75 Catull (4)
Nr. 8, 38 und 32
Wenigstens 19 der insgesamt 113 erhaltenen Gedichte hat Catull seiner Lesbia, das Pseudonym für eine zehn Jahre ältere und einflussreiche Politiker-Gattin, gewidmet. Meist sind es Liebesleid-Lieder voller Eifersucht und Wehmut. Vielleicht war sie sogar eine Edel-Prostituierte, eine Hetäre, die sich mit vielen Männern auf einer erotischen, das heißt nicht sexuellen Ebene eingelassen und diese wie eine Muse auch beeinflusst hat. Bekannt geworden ist später in diesem Sinne Lou Andreas-Salomé, welche die Muse nicht nur von Nietzsche, Gerhard Hauptmann und Rilke, sondern sogar von Sigmund Freud gewesen ist. Als praktizierende Psychoanalytikerin hat sie schließlich in Göttingen ihre seelisch-geistige Ruhe abseits der Männerwelt gefunden.
Im Gedicht Nr.8 spricht Catull sich selbst an, macht sich Mut. In Zeile 5 fügt er fast wie ein perspektivischer Fehler das “Ich” plötzlich ein. Lebe nicht elend! Ruft er sich im Sinne Epikurs zu, sei kein Schwächling, empfiehlt die Männerwelt um ihn herum. Hartherzig muss man in dieser Zeit und in diesen Umständen sein. Gelobt sei, was hart macht, hat 2000 Jahre später ein anderer kriegstreibender Führer propagiert, dessen Erziehungsmethoden (“hart werden wie Kruppstahl”) ich sogar noch am eigenen Leibe habe spüren dürfen in Form meiner so erzogenen Eltern.
Catulls Sprache ist unverschlüsselt, einfach, emotional, der Gefühlsausdruck direkt und leidenschaftlich. Der Lyriker spricht, was nur selten in der Lyrik vorkommt, Personen direkt mit Namen an. Er glänzt nicht mit mythologischer Gelehrsamkeit oder Komplexität, mit Stil-Manierismen und sprachlicher Schönheit, auch wenn seine Texte sehr virtuos die gängigen Stilmittel einsetzen und beherrschen ( so lese ich es zumindest in den Lobeshymnen der Altphilologen auf Catull).
Nr.8
Catull, du Armer, lass’ sie sein, die Dummheiten,
was du verloren siehst, das ist dahin, glaub’s nur!
Einst hattest du Tage, da die Sonne hell strahlte,
als du dem Mädchen, wie es wollte, nachgingest,
die ich geliebt, wie keine wird geliebt werden.
Gar viel an netten Späßen gab es dort damals,
die du gern wolltest und die ihr nicht missfielen.
Da war für dich die Sonne wirklich hell strahlend.
Sie will nicht mehr; lass auch du sie jetzt, Schwächling!
Jag dem nicht nach, was fort läuft! Lebe nicht elend!
Nein, starken Sinn’s ertrag’s und mach dein Herz jetzt hart!
Fort denn, du Mädchen! Bleibt doch dein Catull jetzt hart,
sucht dich nicht mehr, wird nicht, weil du dich sträubst, betteln.
Doch dir wird’s leid tun, wenn man dich nicht mehr anfleht.
Ruchlose, weh! Welch Leben wird dir jetzt bleiben?
Wer spricht dich jetzt noch an? Wem wirst du schön scheinen?
Wen wirst hinfort du lieben? Wessen Schatz heißen?
Wen wirst du küssen? Wem die Lippen wund beißen?
Doch du, Catull, mach festen Sinns dein Herz jetzt hart.
Die rhetorischen Fragen am Schluss steigern sich in einen Rausch, der dann im nachfolgenden Gedicht zum wütenden Schimpfgedicht wird. Jetzt ist die Geliebte eine richtige Prostituierte geworden, die es mit allen an den Straßenecken Roms treibt.
Nr. 38
Meine Lesbia, Caelius, o denke!
Jene Lesbia, die Catullus einzig
mehr als sich und die Seinen alle liebte,
diese Lesbia – hurt auf Platz und Straßen
offen jetzt mit den ach so stolzen
Enkeln Roms herum.
*
Das Gedicht Nr. 32 beschreibt eine Prostituierte.Die Sprache ist
nicht mehr verliebt oder anklagend und leidenschaftlich, sondern fast schon ein wenig von oben herab. Dass kein Anderer vor dem Autor “dran sein” darf oder dass die Begehrte womöglich sogar ganz das Haus verlässt und ihren Kunden vergisst.
Ähnlich direkt zur Sache kommt erst 2000 Jahre später wieder Bert Brecht mit seinem Alabama-Song aus dem Musical Mahagonny. Im “Mond von Alabama” heißt es in einer ähnlichen Situation dann: “Schneller Johnny, mach, schneller Johnny mach!”, damit der Nächste drankommen kann.
Nur mit dem Unterschied, dass dieser Text uns zynisch bis bösartig in die verkommene Welt der Geldgierigen und Halsabschneider der Gegenwart führt.
Während Catull jeden politischen oder sozialen Kontext ausblendet, noch reichlich unbedarft sich seiner Glieder erst einmal erfreut und “übt”.
Nr. 32
Bitte, du meine süße Ipsitilla,
Mein Entzücken und meine Herzenswonne,
Lass mich zu dir zum Mittagsschlaf kommen.
Wenn du sagst, ich soll kommen, dann pass auf,
Dass kein andrer schon vor mir die Türe verriegelt.
Oder du etwa fortzugehen Lust hast!
Sondern bleibe daheim, sei vorbereitet,
Dass wir neunmal es schaffen ohne Pause.
Also wenn du es willst, so rufe mich schleunigst!
Denn ich habe gespeist und liege nun satt
Auf dem Rücken und üb’ schon
durch Hemd und
Mantel hindurch.