374 Lieber J.Sch.
BIOGRAFISCHES
Danke für Ihr Schreiben! Es geht mir nicht um Schuld, Wahrheit oder Rache.
Es geht mir darum, dass Frieden als ein hoher, wenn nicht sogar als der höchste moralische Wert innerhalb der Völkergemeinschaft neuzeitlich anerkannt und durchgesetzt wird. Die Antike war vielleicht nur noch das letzte Zeitalter der Zwei-Kämpfe, der blutigen Schlachten mit Schild und Schwert, der Kriege. Im platonischen Himmel gab es zwar überzeitliche Ideen wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Schönheit. Nicht jedoch gab es in seinen uns überlieferten Texten die Idee der Liebe oder die Idee des Friedens. Die Idee der Liebe hat das Christentum erst in die Welt gesetzt. Ebenso muss – jetzt und im neuen Jahrtausend ist es definitiv an der Zeit! – auch die Idee des Friedens als ein allgemein anerkannter überzeitlicher Wert im Völkerrecht verankert werden, für den sich alle einsetzen und verpflichten müssen. Mehr als für Begriffe wie Nation, Vaterland oder Selbstverteidigung. Ich wiederhole mich.
Dazu gehört auch, dass alles, was dem Frieden schadet, bekämpft werden muss. Besonders die Waffenproduktion und die Lieferung von Waffen an kriegerische Parteien. Ebenso muss
auch der Geldkreislauf unterbrochen werden, dass man mit Totschießen auch noch viel Geld verdienen kann.
Ich habe in meinen zwei letzten BlogEinträgen problematisiert, ob die philosophische Idee der Wahrheit überhaupt in einem solchen Krieg ausschlaggebend, relevant sein kann, ob wir innerhalb der Relativität des Wissens, der Blickwinkel und der Erinnerungen überhaupt von Wahrheit sprechen können. Ich denke, dass wir im Zeitalter der immensen Ausbreitung von Pseudo-Wahrheiten und Pseudo-Wissen, dass wir die Wahrheitsfrage tatsächlich jetzt ganz ausklammern müssen und dass wir uns nur um die Friedensfrage kümmern sollten: Wie kann das sinnlose Totschießen junger Männer verhindert werden. Nicht was ist Wahrheit oder Schuld oder wie sie gefunden werden können, sondern wie sich ohne größere KollateralSchäden ein Weg finden lässt, der beide Seiten befriedet, also zum Frieden führt.
Uns Außenstehenden ist es vollkommen unmöglich, die Wahrheit herauszufinden, warum dieser KonfliktFall entstanden ist, die Wahrheit über Ölgeschäfte, die Wahrheit über Krimbrücke und Nord Stream 2, die Wahrheit über Geopolitik und Verteidigung, sogenannte zweifelhafte „historische Wahrheiten“ über… Was uns bleibt es nur das ratlose Abwarten und Hoffen, dass der Krieg nicht noch weiter eskaliert.
Dennoch gibt es auch eine große Fraktion von Kriegstreibern, die genau wissen, was wahr und falsch ist, die glauben, mit einem Totschieß-Programm Frieden in die Welt bringen zu können. Das Gegenteil ist der Fall sein, davon bin ich überzeugt.
mmer wieder habe ich meinen BlogAufsätzen betont, dass alles nur Theorien sind, dass auch jede Position grundsätzlich plötzlich ganz falsch sein kann.
Ich selbst habe dies in meiner frühen Jugend erlebt, dass alle meine Gedanken, Werte und Einstellungen vollkommen falsch waren, weil ich mich zu einseitig auf eine Position habe festlegen lassen. Dieses Festlegen war nicht eine Sache der freien Entscheidung, sondern eine Sache der Manipulation und Indoktrination. Wahrheiten, wie sie über die Medien, d.h. damals noch vor allem über Zeitungen und Fernsehen weiter gegeben wurden, d.h. alle unsere so genannten wahren „Informationen“ konnten plötzlich fragwürdig werden.
Was folgt daraus? Zurückhaltung in der Festlegung des Urteils, sich einsetzen weiterhin für den überzeitlichen Wert des Friedens, dass dieser wie eine neue Idee im platonischen Himmel angesehen wird und dass auch danach gehandelt wird.
Ich teile auch nicht die im Gespräch mit Ihnen so definitiv vorgetragene Festlegung auf eine politische Partei in Deutschland. Zeit meines späteren Lebens habe ich mich selten nur auf einen Punkt festlegen lassen. Ich habe mir verschiedene Positionen und Argumentationen immer jeweils punktuell herausgesucht, das herausgesucht, was mir gerade nützlich und richtig erschienen ist . Das bedeutet, dass ich sowohl links wie rechts, oben und unten, sowohl katholisch wie auch gelegentlich
protestantisch habe sein können.
Das betrifft auch meist meine Einstellung Parteien gegenüber, auch wenn sie wie in Ostdeutschland gelegentlich fragwürdige Positionen beziehen.
Feststellen muss ich gegenwärtig, dass in Teilen der AfD und an derem Rand fragwürdige Sprüche der Vergangenheit wieder reaktiviert werden, dass dort geglaubt wird wie in der Antike (auf eine missglückte Demokratie folgt zwangsläufig die Diktatur) dass immer mehr alles auf eine Gewaltherrschaft hinauslaufen müsse sogar in der ganzen Welt.
Ich bin kein Anhänger des autoritären Besser -Wissens. In meinen zahlreichen Blogaufsätzen habe ich immer die Idee der Verständigung diskutiert und vor allem die Frage untersucht, warum Verstehen und Verständigung so schwierig, ja manchmal sogar aussichtslos erscheint.
Ich bin ein Anhänger des Post- Amerikanismus, schon immer. Auch des Post-Kommunismus und beides zusammen. Was danach kommt, das weiß der Himmel oder die Roboter der Künstlichen Intelligenz ( bereits groß geschrieben!). In verschiedenen Systemen jeweils verschiedene Wahrheiten zu finden, das scheint mir in Zeiten mit ausgeprägten Isosthenien nützlich zu sein.
Die Wahrheitsfrage über Ursache und Schuld im Krieg Ukraine gegen Russland lässt sich also wahrscheinlich nicht mehr beantworten. Beide Seiten haben seit 2014 schlimme Fehler gemacht, beide Seiten sind auch mit schuldig an diesem Krieg. Ebenso auch andere Staaten mit ihren Waffenlieferungen für beide Seiten, ich wiederhole mich.
Ein weiteres Hauptproblem in diesem Kriegs-Diskurs ist die Frage, ob es ein Recht auf Selbstverteidigung geben kann, also letztlich auch das Recht auf Totschießen.
Ich denke, die Weltgeschichte hat genügend gezeigt: es darf dafür kein Recht geben. Die Kollateral- und Nachfolgeschäden sind zu gewaltig. Vor allem ist und bleibt gefährlich die Waffenproduktion mit ihren so genannten „Fortschritten“ bis zu den „kleineren“ Atombomben, die vielleicht doch nicht so schlimm sind. Ich plädiere ausdrücklich wieder und wieder gegen eine Konfliktlösung mit Waffen, dass diese Sache nur mit Verhandlungen und nur mit wohlmeinenden Verhandlungen, die zu einem Frieden als Ziel führen, gelingen wird. Dass also auch die Produktion von Waffen radikal eingestellt wird. In Kriegen darf es keine Verlierer, es darf auch keine Sieger geben.
Die Bösartigkeit, mit welcher die Ukraine und Russland gerade solche Verhandlungen gegenwärtig unterlassen, sogar zu verhindern suchen und verhindern, macht mich sehr besorgt. Denn viele Kriege eskalieren nach und nach, wenn es wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine eindeutigen und schnellen Lösungen gibt. Ich kann mir vorstellen, dass in der Endphase eines Krieges, wenn es viel zu verlieren gibt für die Befehlshaber, auch letztlich Atombomben wie in einem kollektiven Selbstmord eingesetzt werden könnten. Auch Hitler hat vor seinem Tod noch tabula rasa gemacht und gezielt, vielleicht sogar wissentlich Ruinenstädte zurück gelassen wie jetzt Putin ebenso in Syrien oder in der Ukraine. Es bleibt also weiterhin ein dringendes Gebot der Stunde, dass verhandelt wird und dass in fest gefahrenen Verhandlungen die Verhandlungspartner ausgetauscht werden und durch neue Personen ersetzt werden. Dass weiterhin und hartnäckig miteinander gesprochen und nicht geschossen wird.
Um die Quintessenz noch einmal zu betonen, die ich schon an anderer Stelle geschrieben habe: Notwendig ist im gegenwärtigen Konflikt der sofortige Austausch des Führungspersonals sowohl in Russland wie in der Ukraine. Weder Selenskyj noch Putin sind fähig, dieses Konflikt menschenwürdig und nicht tierisch zu lösen.
Dass dies scheinbar unmöglich ist, das sehe ich nicht.
13.8.2023
