87 Popmusik 2 (Icehouse)
Mit diesen neu geschriebenen und in unregelmäßiger Reihenfolge erscheinenden Rezensionen aus dem Bereich der Popmusik will ich etwas wieder gut machen, nachholen und auch Abbitte leisten.
Als junger Musik-Kritiker der Berliner taz und der Stuttgarter Zeitung hatte ich mein Augenmerk eher auf Musik und Musikdarbietung als auf den Text gelegt. Mittlerweile habe ich jedoch erkannt – auch mit Hilfe von Mitlese-Apps wie Shazam etc. – dass gerade die Texte der britischen Bands durchweg anspruchsvoll, oft sehr ambitioniert und fast immer mit literarischem Niveau waren. Im Folgenden soll es deshalb mehr um die Texte und ihre Botschaft aus der weiten Welt der Popkultur gehen als um die Musik. Diese Welt ist heute im Bereich der Kulturindustrie (Achtung, ein negativer Begriff!) sehr einflussreich und wichtig geworden, was Mode, Lebenssinn und Lebensbewältigung angeht. Gelegentlich werde ich auch auf meine Artikel von früher zurückgreifen müssen.
*
Hey Little Girl, was nun, wenn alles schief geht, schlecht läuft, sinnlos geworden ist? Wohin jetzt, wo sich verstecken und – bei wem?
Du hast mich verletzt. Klar, es war auch mein Fehler, ich hätte es wissen müssen. So jung, so läuft’s überall in der Stadt. Doch was nun?
Ob es wieder gut wird mit uns beiden?
Eine leise, fast zärtliche Stimme singt diese lapidaren Sätze, die existenziell sind, weil sie irgendwie auch jeden von uns betreffen. Das Scheitern gehört dazu ebenso wie der Erfolg, die Freude zum Schmerz, das Begehren zum Verzicht.
Icehouse heißt die australische Gruppe, die mit zwei Hits plötzlich hierzulande in den Hitparaden aufgetaucht und ebenso schnell auch wieder verschwunden ist. Dem Synthie-Pop der 80er Jahre entsprechend setzte man erstmals elektronische Instrumente ein. Entsprechend gleichförmig monoton pulsiert das Schlagzeug, fast grausam hart und unerbittlich erledigt es seine Aufgabe parallel zu den nüchtern resignierenden Fragen des Sängers.
Nüchtern resignierend klingt auch das zweite Lied der Band, eine Hommage an all die vielen und schönen Straßen-Cafés dieser Welt, die wie Pilze aus dem nüchtern zubetonierten Erdboden unserer Städte entsprungen sind und die Welt bunter und vielleicht auch großzügiger gemacht haben.
Auch jetzt geht es um Abschied, um eine Trennung, wie überhaupt Liebesleid in den englische Popsongs bedeutend häufiger anzutreffen ist als Liebesglück*. Im Street Café hat man sich gesehen und kennengelernt, hat man sich getrennt. Hier wird man sich auch wieder treffen – vielleicht jedoch erst nach einer langen Zeit.
Das Lied, es war das beliebteste der Gruppe in Deutschland, ist eher konservativ im Stil gehalten. Das heißt es scheint weniger der Elektronik als mehr noch der Rocktradition verpflichtet zu sein, auch wenn jetzt bereits der Drumcomputer wieder Verwendung findet.
Dem melancholischen Zeitstil der 80er Jahre entsprechend wird sogar solistisch ein klassisches Instrument, die Oboe, eingesetzt, die den klagenden Trennungsschmerz (it‘s love, only love) noch mehr unterstützt. Auch das röhrende E-Gitarren-Solo gegen Ende ruft all unsere Erinnerungen an Deep Purple und Co wach und vertieft nostalgische Gefühle nur noch mehr.
Straßen-Cafés gibt es mittlerweile überall. Berühmt und Vorbild geworden ist das Café Flore in Paris am Montparnasse, wo sich Jean Paul Sartre und die Existenzialisten der Zeit getroffen haben. In Brüssel ist es der Grand Place, in Mailand sitzt man in der Galerie Vittorio Emanuele, in Ostende im Café du Parc. Ganz Rom ist ein einziges Straßen-Café. In Stuttgart mag ich besonders das Café Stella, sein Interieur, die freundliche Bedienung, das Publikum. Und wer mag in diesem Café nicht auch die monströse, laute und übervolle Straße gegenüber, eine richtige Stadtautobahn, in deren Abgaswolken man direkt sitzen darf, um alle Wohlgerüche dieser Welt einzuatmen – Daimler, Audi, BMW und Co?(ihr bemerkt bereits meinen chauvinistischen Marken-Fetischismus)?
Ulrich Neumann ist vor vielen Jahren (ich habe ihn auch in der “Ästhetik Band 2 Kunstbuch” S.11 erwähnt) in meinen Raum eingetreten. Er hat angeklopft und mir dann ein neues Lied vorgespielt aus der Hitparade, das ihm gefällt. Ich habe es gekannt. Ja, es hat mir gefallen. Warum? – Weil ich auch in diesem Trennungsschmerz so sehr gefangen war. Das Lied hieß „Street Café“ und stammte von der australischen Band Icehouse.
Hitparade 2: Icehouse: Little Girl (extended version), Street Cafe
__________________________________
* Kardinal Kasper, anlässlich des Papstbesuches in Großbritannien im Jahre 2010 auf die Mentalität der Briten hin angesprochen, hält diese Menschen auf der Insel mit zu den weltanschaulich verworrensten und geistig problematischsten überhaupt. Was ihm im Vorfeld des Papstbesuches natürlich heftige Kritik und keine neuen Freunde eingebracht hat. Obwohl er ein durchaus ernst zu nehmender und kluger Zeitgenosse ist.