114 Martial 1 (Römische Lektüre IV)
Luxus und Laster
Unter den drei hell in der Weltkultur leuchtenden Sternen der römischen Lyrik bei und kurz nach dem Untergang der Republik steht Marcus Valerius Martialis genau in der Mitte. Im Jahre 40 n.Chr. in Spanien bei Saragossa geboren, kam er im Alter von 24 Jahren in die Hauptstadt Rom und fand dort Unterstützung durch andere Spanier wie Seneca oder Lukan. Die römische Republik war bereits untergegangen, die heftigen Wirren des neuen Kaisertums nach der langen Friedenszeit unter Augustus hielten an, ja hatten ihre ersten negativen Höhepunkte unter den Kaisern Caligula und Nero oder im “Vierkaiserjahr” 69 erreicht. Aber auch Neros Nachfolger Domitian, unter dessen Herrschaft Martial ab dem Jahre 81 lebte, war in seiner pathologischen Grausamkeit nicht besser. Während Nero sich als großer Musiker und Dichter sah und zahlreiche Auftritte inrszenierte, war er der erste Kaiser, der sich mit Dominus et Deus, Herr und Gott, anreden ließ.
Martials großes Vorbild Catull war zwei Generationen älter, Juvenal etwa 15 Jahre jünger. Während Catull noch die letzten Jahre der Republik erlebt hatte, wie sie sich gegen den Allmachts-Anspruch Cäsars zu wehren suchte (auch mit Hilfe der geistigen Führung Ciceros), erlebte Martial bereits die Schreckensherrschaft der neuen Kaiser, genauer gesagt Neros und Domitians.
Weniger begütert als Catull, gleichwohl ebenso angesehen und in der Oberschicht populär wie dieser musste er sein tägliches Brot jedoch als Klient erwerben, erschmeicheln, erbitten. Das heißt er stand in direkter Abhängigkeit zu einem Sponsor oder Mäzen.
Auch die reichen “Bürgerlichen”, Freigelassenen und Nicht-Aristokraten konnten sich mittlerweile in Rom eine Villa mit kleinem Sklaven-Hofstaat und Klienten leisten. Dies schloss jedoch Verpflichtungen ein: Bei Sonnenaufgang musste sich der Klient vor der Villa seines Geldgebers einfinden, fein gekleidet in die schwerfällige Toga, worüber sich Martial oft genug beklagt hat. Er musste arbeiten, Botengänge machen oder seinen Sponsor begleiten. Dafür erhielt er kleinere Geschenke, Kleidung, Geld für den Lebensunterhalt. Vor allem wurde man zur Hauptmahlzeit um 15 Uhr nach der Mittagspause und dem voraus gehenden täglichen Besuch im Bad(13Uhr) eingeladen.
Martial hat sogar devote Huldigungsgedichte an den Kaiser verfasst, der selbst auch ein Literat war. Es gehörte zum guten Ton dieser Jahrzehnte unter den Männern – schreibende Frauen waren selbst Martial ein Ärgernis – Gedichte oder Prosatexte schreiben zu können. Zur Erinnerung: Wir sind immer noch im Zeitalter des Hellenismus, wo der Geist hegelianisch gesprochen „zu sich selbst finden will“ und die menschliche Aggressivität, auch Sexualität gleichwohl noch blindwütig herrschen darf. Auch Nero hielt sich für einen begnadeten Poeten und Musiker. Er nahm sogar an entsprechenden Wettbewerben in Griechenland teil, die er natürlich alle gewann.
Andererseits waren aber eben solche Schmeicheleien und Bestechungs-Gedichte auch Ziel von Martials Spott und seiner Verachtung. Wie überhaupt seine Sprache in Gegensatz zu der emotionalen Leidenschaftlichkeit Catulls, auch poetischen Zärtlichkeit, bedeutend kälter, nüchterner und aggressiver war. Wir sind im Zeitalter der Terror-Herrschaft. Spöttische Kritik und kritischer Spott überwiegen bei weitem die oft kurzen Gedichte. Darunter waren auch etliche bestellte und bezahlte Texte, womit sich der Dichter immer wieder seinen Lebensunterhalt verdienen musste.
Martial wendet sich meist klar und heftig gegen seine Zeitgenossen, die trotz der fiktiven Namen (jedes Gedicht richtet sich fast immer direkt an eine Person) genau wussten, wer gemeint war. Dennoch lautete die Devise: Parcere personis, dicere de vitiis – die Personen schonen, das Laster nennen.
Der Dichter hebt jedoch nie den Zeigefinger eines Moral-Predigers. Er will nichts verbessern, sondern er macht sich nur lustig über die Absonderlichkeiten seiner Zeit, zu der er ebenso gehört. Sein Lachen, sein Spott sind gleichwohl – wie heute vielerorts auch – bitter. Seine Ironie speist sich aus dem Unglück, aus der Verworrenheit und Orientierungslosigkeit der Zeit („alles geht“), der Gefährlichkeit und brutalen Härte des Lebens in einer Diktatur und von soldatischen Männern dominierten Welt. Martials Humor steht also meist kurz vor dem Zynismus, der m.E. auch heutzutage immer nur ein Ausdruck von Verzweiflung sein kann.
Das Allerwelts-Thema Sex kommt dabei nicht zu kurz und wird wie immer in der Antike in seiner spezifischen bunt schillernden Vielfalt abgehandelt. Liebesgedichte im Sinne der Romantik gibt es keine, im Vordergrund stehen Lust und Begehren, was angeblich auch auf Seiten der Frauen so gewesen sein soll. Obszön wirken diese Texte auf uns Zeitgenossen heute nicht mehr. Colessos, ein Herausgeber der Texte von 1701, hat selbst damals nur 150 der 1172 Gedichte gestrichen(„ad Usum Dauphini“). Dennoch sind auch heute noch Buchausgaben im Handel, in denen etliche Stellen gestrichen worden sind (1).
Von den 14 überlieferten Büchern mit Gedichten Martials befasst sich ein ganzes Buch mit 126 Gedichten nur mit dem Essen und seinen Delikatessen (Hühnchen, Pfirsiche, Trüffeln, Gänseleber, Purpurschnecken, Schwäne, Wein…). Ein anderes listet Geschenke auf wie Marmorstatuen, Bücher, Briefpapier, Hanteln, goldene Haarnadeln, ein Schwein, ein Speisesofa, ein Koch und auch einen Lustknaben als Mitbringsel. Ein drittes Buch schließlich schildert in gewählten griechischen Metren Außergewöhnliches im Zirkus und Colosseum, etwa was bei den brutalen Gladiatorenspielen oder blutrünstigen Tierkämpfen geschehen ist. Domitian ließ sogar manche rein willkürlich zum Tode Verurteilte vor den gierigen Augen des Publikums von Hunden zerreißen.
Ansonsten gibt es häufig Kritik und Spott am Alltagsleben mit seinem Luxus und seinen Lastern, es gibt Einblicke in die Wertvorstellungen und Lebensziele der Zeit und die Sinnfrage, die Petronius nur wenige Jahre vorher am Hofe Neros schon zu nennen gewagt hatte, ob wir nicht doch etwas mehr sein könnten als nur Eintags-Fliegen, als dem Vergnügen und der Lust verfallene Lebewesen, um nicht von Tieren zu sprechen.
Wann ist denn Mensch ein Mensch?(2). – Die sich im Untergrund immer weiter ausbreitende Sekte der Christianer gibt ganz neue Antworten: Auch deine Sklaven und Frauen sind Menschen und keine Dinge; beantworte Gewalt und Brutalität nicht mit Gegengewalt; verzichte auf Luxus und Wohlleben; ersetze die Pan-Sexualität durch Monogamie, Treue, Liebe und vielleicht sogar Askese. Leer ist der Götterhimmel im Olymp.
Ein Distichon Martials hat sich in die Weltkultur eingeschrieben. Es ist mir seit Langem in Erinnerung:
Nicht nur der Nacht gehört in diesem Buch jede Seite:
Manches findest du auch, das morgens, Sabinus, du liest.
Wir, die wir Epochen mit Stilmitteln wie Allegorie oder Symbol bereits hinter uns gelassen haben, können diesen Text in seiner Mehrdeutigkeit vielfältig verstehen und aufschlüsseln. Die Nacht kann als das Dunkle, Bedrohliche, Negative gesehen werden, welcher der Tag mit seinem beginnenden Morgen gegenüber steht. Man kann diesen Zweizeiler (viele Gedichte Martials sind nur epigrammatisch kurze Zweizeiler) jedoch auch als symbolischen Hinweis darauf verstehen, dass in diesem und auch in weiteren Gedichten nicht nur das Dunkel-Negative überwiegen wird, sondern dass auch das Positive im menschlichen Leben genannt und gefunden werden kann.
Einfacher und der römischen Mentalität gemäßer dürfte gleichwohl die Annahme gewesen sein, dass Martial in diesem Zweizeiler auf seine erotischen Texte verweisen will, die er zahlreich in seine Bücher eingebaut hat. Anders als bei Catull, wo immer Leidenschaft mit im Spiel war, Liebesfreud’ liegt hier oft nahe bei Liebesleid, erschöpfen sich die erotischen Stellen Martials eher in einer nüchternen, oft spöttisch-gleichgültigen Beschreibung. Sie schildern uns den antiken Autor als den coolen Zeitgenossen auch unserer Zeit und Gegenwart, während Catull der wilde Stürmer und Dränger fast schon des 18.Jahrhunderts war.
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(1) Ich stütze mich in meiner Lektüre auf die Reclam-Ausgabe von Harry C. Schnur (Reclam 1611/12), der nichts davon hält, den Lesern einen „kastrierten Martial“ vorzusetzen, zumal man in der Antike bei allen Angelegenheiten der Natur kein Blatt vor den Mund nahm (naturalia non sunt turpia)
(2) Vgl.auch Blog Nr.15 „Satyricon – Römische Lektüre I”
Teil 2: Gedicht-Beispiele