89 Über Befreiung (Lektüreliste)
Lektüreliste
Es folgt an dieser Stelle eine Liste mit Büchern zum Nachlesen, die ich für nützlich halte, meinen letzten Blogbeitrag “Über Befreiung II” und auch den gegenwärtigen Zeitgeist zu verstehen und – wenn möglich – politisch mitzugestalten.
Herbert Marcuse, „Der eindimensionale Mensch“(1964). Die Bibel der USA- und Kapitalismus-Kritiker, Technokratiegegner und der Studentenbewegung von 1968. Als Anweisung zum erfolgreichen Handeln mittlerweile widerlegt und gescheitert. Als kritische Stellungnahme zum American way of life immer wieder lesenswert. – Eine nützliche Hinführung zum Werk und Stil Hegels für Neuanfänger ist immer noch Marcuses Buch „Vernunft und Revolution“(1962).
Jürgen Habermas, „Erkenntnis und Interesse“(1971). Einflussreiches wissenschaftstheoretisches Buch für Fachleute und (gegen)Antiphilosophen des naturwissenschaftlich-empiristisch ausgerichtlichen Lagers (Analytische Philosophie). Dort gibt es immer noch Menschen, die Philosophie und das Fach Philosophie radikal als „nur Unsinn fabrizierende Begriffsdichtung“ ablehnen und diesem Denken jede Art von Wissenschaftlichkeit absprechen.
Beginn der Wissens-Soziologie: Nach Habermas produzieren die Universitäten und ThinkTanks (Denkfabriken) a)Herrschaftswissen b)Verständigungswissen und/oder c)emanzipatorisches Wissen. Jede Wissenschaft lässt sich so kategorisieren: ob sie dem Menschen und seinem Leben nützt oder eher schadet.
Habermas und Karl Otto Apel haben sich in der Nachfolge von Horkheimer, Adorno und Marcuse (deshalb auch neue Frankfurter Schule) in die Höhle der sprach-analytischen Löwen gewagt, in der (linguistisch orientierten)Sprache ihrer Gegner die Auseinandersetzung und den Disput gesucht (zum Beispiel Adorno/Habermas u.a.„Der Positivismusstreit in der Soziologie“) und – verloren. Denn Dogmatiker kann man in der Sprache der Dogmatik nicht überzeugen, ein Problem auch der Kommunikationswissenschaft, der Kommunikationstherapie.
Das heißt, munter werden weiterhin und all-überall zweifelhafte Daten, Statistiken und Wissenschaftlichkeitsnachweise veröffentlicht, auch Standards und Regelwerke dogmatisiert, die etwas kritisieren oder beweisen wollen, was so nicht beweisbar ist.
Habermas übertrug das Freudsche Modell der Psychoanalyse mit den therapeutischen Phänomenen Aufklärung und Bewusstmachung (Hinterfragung) in die Gesellschaftstheorie. Auch dort sollte „falsches Bewusstsein“ (Marcuse) hinterfragt und offen gelegt werden. Sind Glücksvorstellung und Leben etwa des Kapitalisten kompatibel mit denen des Sozialisten oder gar des Zen-Buddhisten? – Nein. – Was nun, was tun?
Scheinbar gibt es keine verallgemeinerbaren Rezepte, zumal gegenwärtig der alles dominierende Empirismus und Behaviorismus einen Pakt mit dem neuen Ökonomismus eingegangen ist, der alles nur noch der Allmacht von Zahl und Geld wieder unterwerfen will. Auch gesamtgesellschaftlich und im Sinne des Behaviorismus mit den sozialen Medien zusammen neue Manipulations-und Steuerungs-Modelle entwickelt.
Leichter lesbar und weniger umfangreich ist das frühe Buch von Habermas “Technik und Wissenschaft als Ideologie“(1968). Weiterhin warnende und sehr politische Töne schlägt der 83jährige in seiner jüngsten Veröffentlichung an: „Im Sog der Technokratie“(2013). – Von Karl Otto Apel sei in diesem Zusammenhang eine Replik auf Habermas erwähnt: „Wissenschaft als Emanzipation?“(1970). Ein Plädoyer für Verstehen und die Verständigungs-Wissenschaft im Sinne einer fast schon sozial-psychologisch orientierten politischen Hermeneutik.
Burrhus Frederic Skinner, „Jenseits von Freiheit und Menschenwürde“(1971); „Walden II“(1948). Der große Wegbereiter und meist vergessene Guru einer von behavioristischen Ideen ausgehenden gut, ja fast schon altruistisch gemeinten Technokratie-Vision. Der Amerikaner Skinner ist zusammen mit dem Russen Pawlov Erfinder der Verhaltenssteuerung (Konditionierungstechnik).
Er hält nichts von den Begriffen Freiheit und Menschenwürde. Sie sind seiner Meinung nach veraltet. In seinem utopischen Roman „Walden II“ wird mittels ausgeklügelter Lerntechniken und Verhaltenssteuerung eine friedliche Gesellschaft kreiert, das heißt nach den Regeln der Verhaltenssteuerung konditioniert.
Die Idee der Freiheit ist geistesgeschichtlich tatsächlich eine relativ neue Idee: Platon und die Antike kannte sie nur ansatzweise, das Mittelalter noch viel weniger. Erst die „Protestanten“, später dann im Gefolge die Marxisten brachten sie mit ihren emanzipatorischen Hintergedanken unters Volk.
Sir Karl Popper, ein Deutsch-Engländer, der wegen seiner philosophischen Leistungen von der englischen Königin geadelt worden ist, „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“(1945). Die Bibel vieler demokratisch gesinnter Politiker auch der Gegenwart, Lieblingsbuch von Altkanzler Helmut Schmidt und eine einflussreiche Antithese zur Idee des Kommunismus („Immer wenn mit Gewalt das Paradies errichtet werden sollte, ist dabei die Hölle herausgekommen“), ein wütendes Pamphlet gegen Platons Idealstaat (Züchtung, Terror), gegen linke Weltverbesserungs-Utopien und gegen jegliche „nicht rationale Philosophie“.
Auf Popper einigen sich gemäßigte Natur- und Geisteswissenschaftler, Wahrheits-Theoretiker und Gläubige, Politiker und Anti-Politiker. Dennoch war Popper in der 68erBewegung Zielscheibe von Kritik und Anfeindungen (Neopositivist). Unter anderem weil er an eine wertfreie Wissenschaft glaubte und den Einfluss von Ideologien ausschließen wollte. Was unmöglich scheint, weil dieses Vorgehen selbst schon wieder eine im Subjektiven befangene Ideologie sei, so die Kritiker von Karl Popper.
Freud und die Psychoschulen des letzten Jahrhunderts. Einen guten Überblick über die teilweise konkurrierenden und sich gegenseitig Wissenschaftlichkeit absprechenden Ansätze gibt Christiane Schlüter, „Die wichtigsten Psychologen im Portrait“ (2007). Siehe auch den Blogbeitrag Nr.82 “Über Befreiung I”. – Ein führendes Buch der Encounter- Bewegung und Kommunikationstherapie in den siebziger Jahren war Lutz Schwäbisch/ Martin Siems, „Anleitung zum sozialen Lernen“ (1974).
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Die Lektüreliste ist entnommen meinem 2011 erschienenen Buch “Über die Sinnfrage” (edition weissenburg). Vgl. dazu auch mein Interview (Google)