113 Martial 2 (Römische Lektüre IV)
Es folgen an dieser Stelle jetzt, um einen direkten Einblick in Sprache und Stil der Zeit zu geben, einige Gedichte. Gleich zu Beginn (Ihr wisst, was auf Euch zukommt!) ein Beispiel für ein erotisches Gedicht nach dem Motto damals wie heute: Sex sells! Also kein Text philosophisch über Liebe und Lust, sondern nur kurz und schnell (Entschuldigung) über Sex. Ich stütze mich bei allen Beispielen auf die Übersetzung von Harry C.Schnur, erlaube mir jedoch gelegentliche Änderungen in Vokabular und Satzbau.
Neuntes Buch / Nr.67
Mit einem geilen Mädchen hab ich unlängst eine Nacht gar neckisch und höchst vergnüglich zugebracht. War eine Stellung uns auch noch so unvertraut, locker gingen wir ans Werk und haben sie gebaut. Und da ich noch nicht müde war, bat ich sie recht fein: „Zum andern Eingang auch einmal lass mich herein!“ Erst hat das Mädchen ein wenig sich geziert und wollte lange nicht – dann ward auch das probiert. Zum Schluss wollt‘ ich noch was, das war nun ganz speziell; ich hab mich selbst geniert, jedoch sie tat’s recht schnell. Du möchtest, Aeschylus, auch gern mal bei ihr sein? Ich rate nicht dazu: ihr Kuss ist nicht mehr rein.*
Im nächsten Beispiel geht es um Heuchelei. Stoiker, die hier angesprochen werden, waren die herrschenden Vertreter von Sitte und Moral im Sinne von Tradition und Ordnung. Eheschließungen unter Männern sind uns auch heute nicht mehr unbekannt. Sogar Kinder können sich solche Paare mittlerweile zulegen. Zeus höchst selbst musste zu diesem Zwecke gleichwohl noch das Kind von Semele, die er umgebracht hatte, drei Monate lang in seiner Wade austragen. Dann erst hat er den Dionysos gebären können.
Auch Kaiser Nero hat zu Martials Zeit in Rom seinen Sklaven Sporus vor dem ganzen Hofstaat in einem feierlichen „Event“, sagt man wohl heute (oder war es bei diesem „Künstler“ nicht eher eine Performance?), als Braut geheiratet. Umgekehrt hat er sich ebenso spektakulär einige Zeit später von seinem Freigelassenen Doryphoros als Gattin ehelichen und vergewaltigen lassen.
1 / Nr.24
Sieh, Decianus, den Kerl dort mit der struppigen Haarfrisur: Man möchte Angst haben, wie der schaut, griesgrämig, sittenstreng. Immer redet er nur von Moral und der Vorväter Sitten, aber der Augenschein trügt: gestern, da war er die Braut.*
Im Folgenden geht es um Frauenfeindlichkeit, Misogynie (die geneigten Leserinnen mögen diese Textstelle jetzt überspringen). Ich werde also ein „misogynes Gedicht“ vorstellen, das sogar mit einer förmlichen Scheidungserklärung beginnt, weil die Frau sich nicht immer so verhält, wie der Mann es möchte.
Die Frauen der Oberschicht mussten sich gleichwohl nicht alles gefallen lassen, was Martial hier verlangt. Schon eine Frau jedoch, die lesen konnte, brachte den Poeten auf die Palme. Ganz anders Catull: Seine Geliebte, in die er zeitweise leidenschaftlich verliebt war, hieß Lesbia und sie war die angesehene, wenn auch etwas anrüchige Ehefrau eines hoch stehenden Politikers in Rom. Wie dieser den ungestümen Liebhaber hat erdulden können, ist nicht bekannt.
11 / Nr. 104
Ehefrau, mach dich davon oder füge dich! (2) Denn ein Spießer bin ich nun einmal nicht, halte auch nichts von Moral. Ich verbringe die Nächte am liebsten mit fröhlichem Zechen, du trinkst Wasser und ziehst schlecht gelaunt dich bald zurück. Du hast die Dunkelheit gern: ich schmuse im Schein der Lampe: Hell muss es sein, dann streng gerne die Lenden ich an. Du legst das Mieder nicht ab, nicht das Hemd, nicht einmal den Schlafrock: Nackter als nackt aber lieb ich mir eine Frau im Bett. Mich bezaubern die Küsse, wie zärtliche Täubchen sie tauschen: Du küsst grad so wie Großmama mich küsst. Stumm und starr liegst du da: auch Fingerspiele verschmähst du, grad so, als ob hier rituell sich ein Opfer vollzieht. . . . . . (3) Nun, wenn es Freude dir macht, sei eine Lukrezia bei Tage, (4) ich aber wünsch mir eine Venus zur Nacht.*
Naturgemäß hatten die Hedonisten und Aristipp-Anhänger der Zeit, und dazu gehörte auch Martial, einen Hass auf ihre Kritiker und Antithesen, etwa die Stoiker. Zwei Texte will ich anfügen. Der erste behandelt eher neutral das in der römischen Kultur und Moral hoch geschätzte Ehepaar Paetus, in dem der vorbildlich zelebrierte Selbstmord der beiden Ehegatten im Stil der stoischen Ethik vorgestellt wird. Selbstmord – berühmt wurde auch der auf Befehl Neros erfolgte Selbstmord des Philosophen Seneca – war in der Antike eine bewundernswerte Stärke. Es gab sogar Peisithanatoi, „Todes-Vermittler“, die zum Selbstmord zu überreden suchten – gegen Geld natürlich.
Petronius hat in seinem „Satyricon“ diese Szene etwas sensibler und weniger grobschlächtig als Martial dargestellt. Besonders überzeugend hat sie Federico Fellini in seine „Satyricon“-Verfilmung eingebaut.
Vgl. auch dazu meinen „Satyricon“-Aufsatz im Blog Nr. 25.
1 / Nr. 13
Als ihrem Paetus die züchtige Arria den Dolch überreichte, den sie soeben sich selbst tief in die Brust gebohrt, sprach sie: „Glaub mir, es schmerzt nicht die Wunde, die ich mir zugefügt, aber was du tun wirst, Paetus, verursacht mir Pein.“*
Das nach folgende Gedicht listet den Gegensatz Arm und Reich auf – der Arme muss naturgemäß zum Stoiker werden, der auf jeden Prunk und Luxus verzichtet.
11 / Nr.56
Dass du den Tod, mein Freund, wie ein echter Stoiker preisest,
soll ich bewundern und gar loben, wie gut du dich hältst?
Aber ich kenne die Gründe für deine hochherzige Haltung:
Scherben sind dein Geschirr, kalt, ohne Feuer dein Herd,
Wanzen zerfressen dein Bett, ein Gestell ohne Polster und Laken,
und ein schäbig Gewand trägst du bei Tag und bei Nacht.
Aber schlafe einmal auf Kissen aus teuerster Wolle,
und mit Purpur gedeckt sei dir dein schwellendes Glied,
und schlafe bei dir ein Knabe mit rosigen Lippen,
der deinen Gästen den Wein reicht und Begierde erregt –
Ja, dann wolltest du leben und Nestors Alter erreichen,
und du verzichtetest nicht auf einen einzigen Tag.
Leicht fällt Lebensverachtung dem, der ein ärmlicher Schlucker:
Wirklich tapfer ist der, der auch das Elend erträgt.
*
Freundschaft war ein besonders hohes Gut. Es war kein Kommen und Gehen wie heutzutage, wo in dieser Hinsicht meist kurzer Prozess gemacht wird. Im Gegenteil, die Aufnahme einer Freundschaft vor allem in der Oberschicht bei bekannten Persönlichkeiten oder „Stars“ war ein förmlicher Akt, fast eine Institution wie die Ehe. Man musste dazu eingeladen werden wie heutzutage bei Facebook. Man musste geduldig sein, werde ich es oder werde ich es nicht, bis schließlich dann nach langen acht Monaten beispielsweise Horaz von Maecenas förmlich das „esse in amicorum numero“ erhalten hatte, also „in die Zahl der Freunde aufgenommen“ worden zu sein. Ähnlich ging es zu auch bei der Aufkündigung der Freundschaft, der renunciatio amicitiae.
1 / Nr.54
Kannst du, Fuscus, noch treue Freunde brauchen –
Denn du hast ja so viele und allerorten –,
Bitt ich, falls es noch frei ist, um ein Plätzchen.
Weise mich nicht zurück, nur weil ich neu bin:
Deine Freunde sind’s auch einmal gewesen.
Sieh zu, ob der neue Freund, der vorspricht,
dir ein alter Gefährte werden kann.
*
Abschließend noch ein Vergleich mit Catull. Wie dieser sein Landhaus in Sirmione schildert, poetisch, emotional, ja verliebt die plätschernden Wellen des Garda-Sees beschreibt, das ist ganz nahe an einer Verzauberung im Sinne romantischer Poesie (vgl. im Blog den Beitrag Nr.79).
Anders Martial: enttäuscht und frustriert, weil ihn die beiden (guten) Nachfolgekaiser Nerva und Trajan nicht beachteten – wohl weil er zu sehr ein Günstling des vorhergehenden Terror-Kaisers Domitian gewesen sein mag. Er hatte immerhin von diesem das Dreikinderrecht erhalten, wichtige bürgerliche Vorteile und Privilegien, die auch Unverheirateten und Kinderlosen per Dekret des Kaisers gewährt werden konnten.
Reichlich ernüchtert lebend auf seinem kleinen Gut in Spanien, wohin er frustriert als 58jähriger zurückgekehrt ist, schildert er dem jüngeren Dichter-Freund Juvenal seinen gegenwärtigen Zustand: Er ist zum „Provinzler“ geworden, schläft lange und faul, kleidet sich nicht mehr extravagant, erfreut sich an Küche und Essen und Jäger(„mit dem ich mal privat gern allein wär“). Zum Verwalter hat er sogar einen noch bartlosen Knaben, einen puer delicatus gemacht, der sich in dieser seiner Haut auch nicht mehr wohl fühlt – die erste Rasur bedeutete immerhin endlich das Ende der Knabenliebe (4).
„So leb’ gern ich“, heißt es in der letzten Zeile des Gedichtes, „und so sterbe ich gern“, ob man‘s glauben will oder auch nicht. – So ist es dann aber doch gekommen: Nur sechs Jahre noch lebte Martial zurückgezogen in seiner alten Heimat.
12 / Nr.18
Während rastlos vielleicht umher du wanderst,
Juvenal, im Gelärme der Großstadt,
oder auf den Hügeln Dianas du eilest:
Wenn dich an der Schwelle der großen Herren
deine Schweiß nasse Toga fächelt und im
großen und kleinen Caelius du studierst,
hat mein Bilbilis mich nach vielen Jahren
aufgenommen: nun bin ich ein Provinzler –
Bilbilis, stolz auf Gold und Eisenadern.
Hier bestellt man, ohne sich anzustrengen,
Boterdum und Platea – Namen, wie sie
bekannt sind in den Hinterwäldern Spaniens.
Schamlos geradezu widme ich mich dem Schlafe
und bleibe oftmals bis neun Uhr morgens liegen.
Jetzt wird nachgeholt, was in 30 Jahren
mich an Ruhe die Nächte Roms gekostet.
Die Toga trägt man hier nicht; das erste beste
Kleid wird mir gereicht aus dem morschen Schranke.
Steh ich auf, erwartet ein Riesenfeuer mich am Herd
gern mal gänzlich privat im Wald allein‘ wär.
Mein Verwalter, noch bartlos, teilt Rationen
aus an die Sklaven und bittet um Erlaubnis,
seine langen Locken sich kurz schneiden zu dürfen –
So leb gern ich, so will ich auch gern sterben.
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1 So lautete die förmliche Scheidungs-Deklaration. Die meist sehr jungen Frauen der Oberschicht waren jedoch in einer gesicherten Position: Zur Ehe mussten sie eine große Mitgift einbringen, die sie bei einer Scheidung zurück fordern durften. Sie wohnten dann wieder im elterlichen Haus und warteten auf die nächste Gelegenheit, um die sich wieder der Vater kümmern musste.
Cicero hat trotz vieler Bedenken seinerseits aus finanziellen Gründen noch 60jährig in zweiter Ehe eine 18jährige junge Frau geheiratet. Wenn auch nur für ganz kurze Zeit.
2 Es folgt an dieser Stelle jetzt die Aufzählung von mehreren sexuellen Positionen, die beim Geschlechtsakt im mythischen Götterhimmel des Olymp üblich gewesen seien und gleichwohl von der im Gedicht angesprochenen Frau ebenfalls abgelehnt worden sind.
3 Sie war berühmt wegen ihrer Sittenstrenge auch dem Ehegatten gegenüber und gab sich schließlich den Tod.
4 Kaiser Augustus hat gleichwohl angeblich erst mit 25 die feierliche Initiation zur ersten Bartrasur, also zur erwachsenen Manneswürde, gefeiert.
Demnächst: Juvenal