112 Moderne Klassik (Interview)
Gespräch mit Reinhold Urmetzer
Sie waren lange Zeit Fachkritiker für Neue Musik, haben von den Donaueschinger Festspielen berichtet, in Tageszeitungen und renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht, heute kennt man noch Ihre Opernkritiken –
Sie spielen auf meine Akrostichen an, die ich ab einem bestimmten Zeitpunkt in die Rezensionen eingebaut habe?
Ja. In der Zeitschrift “Das Orchester” tauchen dann und wann ganze Sätze auf, die sich aus den Anfangsbuchstaben der einzelnen Textabschnitte zusammensetzen.
(Lachen) Für die Deutsche Presse Agentur (dpa) und Sybille Peine habe ich wochenlang sogar lateinische Sätze zusammengebastelt. Niemand wusste davon, geschweige denn Ingrid Herrmann, die lange Jahre im Schott-Verlag Schriftleiterin und Chefin der Zeitschrift “Das Orchester” war. Ihr habe ich zum Abschied ein schönes Palindrom gewidmet.
Warum das alles?
Das Rezensieren ermüdete mich auf die Dauer. Immer wieder die gleichen Werke – ich begann mich selber zu zitieren. Auch das Kritisieren kam mir so überflüssig vor. Alles geht. Warum soll ich jemandem ein gutes Gefühl abzusprechen versuchen, nur weil ich anderer Meinung über Wert und Güte eines Konzertes war? Alles wird so relativ. Ich wollte nicht mehr den Großmeister oder Herrscher über Recht und Schlecht in der Kunst spielen müssen.
Dann haben Sie das Lager gewechselt.
Warum?
Sie legen jetzt Renaissance-Lieder vor. Fangen wieder an zu komponieren. Produzieren aktuell im Studio Ihre “Musik für Geige und Klavier” von 1980 in einer Neueinstudierung.
Ja. Letzten Sonntag ist das geschehen mit Mao Zhao und Albertina Song. Doch das ist eine andere Sache. Sie geht auf eine Begegnung vor vielen Jahren mit Karel Goeyvaerts im Rundfunk in Brüssel zurück. Dort hatte ich den Musiker zu einem Radio-Interview getroffen und aus dieser Begegnung hat sich bei mir eine neue Einstellung zum Musikmachen entwickelt.
Goeyvaerts war immerhin nach 1945 ein Mitbegründer der seriellen elektronischen Musik, hatte einige Jahre mit Karlheinz Stockhausen im Kölner Rundfunkstudio zusammen gearbeitet, sich schließlich aber radikal von dieser Musik und diesem Menschen getrennt – er hat mir etliche unangenehme Details über diese Bekanntschaft erzählt – und nur noch einfache Musik, auch eine Musik des Körpers zu machen versucht.
Sie haben sich dann den Ideen Umberto Ecos angeschlossen.
Auch dieser hat das Ende der Avantgarde proklamiert. Wasser von einem Eimer in den nächsten zu schütten, ein Werk von John Cage, das einmal gesehen zu haben reicht vollkommen, oder wie die Pianistin Carol Morgan in einem Kagel-Werk unter dem Klavierflügel liegt, was sie dort wohl macht und dergleichen mehr – das genügt und man weiß Bescheid.
Wo stehen Sie heute?
Mir geht die Idee einer ökologischen, einer verständlichen, einer menschenfreundlichen Musik durch den Kopf, wie ihn sich Karel Goeyvaerts mit anderen Begriffen freilich ebenfalls vorgestellt hat.Ohne Schock, Überforderung, Provokation oder Lärm.
Anlass dazu war eine Ausstellung von Armin Steudle auf Schloss Kalteneck im September 2014. Seine Malerei entspricht genau der Art und Weise meiner gegenwärtigen Kompositions-Ideen. Auch Umberto Eco hätte seine Freude daran gehabt. Steudle zitiert manchmal wörtlich sogar Elemente der Renaissance-Malerei, baut sie in eine moderne Welt der Entfremdung, der Hochhäuser, Städte oder Landschaften ein, ohne dass eine Collage aus Bruchstücken erkennbar würde. Im Gegenteil – und das ist das besonders Wichtige -, es entsteht ein neues geschlossenes Ganzes.
Nur ein Element in Steudles Malerei hat nicht in meine Musikvorstellung gepasst: In seinen großformatigen Gemälden überwuchert die Natur übermächtig alle Schattenseiten unserer modernen Gegenwart. Sie nimmt sich eigenmächtig, ja fast übersteigert und monströs den Raum zurück, den man ihr weggenommen hat. Und dies auch sehr zur Freude des Betrachters.
Steudles Bilder enthalten also auch Botschaften aus der Welt der Natur, der Ökologie, vielleicht sogar einer neuen Zeit. Anders auch – obgleich im Stil verwandt – als die Bilder des Leipzigers Neo Rauch sind sie dergestalt typische Beispiele für eine südliche Tonart, einen südlichen Ton in Deutschland. Die Moderne, symbolisiert durch ihre monotonen Stadtwüsten und Hochhäuser, ist an einem Ende, ebenso wie – Sie entschuldigen – die Atonalität des abstrakten Expressionismus oder die experimentellen Klang- und Geräuschkunst-Experimente. Doch die klassische Musik hinkt immer den aktuellen Kunst-Tendenzen manchmal um Jahre hinterher.
Was verstehen Sie genau unter “südlicher Tonart”?
Mit Süden meine ich, dass wir hier im manchmal belächelten oder doch eher auch beneideten Süden Deutschlands anders denken, eine andere Tradition haben als die Leipziger Künstler. Das “grüne Denken” hat sich hierzulande sehr stark ausgebreitet und es findet sich mittlerweile in allen Parteien, sogar bei den Linken. Für die Weltkultur sind das m.E. ebenso wichtige Impulse wie die spektakuläre Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit oder einer stalinistischen Diktatur. Aber die Gegenwart und vor allem die Amerikaner mögen zur Zeit mehr das Reißerische und Apokalyptische. Ich denke genau im Gegensatz dazu.
Wie wollen Sie diesen Gedanken einer befreiten Natur und einer Moderne an ihrem Ende in Musik umsetzen?
Es muss letztlich eine Musik für den Körper sein, wie Karel Goeyvaerts propagiert hat, das heißt eine Musik des Tanzens, Träumens, des Fühlens und des Mitschwingens, nicht einfach nur des Denkens, Wissens, Aufmerkens, also der sensiblen Beobachtung. Obwohl auch diese rationalen Bereiche zu ihrem Recht kommen müssen und nicht ausgeschlossen werden dürfen. Sie sind ebenfalls “Körper”.
Postmoderne Kunst integriert selbst Antithesen, auch die Vergangenheit, auch die Zukunft. Der englische Architekt James Stirling zitiert in seinem Stuttgarter Staatsgalerie-Neubau viele Architektur-Elemente aus der Tradition der Moderne, des Expressionismus, des Konstruktivismus und der Gegenwart. Man entdeckt aber auch Zitate aus der Antike, aus Ägypten, Rom, Griechenland. Selbst die Gotik und die Barockzeit kommen zu Wort.
Und es gibt auch eine gute Portion Ironie und Humor in diesem architektonischen Meisterwerk. Es ist keine einheitliche, logische, rationale Konstruktion. Es ist ein lustiges Kreuz-und-Quer, ein Durcheinander von allem, sogar ein bisschen chaotisch. Dennoch wirkt es geschlossen und einheitlich. Die wenigsten Menschen werden wissen, was sich hinter diesem wunderbaren Bauwerk alles versteckt. Es fehlt halt eben das Wissen, der Code-Schlüssel*.
Eine solche Kunst verzichtet allgemein, auch in der Literatur, der Malerei, vielleicht sogar im Denken, auf radikale Neuerungen oder schockierende Erfahrungen der Avantgarde, vielleicht sogar der Moderne. Sie ist deshalb weniger eine Kunst des Denkens, der Konstruktion, der Quadrate und Rechtecke, der Mathematik, sondern sie ist eine Kunst vielleicht auch des Abschaltens, der Stimmungen, auch der Wieder-Erinnerung sogar im Sinne von Kitsch. Hier schlägt James Stirling wohl eine andere Richtung ein als Umberto Eco.
Das macht die Popmusik doch ebenso.
Natürlich gehen viele Teile der aktuellen Gebrauchsmusik, wie man so schön abwertend sagt, der Pop-und Tanzmusik in diese Richtung, jedoch nicht alle. Das heißt, eine solche Musik wird immer in der Falle des Ökonomismus gefangen bleiben, zum Geldverdienen und Manipulieren missbraucht werden können. Doch gegen solche Eingriffe und Tendenzen gibt es keine Abwehr außer der vielleicht auch nur resignierenden Bewusstmachung.
Wichtig erscheint mir außerdem, dass das fertige Produkt keine erkennbare Collage, also etwas Zusammengestückeltes sein darf, sondern als ein geschlossenes Ganzes wirken soll. Da heißt, dass es bruchlos daher kommt ohne Störungen oder schockierende Erlebnisse. Dass eine solche Musik trotzdem spannend und nicht langweilig, sondern informativ und in einem gewissen Sinne auch fordernd und, ich wage es fast nicht zu sagen, bildend zu sein hat in einer bestimmten Richtung.
Ich stelle mir immer wieder als Beispiel Ecos Roman “Der Name der Rose” vor, ein im Grunde primitiver Krimi mit erotischen Schmankerln, aber dennoch voll gestopft mit historischen Anspielungen selbst in lateinischer Sprache, die den Roman für Wissende zu einer wahren Fundgrube werden lassen.
Auf jeden Fall wirkt er ganzheitlich und nicht einfach nur bruchstückhaft zusammengefügt. Ähnlich auch die Malereien Armin Steudles.
Das Gespräch führte Alexandre Herrmann
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* Eine genaue Analyse der Stuttgarter Staatsgalerie (mit Akrostichon) habe ich zusammen mit Claudius Homolka unter dem Titel “Opus Mixtum und gefrorene Musik” veröffentlicht in der NZ (Google: Urmetzer/Homolka)
Das oben abgebildete Gemälde von Armin Steudle stammt aus seiner “Nachtbild”-Serie aus dem Jahr 2014 und ist 2mx2,50m groß. Einige der neuen Malereien des Künstlers sind auf meinem Twitter vom 14.9.2014 abgedruckt.
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