373 Worte und Krieg
Diesen Text habe ich bereits vor mehr als zwei Jahren geschrieben. Nichts hat sich seitdem verbessert. Alles ist wieder durch ein rhetorisches Delirium der Sprachverwirrung nur noch schlimmer geworden.
Wir sind wieder in einen vor-zivilisatorischen Zustand zurückgefallen, zurückgeworfen worden. Das hat sich die gesamte Nachkriegs-Generation in Europa niemals mehr vorstellen können. Wir sind tatsächlich jetzt auch im Reich von Orwells distopischem Roman „1984“ oder in Huxleys biotechnologischer Manipulations-Vision von einer „Schönen neuen Welt“ angekommen. Auf, verändern wir die Sprache und Bedeutung der Worte noch mehr, was heißt schon Krieg, was Frieden! Jeder Mann ist eine Frau oder ein Tier und umgekehrt. Bitte noch mehr Pillen zum Glücklichsein, noch mehr staatliche Bonuspunkte vom Großen Bruder und mit kostenfreier Indoktrinations-Werbung! Lasst uns um die „Deutungs-Hoheit“ der Worte, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kämpfen!
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Im gegenwärtigen Krieg der Ukraine gegen Russland geht es jedoch eher einen (noch schrecklicheren) Schritt rückwärts. Wir haben es nämlich, anders als in den beiden oben genannten Büchern, wieder mit Maschinen und Tieren zu tun. Diese wollen oder können weder sprechen noch bi- oder multipolar denken und handeln, sondern sie sind gezwungen, nur noch einer blindwütigen Totschuss-Gewalt sich und ihrem ganzen Volk zu widmen. Und die meisten der „Kriegs-Entwickler“ (Neuprägung!) sind gnadenlos der Überzeugung, dass sie und ihr Volk, wer auch immer das sein mag, unfehlbar im Recht sind, im Recht bleiben werden auch als sterbende Sieger. Weder will ich der einen noch der anderen Seite die alleinige Schuld an diesem Krieg zuweisen. Dass wir es aber in den Zentralen der Entscheider mit kommunikationsunfähigen, also blinden und bewusstlos handelnden Tieren meist zu tun haben und uns entsprechend auch vor ihnen schützen müssen, davon bin ich überzeugt. Schützen müssen nicht nur mit Waffen, sondern mehr noch mit geistigen Kräften, mit Vernunft, Verstand, Kreativität und klugem Handeln. Und nicht zuletzt auch mit Sprache.
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Was die DesInformationskampagnen beider Kriegsparteien betrifft (sie erfolgen ganz in der Art und Weise, wie sie in Orwells Roman beschrieben worden sind), so führen diese zu einer totalen und weltweiten Verwirrung von Sprache, Wahrheitsanspruch und Glaubwürdigkeit. Sprachlogisch ausgedrückt scheint es für mich Außenstehenden und philosophisch denkenden Menschen mit diesen neuartigen Methoden der Verwirrung und Dekonstruktion („Deutungshoheit“ ) wieder zu einer Gleichwertigkeit der Argumente zu kommen, zu einer Isosthenie also, wo jeder Anspruch auf Wahrheit aufgegeben werden muss, weil beide Seiten Wahrheit und Recht für sich „mit guten Gründen“ beanspruchen können. Ratlosigkeit breitet sich also aus.
Die Sprache, wie wir sie gegenwärtig in vielen Medien und Berichterstattungen kennenlernen, ist mittlerweile verwildert oder gar zerstört. Dies wird zukünftig aber auch allgemein durch die Internet-Kommunikation mit ihren zahllosen Besserwissern nur noch schlimmer werden. Es gibt wieder „viele Wahrheiten“, selbst der alternativen Art, wie in einer typisch Orwellschen Umdeutung und Neuprägung formuliert worden ist. Es gibt einflussreiche Influenzer mit „Deutungshoheit“ und Charisma, mit…(was alles an Überflüssigem noch dazu erfunden werden kann). Und es gibt bereits künstliche Intelligenzen welcher Farbe und Funktion auch immer, die hartnäckig wissen, wo‘s langgehen wird und soll.
Was sind das nicht alles wieder für Wort-Neuprägungen! Ich fasse jetzt einige zusammen, die mittlerweile Bestand haben werden und vielleicht sogar bald auf die KI-Revolution auch noch anwendbar sein werden. Von „Alternativen Wahrheiten“, die nicht nur aus Amerika kommen und mittlerweile mit Neuprägungen bis zum Exzess weitergeführt werden auch von vielen Politikern, habe ich bereits gesprochen.
Was ist „ demokratische Musik“? Ja, auch das gibts mittlerweile wieder. Manche Kulturen definieren Popmusik als „demokratische Musik“. Klassik wäre dann undemokratisch, was in einem gewissen Sinne auch nachvollziehbar sein kann. Und nicht nur im Sinne eines „sozialistischen Realismus“. Ganz zu schweigen von Kurt Weills Versuch, den Begriff „epische Musik“, eine Ableitung aus Brechts Theatertheorie („episches Theater“), sogar auf die Instrumentalmusik zu übertragen.
Es folgen jetzt einige weitere Beispiele. Wie widersinnig ist die Formulierung „kritische Infrastruktur“? Kritik war immer und besonders seit Kant ein distanziertes, vorsichtiges Annähern an ein geistiges Phänomen, an eine Theorie, eine „Wahrheit“. Jetzt kann das Wort widersinnig genug ganz lapidar nur einen Strommast bezeichnen, der wichtig für das Stromnetz der Gesellschaft ist („Infrastruktur“). Die “Phobie” ist ein diagnostischer Terminus technicus aus der Praxis von Sigmund Freud, der damit irrationale und übersteigerte Ängste beschrieben hat, zum Beispiel nicht über einen leeren Platz gehen zu können. „Homophobie“ ist jetzt im Gegensatz zur Homophilie die Angst vor Homosexualität geworden, eine übersteigerte Angst vor der Sexualität des eigenen Geschlechts, letztlich also eine zu therapierende Krankheit. Was die Homosexuellen gerade nicht akzeptieren würden. Vom „Narrativ“ reden mittlerweile besonders gerne die Medien und Politiker. Immer, wenn man es nicht so genau weiß oder wissen will, ist das eben Gehörte oder Gesagte ein Narrativ. Der Begriff geht auf Jean François Lyotard zurück. Dieser redete schon zu Beginn in seiner postmodernen Gedankenwelt von „Erzählungen“, alles seien (nur)Erzählungen, alles ist subjektiv, dann und wann auch unbeweisbar. Nur passt der Erzählungen-Begriff nicht so recht in die deutsche Sprache. Denn „Erzählung“ ist ein feststehender alter Gattungs-Begriff aus der Literatur, nicht der Philosophie, den man nicht so leicht umdeuten oder neu definieren kann. Also sprach man jetzt von einem Narrativ (lateinisch narrare=erzählen), eine mittlerweile auch international oft angewendete Formulierung.
Von „Diktatoren“ redet man immer weniger. Umso mehr von „Autokraten“. Der autoritäre Charakter mit der leichten Wortverschiebung von autoritär zu autokratisch stand schon Ende der sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Mittelpunkt der Diskussion innerhalb der Studentenbewegung. Es war ein Begriff aus dem Freudo-Marxismus, wie ihn auch die Frankfurter Schule mit ihrer „Kritischen Theorie“ recht erfolgreich eingesetzt hat. „Krieg“ wird von den östlichen Autokraten jetzt nur noch als eine „Spezialoperation“ definiert – auch wenn wohl bekannte Verbrechen und sogar Völker-Morde dort wieder an der Tagesordnung stehen.
Schließlich noch die „Dekonstruktion“, das Wort „dekonstruktiv“, eine Neuprägung von Jacques Derrida. Doch darüber will ich mich jetzt nicht noch weiter auslassen. Mein ganzer Blog setzt sich mit dem Für und Wieder dieses Begriffs noch immer auseinander. Vielleicht ist sogar das ganze Anliegen meines Blogs dekonstruktiv. Und das mittlerweile nun schon noch seit mehr als zehn Jahren, längere Pausen nicht eingerechnet.
In dem Maße, in dem das Lesen-Können und Schreiben dergestalt verkümmert, wird auch das Denken und Sprechenkönnen verkümmern. Es verkümmert der Mensch. Es werden nur noch rein animalische Fähigkeiten überleben. Das sind letztlich und wie immer die beiden existenziellen Notwendigkeiten einer Selbst- und einer Arterhaltung. Vielleicht wird es tatsächlich noch zu einem neuartigen Befreiungskampf, einem Aufbegehren von Mensch gegen Maschine (Künstliche Intelligenz) kommen. Oder auch nicht.
Die Sprachverwirrung ist ähnlich ausgeprägt im Imperium West wie im Imperium Ost. Auch zu DDR-Zeiten war die Sprache vollkommen verworren. Der östliche „ Bruderstaat“ ( ein von mir jetzt bewusst eingesetzter falscher Begriff) verlegte den „Friedensstaat“ in seine eigenen Grenzen, während die andere Seite in Westdeutschland der Gegner war, vor dem man sich mit Mauern, Stacheldraht und Schießgewehren verteidigen musste und entsprechend dabei auch Todesfälle in Kauf genommen hatte.
Umgekehrt wurden wir westliche Nachkriegsgenerationen mit Filmen konfrontiert, wo das Böse meistens aus dem östlichen Imperium stammte, gelegentlich auch aus China, während der Westen der unbedingte Verteidiger war von freiem Handel, zweifelhaften Geschäften (auch im Namen der „Freiheit“) sowie Menschenrechten und Wohlleben. Was letztlich ja auch mit Abstrichen richtig war.
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Mit diesem Satz beziehe ich jetzt einmal entgegen meiner sonstigen Haltung in anderen Blog-Aufsätzen eine feste und nur seltene direkt geäußerte Position, obwohl ich doch ein Anhänger der antiken Schule der Skeptiker, also ein Pyrronist bin. Was würde diese Schule über den gegenwärtigen Krieg und die gegenwärtige Gleichwertigkeit vieler Argumente selbst in der Woke-Bewegung sagen? Es ist weniger ein Problem der Wahrheit als Idee, sondern „Spezialoperationen“ sind ein Problem der Desinformation, der Dekonstruktion und bewussten weltweiten Irreführung der Bevölkerung mittels ausgeklügelter Steuerungsmethoden sprich Manipulation. Menschen sind aus dem rednerischen Diskurs des Sic et non, also auch der freien Meinungsbildung ausgeschlossen, bleiben machtlos. Resolutionen selbst der UN werden nicht mehr befolgt. Nur noch die Gewalt der Panzer und Gewehre sind das einzig Mächtige wieder und wieder geworden und dies fast allüberall. Es ist schrecklich und menschenunwürdig.
Im Urteil dennoch zurückhaltend bleiben, sagt der Römer Sextus Empirikus, und darauf achten, wie die Tradition in einem solchen Fall entschieden und gehandelt hat. Lebe im Verborgenen, sagten die Epikureer, oder auch genieße den jetzigen Tag, empfehlen Aristipps Propagisten von Sex and Life. Die Stoiker schließlich empfehlen: Halte durch ohne Furcht, ohne Hoffnung. Ein neuer Tag bricht an, wenn die Nacht am dunkelsten ist. Sagt in ähnlicher Art und Weise auch das Christentum bis in die Gegenwart hinein.
Nach vielen Überlegungen denke ich jedoch weiterhin und bis auf den heutigen Tag, dass nur der Begriff der Freiheit, wie er im Westen verwendet wird und im Gegensatz zur östlichen oder chinesischen Definition, überzeitlich sein wird. Wenn dieser so verstandene Begriff nicht mehr existiert, wird es auch keine Menschen mehr geben, sondern nur noch Mensch-Maschinen und Maschinen-Menschen – was etwas anderes ist -, die sich selbst steuern können, sowie Indoktrinations-Systeme, die diese Menschen zu Tieren oder zu Maschinen werden lassen.
Gleiches gilt auch für den Einsatz von hybriden Kampfmethoden, Cyber-Kriminalität, Manipulation der Massen oder dem Belohnen durch Bonus-Pillen für gutes Verhalten in der chinesischen Interpretation von Skinners „Walden II“ oder seines Essays „Jenseits von Freiheit und Menschenwürde“*.
Was also tun, um doch etwas konkreter in diesen sprach-philosophischen Betrachtungen zu werden? – Sprachunfähige Gestalten müssen zumindest ausgetauscht und ersetzt werden durch wirkliche Menschen mit einem „anderen Blick“ und der Fähigkeit im Sinne Montaignes zum dialogischen Sprechen und Denken. Dass die eigene Position auch ganz anders, auch ganz falsch sein könnte. Damit das bestialische Totschießen auf beiden Seiten und zwangsläufig auch der eigenen Bevölkerung, dieser Mord sogar am eigenen Volk endlich ein Ende haben kann. Neue allmächtige und allwissende Götter werden dabei nicht mehr zum Vorschein kommen, auch wenn die Diktatoren der Gegenwart bereits immer schon sich so zu verhalten versuchen. Auch ihre Zeit wird einmal abgelaufen und am Ende sein.
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* Skinner ist auch der einflussreiche Erfinder der Verhaltens-Technologie und -Steuerung, über den ich bereits in diesem Blog immer wieder geschrieben und auch gewarnt habe.
Geschrieben in Riga und Danzig im Juni 2023. Vgl. auch meinen Blogaufsatz Nr.360 mit mehr tagespolitischer Relevanz über „Krieg und Frieden“.
