63 Musik für Geige und Klavier / Rimbaud-Fragmente (1)
zur Vorlage an die Presse
Gespräch mit Reinhold Urmetzer
Warum veröffentlichen Sie jetzt Prosagedichte?
Die Beschäftigung mit meiner “Musik für Geige und Klavier” – sie wird jetzt im Rahmen eines größeren Projekts mit dem Titel “Abfahrende Schiffe” wieder neu einstudiert und heißt eigentlich “Sonate für Geige und Klavier” aus dem Jahr 1980 – hat mich wieder in diese Zeit zurück versetzt.
Ich habe Aufzeichnungen von damals gefunden, Prosagedichte mit dem Titel “Steine, Trümmer, Vierjahreszeiten”. Sie stehen stark unter dem Einfluss von Arthur Rimbaud. Er war damals sehr populär. Paul Morrison von den Doors oder Patti Smith und andere aus der Rockmusik haben sich auf ihn berufen. Ich habe jetzt wie in einem Rausch wieder siebzehn neue Texte unter seinem Vorzeichen geschrieben. Das “Abfahrende Schiffe”-Projekt umfasst Literatur, Musik, Philosophie und Fotografie und ist noch nicht abgeschlossen.
Ich gehe bei den neuen Texten von kurzen Rimbaud-Fragmenten aus, führe sie weiter und auch ganz woanders hin. Ähnlich wie in den Jabes-Texten, die ich für das im Jahre 2011 zusammen mit der Malerin Karin Geschke veröffentlichte “Tipasa”-Buch geschrieben habe.
Rimbaud war ein leidenschaftlich aufbegehrender junger Mann. Sie damals auch?
In meiner Musik ganz bestimmt. Ich war in Stuttgart Keyboarder in einer Rockgruppe, arbeitete an der Musikschule und war auch gleichzeitig Musikkritiker im Kulturteil der Stuttgarter Zeitung mit redaktionellen Aufgaben für Neue Musik und Rockmusik. Immer wieder musste ich über alle möglichen und unmöglichen Konzertabende schreiben mit Avantgarde-Musikern wie Stockhausen oder Ligeti bis hin zu Punk- und New Wave-Bands oder Supergruppen wie Queen und Pink Floyd. Ich habe sie alle aus nächster Nähe kennen lernen dürfen.
Das hat mich natürlich auch in meinem Stil als klassischer Komponist geprägt. Immerhin war ich wegen einem bekannten Komponisten der Neuen Musik, Erhard Karkoschka, nach Stuttgart gekommen. Als Saar-Franzose in der schwäbischen Hauptstadt und bei schwäbischen Rockmusikern – das war schon eine deutliche Umstellung und Herausforderung. Aber diese Begegnung war sehr nützlich und hat Spaß gemacht. Mein Kompositionsprofessor meinte damals spöttisch, ich sei wohl mit meiner Liebe zur Rockmusik auf einer pubertären Entwicklungs-Stufe stehen geblieben. Ich habe jedenfalls und unbeeindruckt von kritischen Warnungen moderne Klassik, also Neue Musik, mit Rockmusik zu mischen versucht, und zwar von der Klassik herkommend, was weniger häufig vorkommt. Crossover nennt man eine solche Musik heute, die die Grenzen zwischen Klassik und U-Musik verwischt.
Die politische und kulturelle Zeit war damals jedenfalls sehr spannend, experimentell und innovativ.
Sie blicken mit einer gewissen Wehmut und Nostalgie zurück?
Eine Epoche, die 70er Jahre, war zu Ende. Das kann man wohl sagen. Das politische Aufbegehren der Jugend, die Studentenbewegung, war vorbei, kanalisiert in Parteien, Grüppchen, Esoterik-Zirkeln und so fort. Dabei habe ich noch persönlich und im kleinen Kreis in Paris den Großmeister der Studentenbewegung kennen lernen dürfen, Herbert Marcuse! Doch das war alles vorbei. Die Stimme der Jugend, eine wichtige und einflussreiche Jugendstil-Bewegung wie um 1900, aus der sich immerhin später die Partei der Grünen, der Ökologen, Pazifisten, Attac-Aktivisten etc. entwickelt hatte, war verstummt, war nicht mehr gefragt. Ich bin froh und dankbar, dass ich dies alles auch erleben durfte, diesen großen Optimismus von früher, die Aufbruchstimmung. Wir kümmerten uns nur um Politik, Philosophie, Musik, nicht um Nike-Schuhe, Haarmode oder den Karriereknick, wenn ich mal kurz ins Ausland gehe. Im Gegenteil.
Auch dir Blütenträume der Hippies von einem neuen und anderen Leben, auch Liebesleben, waren nicht aufgegangen. Im Gegenteil. Ein weltzerstörerischer Atomkrieg befürchteten alle, Ende der Musik, Ende der Geschichte, der Welt. Das war die neue Angst der 68er. Und dann der Terrorismus, ganz besonders in Stuttgart. Man lebte in einer besetzten Stadt! Überall Polizei, Demonstrationen, Kontrollen. Straßenschlachten von Punks und Polizei vor dem Konzertlokal “Mausefalle” in der Stuttgarter Stadtmitte/Tübingerstraße, wo ich direkt nebenan viele Jahre lang gewohnt habe. Es war eine sehr spannende Zeit und voller Antithesen. Dass es 1989 so ganz anders gekommen ist, hat uns alle sehr überrascht. Niemand hätte sich das vorstellen können. Bei meinen Berlin-Besuchen in den 80er Jahren dachte ich jedes Mal, das wird wohl die letzte Reise dorthin in diese so moribund und dekadent glitzernde Stadt gewesen sein.Adieu! Bald wirst du ganz vom östlichen Imperium geschluckt sein. Und dann kam es gerade umgekehrt!
Sie beziehen sich im Begleittext zum Buch mit den Prosa-Gedichten auch auf die französischen Philosophen.
Das war eine zweite wichtige Phase in meinem Leben. Ein neues Denken, eine neue Sprache hatte sich schon vor 1989 jenseits des Rheins gebildet, die im Übrigen von den Intellektuellen hierzulande heftig bekämpft wurde und auch immer noch bekämpft und diskreditiert wird. Man wirft den französischen Philosophen, die mit ihren “postmodernen” Ideen einen großen Erfolg in den USA und in Asien immer noch haben, “Irrationalismus” vor. Wer nicht so denkt wie die preußischen Rationalisten, ist “irrational”, verweigert sich dem rationalen menschlichen Gespräch und so fort. Man ist quasi ein Taliban in der Geistesgeschichte des Denkens. Als wenn es das nicht immer wieder schon gegeben hätte, diese nützliche Ketzerei und Andersartigkeit.
Der allgemeinen Verflachung des Denkens, auch dem Ausgeliefertsein an einen überaus schnelllebigen und dominanten Turbo-Kapitalismus, der sich mittlerweile trotz Finanzkrise und Co. immer totalitärer gebärdet, setzte man eine kreative Über-Komplexität im Denken gegenüber, die offen, frei und mit sehr kunstvollen Mitteln neue Wege einzuschlagen bereit war.
Alle bedeutenden französischen Koryphäen, etwa Derrida, Baudrillard oder Lyotard, waren eine Zeit lang Gastdozenten in Kalifornien. Sie ließen sich also auch umgekehrt beeinflussen von den vitalen und ungemein offenen Lebens-wie Denkformen dort.
Ihre neueren Texte, sagen wir die von 2001 bis heute, erinnern eher an Nietzsche.
Vielleicht in ihrer Illusionslosigkeit, in ihrem Relativismus. Wer sich in Geschichte nur etwas auskennt und Parallelen zu ziehen versteht, der kann schon schnell die Flinte ins Korn werfen, resignieren und vom ewigen Kreislauf reden. Das wird dann schnell und fälschlicherweise oft mit Nihilismus gleichgesetzt.
Das Schweben zwischen allen Möglichkeiten gibt jedoch tatsächlich keinen Halt, lässt keinen Boden finden. In den Rimbaud-Gedichten spreche ich dreimal davon, dass etwas ” ohne Grund”, also ohne sicheren und festen Boden existiert. Die starke Ästhetisierung philosophischer Gedanken erinnert vielleicht auch an Nietzsche. Aber das machen andere ebenfalls. Sogar Platon hat literarische Ausflüge in die Mythologie unternommen, etwa in seinem “Staat”.
Vielleicht ist es auch das Paradoxe, das dann und wann auftaucht in meinem Denken und das manche Leser verwirrt oder ratlos werden lässt.
Sie sagen, auch die neueren Gedichte gehören zur Musik von 1980 wie die Musik zu diesen Gedichten gehört.
Ja. Sie sind aneinander gekoppelt. Der erste Satz der Musik für Geige und Klavier ist ein Aufbegehren, das Neinsagen-Können und -Wollen. Der zweite Satz, Adagio, flüchtet sich in die Poesie, die Verträumtheit, die Abgewendetheit von der Realität, auch wenn dabei nur eine Neon-Romantik heraus kommt. Der dritte Satz Scherzo zitiert das Tanzen, auch die falschen Idyllen – dieser Aspekt kommt in den Gedichten weniger vor. Der 4. Satz ist die Melancholie, die Resignation, das Abschiednehmen von all unseren Träumen.
Er heißt seltsam genug “Angebot an den Straßenverkäufer“
Ich wollte jetzt am Ende eine ganz einfache Musik machen, einfach im Sinne von: ohne Dissonanzen, ohne Aufbegehren, Komplexität oder Verschlüsselung. Jeder soll diese Musik verstehen können. Selbst der Mann auf der Straße. Auch der Gedichtband endet mit den Sätzen:
” Anders denken heißt anders sein. – Anders sein heißt: einfach werden, einfach sein.”
Einfach sein mag in unserer Welt der Beschleunigung und Komplexität, das heißt auch Unübersichtlichkeit und Orientierungslosigkeit, zu viel verlangt sein. Aber man soll auch wieder das Neinsagen lernen. Ganz verloren gegangen ist dieses kritische Denken. Als wenn die negative Dialektik sich erledigt hätte. Im Gegenteil! Sie wird immer aktueller. Nur noch der verlogene Schein des Positiven umgibt uns, hält vor allem die Jugend im Versprechen von Glück, Geld und Karriere gefangen. Alle diese schönen Masken des Coca-Kolonialismus mit ihren Versprechungen. Nur wenn der Schein ehrlich, human, moralisch und innovativ-spielerisch ist, können wir ihn als Antithese zum bloß billigen Dekor akzeptieren. So verstehe ich zumindest Schiller im 26.Brief seiner Ästhetik.
Und wo stehen Sie heute?
Danke der Nachfrage. – Ich stehe vor Ihnen. Besser gesagt ich sitze hier und versuche Antworten zu finden über meine Kunst, wie Musik und Literatur und Philosophie ähnlich wie in der früheren Welt der Renaissance zusammen gehen könnten. Und dass auch Kunst so viel mehr ist als das, was ich darüber gesagt habe, darüber schreibe, darüber weiß. Dass jeder auch einen eigenen und individuellen Zugang dazu finden muss. Dass man mich auch besser verstehen kann als ich mich selbst.
Die Verbindung der drei oben genannten Ebenen von Musik, Literatur und Philosophie ist schon eigenwillig kombiniert, ich gebe es zu, auch hermetisch. Sie mag vielleicht in ihrem Anspruch auch elitär sein, denn sie gründet sich auf Bildung und Wissen. Ein Wissen, das nur wenige besitzen werden mit und ohne Smartphones oder Wikipedia.
Diese Art Kunst kann deshalb nur einen kleineren Personenkreis ansprechen, den der Fragenden, Suchenden, Feinsinnigen.
Sie haben die Texte zuerst als Hörbuch heraus gegeben. Warum?
Es hat sich zufällig so ergeben. Ich war weit davon entfernt, einen Band mit Lyrik zu veröffentlichen. Obwohl ich in meiner dreibändigen Ästhetik vor einigen Jahren schon einen Gedichtband als Appendix angekündigt hatte. Doch dann kam die Musik dazwischen. Nach den schönen und so erfolgreichen “Maienzeit”-Renaissance-Liedern mit Enni Gorbonosova(Gesang) und Alexey Alexeev(Klavier) ergab sich die Möglichkeit, die Geigenmusik von 1980 im Juli 2014 wieder neu erklingen und aufnehmen zu lassen. Ich vertiefte mich also auch wieder in die Zeiten von früher, in Künstler, Leidenschaften, Liebschaften und Erinnerungen von damals. Ich lernte Rap-Songs von Yolo Rhymes kennen, die mir auf Anhieb gefielen und die ich an meine Texte als kontradiktorische Hintergrundmusik koppeln konnte. Schließlich kam auch noch meine Sprache und Stimme dazu, wie ich sie im Rundfunk früher bei Sendungen einsetzen musste fast wie ein Schauspieler – und schon ist ein ganz neues Projekt fertig, ohne dass ich vor ein paar Wochen schon daran gedacht hätte!
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Zur Zeit arbeite ich immer noch sehr intensiv an meinem Buch “Über Liebe und Lust“. Die “Rimbaud-Fragmente” sind gewissermaßen schon ein Ableger daraus. Auch das Blog-Schreiben beginnt mir zu gefallen. Es ähnelt dem Zeitungsschreiben: Man schreibt in die weite Welt hinaus, in eine dunkle unbekannte Nacht. Dann und wann gibt es Reaktionen, Leserbriefe, Feedback. Es gibt sogar schon Abonnenten meines Blogs. Auch sinnvolle Kommentare gibt es bereits.
Wann wird das gedruckte Buch erscheinen?
Das “Liebe und Lust”-Buch wird noch dauern. Ich war wieder in Fatima/Portugal und bin gut weiter gekommen. Allein zwei Kapitel untersuchen Platons Einstellung dazu und warum er die Lust so abgelehnt hat, während Wilhelm Reich ein Allheilmittel darin gesehen hat. Make love, not war! war bekanntlich eine Devise, die die Hippies in die Welt gesetzt hatten, während Reichs Idee der Bioenergetik viel später erst in Mode kam.
Das Gespräch führte Alexandre Herrmann