83 Über Ostende (Antwort)
Warum mir Ostende gefällt
Das M e e r . – Das Meer soll wild und laut und groß sein. Es soll Ebbe und Flut deutlich erkennbar geben, es soll nach Tang und Fisch riechen und die Luft nach Salz schmecken. Es sollen viele Fische darin zu finden sein (Meeres-Aquarium) und man soll sie auf dem Fischmarkt kaufen und überall essen können.
Das alles findet man nur am Atlantik, nicht am Mittelmeer.
Dort ist mir auch das Klima zu warm. Wenn es nachts nicht mehr abkühlt, man mit Stechmücken und Sonnencreme zu kämpfen hat, kein Regen, keine Abkühlung in Sicht – nichts für mich. Selbst wenn ich nahe Verwandte in Livorno, Florenz und La Spezia hatte bzw.habe und das Land der Römer gut kenne und auch sehr liebe – nichts für mich.
Die H a f e n s t a d t . – Ostende ist eine typische Hafenstadt. Sie hat zwar schon bessere Zeiten erlebt, als der Fährverkehr nach England überwiegend von Ostende und Calais aus ging. Trotzdem sind der große Handels-, der Yachthafen sowie der kleinere Fischerhafen, direkt in der Stadt gelegen, immer noch aktiv. Man geht oder fährt mit der Straßenbahn fast immer kreuz und quer hindurch. Es gibt bunte Bars und schäbige Tavernen, auch wenn die Seeleute mittlerweile fehlen. Es gibt die vielen französischen Restaurants, die auch hier unerschwinglich sind (es sei denn, man passt sich an den hiesigen Wertmaßstab an) und das wunderbare Café du Parc in der Stadtmitte, das Gegenstück zum Flore auf dem Montparnasse in Paris.
Die S t r a ß e n b a h n . – Eine Straßenbahn fährt vom westlichen Ende Belgiens, das heißt Frankreich(Normandie) bis zum östlichsten Ende, die Niederlande. Und dies alle 10 Minuten oft. Ostende liegt genau in der Mitte. Dauer der Fahrt von Ost nach West gesamt etwa zwei und eine halbe Stunde. Die Bahn fährt immer am Meer entlang, vorbei an den großen Sandstränden, die je nach Wetter oft leer sind – zu stürmisch, zu kalt. Manchmal bei Sturm auch im Sommer klatscht das Wasser sogar gegen die Bahn.
Zeit meines Lebens (ich war sehr oft schon in dieser Ferienregion) bin ich noch nie hier im Wasser gewesen um zu baden. Ich bin kein Strandlieger. Vollkommen unmöglich für mich. Meerwasser findet man auch im städtischen Schwimmbad direkt um die Ecke.
Die Küstenarchitektur ist eine sehr hässliche und monotone. Aber was macht’s? Wenn das Meer schön und groß ist, der Horizont an der Uferpromenade der Stadt neben dem Casino unendlich und die Sonnenuntergänge einen verzaubern können?
Die Straßenbahn ist auch die einzige, von der ich weiß, dass sie sich verfahren kann. Im Hafen die falsche Strecke erwischt, die Straßenbrücke am Hafen ist hoch geklappt, die Schiffe müssen durch, haben Vorfahrt – kurz rückwärts fahren und wir sind wieder en route. Alle lachen, weiter geht’s!
C o m i c s . – Belgien, Brüssel Ist neben Frankreich das Land der Comic-Schreiber, z. B. Gaston, Asterix u.a. Es gibt einen Humor hier, eine Ironie, die weltweit verstanden und bewundert wird. Das Land scheint auch trotz aller ethnischen Spannungen gut und zufrieden leben zu können – es steht in der Glücklichsein-Skala ganz weit oben. In Brüssel gibt es ein großes Museum der Bandes dessineés.
Die B e l g i e r – darüber habe ich in meinem Camus-TIPASA-Buch schon viel geschrieben, hier kurz das Wichtigste. Auch Belgien gibt es nicht, ebenso wie Deutschland oder Italien oder Spanien. Das Land ist ein künstlicher Zusammenschluss, Zusammen-Zwang wie Deutschland 1871. Es gibt nur R e g i o n e n, das heißt auch unterschiedliche Mentalitäten, Sprachen, Ziele. In Belgien ist der Gegensatz besonders krass, denn hier trifft die germanische auf die romanische Lebensform. Deshalb hat man auch mit guten Absichten Brüssel zur EU-Hauptstadt gemacht. Die Belgier sind ein Volk des Ausgleichs und des Sowohl-als-auch. Alles geht, auch die Gegensätze.
Aber auch jetzt hat sich trotzdem wieder ein Gegensatz-Streit gebildet. Und dieser Zusammenprall der Mentalitäten ist auch in Belgien manchmal heftig. Er führte fast zum Zusammenbruch des Staates! Bis vor kurzem hat das Land länger als ein Jahr ganz ohne Regierung gelebt, keine Koalition mit Flamen und Wallonen bilden können und sogar das hat funktioniert (freuen sich die Anarchisten).
In Ostende spricht man Flämisch (Niederländisch) und Französisch. Es gibt wie überall in Flamen eine starke rechts-konservative Separatisten-Partei. Die Flamen fühlen sich als etwas Besseres gegenüber den Wallonen. Sie haben sogar rigoros die Zweisprachigkeit in ihrem Landesteil abgeschafft, wollen sich den Niederländern angliedern. Nein danke, wehren diese jedoch ab.
Dabei haben die Wallonen etwa seit der Zeit von Arthur Rimbaud, der ein Wallone aus den Ardennen war, in ihren Stahlhütten und Bergwerken das Geld herbei geschafft und Industrie wie allgemeine Kultur aufbauen helfen, während die Flamen noch bei ihren Kühen den weiten Horizont studierten oder nostalgisch den guten Zeiten von Breugel &Co nachtrauerten (als sie noch unter spanischer Herrschaft lebten). Aber das ist alles vergessen wie andernorts auch (siehe Schwaben /Bayern und NRW/Saarland). Und trotzdem funktioniert diese Einheit der Gegensätze. Nicht so gut zwar wie in der Schweiz, aber immerhin.
Und wie wohl ich mich fühle in dieser Vielsprachigkeit auch der Kulturen etwa in Brüssel, wenn das trennende Kleingeistig-Nationale sich auflöst und das reine einfache Menschliche zurück bleibt, das leben will und lieben, arbeiten, tanzen…
8.8.2014 (Ostende)