende der Welt – der große Weltenbrand wird allem ein Ende bereiten. Krieg gibt es aber nicht nur im Denken und in der Logik. Er existiert im sozialen Bereich ebenso – als Krieg der Menschen, der Populationen, der Staaten gegeneinander.
Antithetisch dazu gibt es mittlerweile auch Versuche, eben solche Kriege im Kleinen wie im Großen zu verhindern. Es gibt Friedensforschung und Konfliktmanagement. Wie man aggressive Auseinandersetzungen vermeiden kann selbst in den Paarbeziehungen.
Es gab aber auch schon in der Renaissance Vorschläge und Theorien zum Machterhalt des Fürsten (Machiavelli). Wie man Menschen und Gruppen erfolgreich unterdrückt, sie sich gefügig macht, sie ausnutzt, sie beherrscht. Machterhalt und der Wille zur Macht wird geradezu als eine Notwendigkeit gesehen und verherrlicht. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Nietzsche ist sich immer wieder jeder selbst der nächste. Im Sozialdarwinismus darf jeder des anderen Wolf sein und nur der Stärkere überlebt.
Dabei geht es nicht nur um atavistisch-kindliche Machtspiele oder Interessen-Gegensätze: Ich will dieses Ölfeld besitzen; nein ich will dieses Ölfeld besitzen. Denn um das Ziel durchzusetzen, das Ölfeld zu besitzen, kommen letztlich auch abstrakte Werte als Worte mit ins Spiel, über die man sich verständigen muss, die zu allererst einmal das Gegenüber verstehen, damit einverstanden sein muss. Damit einverstanden, das heißt: den Sinn verstanden haben muss auch gerade ohne eine Zustimmung.
Die Vorbedingung eines Konfliktes ist also oft ein vorausgehendes Nicht-Verstehen; auch ein Nicht-verstehen-Wollen. Die Militärwissenschaft, auch das gibt es tatsächlich, spricht und definiert hingegen nur lapidar-oberflächlich von einem Interessenkonflikt, einem Machtkonflikt, einem Zielkonflikt, einer persönlichen Rivalität und so weiter.
Doch ich denke, dass allem ein Verstehenskonflikt vorausgeht, der ein Nicht-verstehen-Können oder Nicht-verstehen-Wollen von Sprache voraussetzt. Mit Sprache, also im Dialog, am besten sogar Auge in Auge, lassen sich Missverständnis und Unverständnis oft verhindern und sogar beseitigen.
Wie jedoch diese Sprache des Gegenüber verstehen lernen in einem solchen Konfliktfall? Wie sich öffnen für das Gegenüber, dass dessen Sprache und auch meine Sprache kompatibel, verstanden werden können? Selbst wenn wir die gleiche Landessprache sprechen und dennoch uns nicht verstehen?
Das ist nicht zuletzt – auch Psychologie hat damit zu tun – die ehrenwerte Aufgabe der Hermeneutik. Eine oft vergessene Wissenschaft und Lehre, die es schon seit der Antike gibt, über die gleichwohl bis heute nur wenig gesprochen, die nur selten gelehrt wird.
Wenn meine Beobachtung stimmt, dass wir meist, wenn nicht sogar immer Fremde unter- und miteinander sind, so fremd wie die unterschiedlichen Tier- und Pflanzenarten, so denke ich, dass gerade deshalb und dennoch eine allgemeine Sprache gefunden werden muss, mit der wir uns verständlich machen können. Diese Sprache zu finden und zu unterrichten wäre die Aufgabe einer neuzeitlichen Hermeneutik (3).
Eine solch allgemeine Sprache ist auch die Sprache der Gefühle, die der Gesten. Das Lachen, das Lächeln und Weinen ist in allen Kulturen ähnlich, wenn auch nicht gleich. Die Intensität des Gefühlsausdrucks und der Gefühlswahrnehmungen sind jedoch sehr unterschiedlich, unterschiedlich sogar in einer einzigen Kultur unter den Menschen. Ich denke, dass die Fähigkeit zum Fühlen, vor allen Dingen auch zum Worte finden für diese Gefühle, eine große kulturelle und kreative Leistung sein kann, welche NichtVerstehen und Missverständnisse verhindern kann. Es muss aber dennoch und ganz jenseits von einer Verbalisierung der Gefühle auch noch darüber hinaus eine rationale Sprache gefunden werden, mit der wir uns über die wichtigsten Werte, wie ein Leben gelebt werden soll, austauschen und verständigen können.
Ich denke, diese allgemeine Sprache sollte immer noch und immer wieder die alte philosophische Sprache sein, wie sie in der griechischen und römischen Antike begründet worden ist. Das heißt auch gefunden worden ist. Diese Sprache wurde zwar wie alle Sprachen überhaupt übersetzt und immer wieder weiter entwickelt durch Fachbegriffe, durch Neuerfindungen, die neue Worte einbringen in den Diskurs. Aber dennoch hat sich die philosophische Sprache vor allem im Kanon der Philosophie-Geschichte bis heute gehalten. Und dies auch ganz jenseits jeder philosophischen Fachsprache, etwa der sprachphilosophisch orientierten Wissenschaftstheorie und dgl.
Auch ich bewege mich jetzt mit dieser meiner Sprache in der allgemeinen Sprache, wie ich glaube. Zwar mit einigen Abweichungen und Hinzufügungen aus meiner philosophischen Herkunft und Schule, aus der ich stamme (alte und neue Frankfurter Schule, Soziologie, Psychoanalyse, die französischen Philosophen). Aber dennoch glaube ich, dass jeder einigermaßen in der Philosophie-Geschichte gebildete, d.h. auch ausgebildete, mit Lernerfahrung aufgewachsene Mensch diese Sprache der Philosophie der Vergangenheit gelernt hat, sie verstehen und sprechen kann. Dass also jeder dieser Menschen auch meine Sprache relativ leicht verstehen und sich am Sic et non-Gespräch beteiligen kann.
Der einzige Manierismus, den ich mir weniger im semantischen Sinne als eher stilistisch erlaube, ist eine Eigenart des Satzbaus: Dass meine Sätze im Sinne auch von Satz-Konstruktionen nicht zu kurz geraten, sondern dass ich Satzkonstruktionen mit vielen Nebensätzen baue, weil ich diese ästhetisch einfach ansprechend finde. Sie machen eine Sprache lebendiger, das heißt auch musikalischer. Das ist eine rein emotionale und deshalb zwangsläufig wohl auch irrationale Entscheidung, an die sich der Leser aber, so hoffe ich, doch leicht gewöhnen wird, wenn er sich hinein vertieft hat in diese meine Sprache und ihren Stil, in dieses mein langjähriges Blog-Schreiben allgemein.
Doch was tun, wenn bei Auseinandersetzungen und im Konfliktfall eine Sprache jemand nicht zu lernen bereit sein wird? Wenn man diese Sprache nicht sprechen, nicht verstehen will? Wenn alles vergiftet ist durch Lügen, Scheinwahrheiten und Fälschungen? – Ich denke, dann ist alles verloren, selbst wenn es immer wieder auch Vermittler, Übersetzer und Dolmetscher gibt. D.h. Unverständnis und Sprachlosigkeit nehmen überhand und wir sind in einem Zustand der babylonischen Verwirrung und Ratlosigkeit, die unsere so wohl gebauten großen Türme von Wissenschaft, WohlLeben, Luxus und Vergnügen ganz bald einstürzen lassen werden.
Interessen-Kollisionen bis hin zu Krieg und Bürgerkrieg sind die notwendige Folge.
III
Was dagegen tun?
Ich denke, resignierend und in die Zukunft der technischen Möglichkeiten blickend, dass in diesem Fall nur die fragwürdige Dichotomie im eschatologischen Sinne eines vollkommenen Untergangs und einer weltweiten Katastrophe oder politisch gesehen eine Technokratie die Lösung sein wird. Die ganz bewusste Steuerung der Bevölkerung auf ein vorgegebenes Ziel hin, nämlich „ keine Konflikte“, das einige wenige Auserwählte, „Eliten“, welche die Macht besitzen, skrupellos ausnützen dürfen, ausnützen müssen, soll nicht alles in einer weltumspannenden Katastrophe enden. Denn dass wir mittlerweile auf dem Weg in diese Zukunft sind, das wird tagtäglich in den Massenmedien dokumentiert und ist dort zu beobachten.
Damit bin ich weit weg gerückt von meinen immer wieder deutlich schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts beschriebenen Vorbehalten den Visionen und Utopien B.F. Skinners gegenüber. Seine provokativ vorgetragene Prämisse, „jenseits von Freiheit und Menschenwürde“ sei nur ein Leben lebenswert, dort sein Nest zu finden, scheint mir mittlerweile durchaus bedenkenswert(4). Denn die Alternative zu einer vielleicht sogar eher “sanften” und philanthropisch ausgerichteten Technokratie scheint zum gegenwärtigen Wissensstand nur immer wieder und weiterhin der Krieg zu sein. Ein Bürgerkrieg nicht mehr nur der Bürger, der unterschiedlichen Menschengruppen, der Interessen, die räumlich relativ eingegrenzt und begrenzt sein können, sondern ein Bürgerkrieg der Weltkulturen, die sich unversöhnlich mit hochtechnologischem “Fortschritt” gegenüberstehen und mit heftiger ideologischer Gewalt gegenseitig auszurotten versuchen.
Freiheit und Menschenwürde sind nach Skinner, dem Begründer der Verhaltens-Wissenschaft und -Steuerung, veraltete Begriffe. Sich mit rein technischen Mitteln zu Wohlleben und Glück hinführen, verführen zu lassen, also gesteuert zu werden wie ein Ding, wie ein Tier, das mag vielleicht tatsächlich noch die einzige Möglichkeit sein, die permanente Kriegs- und Untergangsgefahr einzugrenzen.
Auch wenn wir dabei unser Wohl und Wehe in die Hände von einer kleinen mächtigen Gruppe Wissender mit Herrschaftswissen zu legen bereit sein müssen, die uns beherrschen werden wie früher die Römer ihre Sklaven. Trans-Humanismus wird mittlerweile diese Art von Anti-Humanismus genannt. Damit ist auch der uralte Menschheitstraum von Freiheit und Befreiung (Emanzipation) zu Grabe getragen.
Doch wir sind schon mitten drin in dieser Entwicklung: Andersdenkende Kulturen, etwa in China, bereiten bereits eine großflächige Steuerung der Bevölkerung hin zu mehr „Tugend“, zu mehr angepasstem politischem Verhalten mittels Internet und künstlicher Intelligenz vor. Was bis vor kurzem, vor allem unter Marxisten, aber auch Christen noch als eine Horror-Vision gegolten hat, scheint jetzt tatsächlich mit Hilfe der neuen Steuerungs-und Überwachungs-Technologien glückliche Realität werden zu wollen. Eben in Form einer gut geplanten und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz entwickelten Technokratie.
Doch wer wird die Steuerungs-Systeme steuern?
Diese sich selber?
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1 Geschrieben 2017, überarbeitet VI/2023. Ein Aufsatz über den Ukraine-Krieg folgt bald.
2 Dass es schon bei Platon Überlegungen gegen die Schrift und nur für das mündliche Gespräch Auge in Auge gibt, ist im “Phaidros” nachzulesen – Vgl.im Blog die Nr. 247 “Über Sprache und Schrift”.
3 Beste Einführung und Lehrbuch immer noch: Hans-Georg Gadamer, “Wahrheit und Methode” (1960)
4 B.F.Skinner, “Jenseits von Freiheit und Menschenwürde”(1971) – Eine deutliche Kritik an allen wohl meinenden Emanzipationsbemühungen von Aufklärung und Marxismus
B.F.Skinner, “Walden II” (1948/1969)- Eine aus der Sicht des Behaviorismus geschriebene utopische Vision einer aggressionsfreien Gesellschaft, die direkten Bezug nimmt auf Thoreaus Vor-Hippie-Bibel von 1854 „Walden – Leben in den Wäldern“.