125 Juvenal 2 (Römische Lektüre III)
Grausamkeit und Gewalt
Ich will an dieser Stelle jetzt den Aspekt der Gewalt, der Grausamkeit vorstellen, der latent und offen die ganze antike Welt beherrschte und noch bis weit ins Mittelalter anhielt. Nicht dass ihr vielleicht glaubt, ich idealisiere das Leben in der Antike; eher das Gegenteil ist der Fall (Vgl. Blogbeitrag Nr.27).Die Ächtung des Krieges erfolgte – wenn auch immer noch erfolglos – erst im 20. Jahrhundert und dies erst nach zwei bitteren Weltkriegen.
Scheinbar hat man jedoch immer noch nichts gelernt. Kopf und Hand abschlagen, wie noch bei der Ermordung Ciceros in Rom geschehen, das wird sogar wieder modern. Ein weiterer Punkt fällt auf: Nirgendwo in der antiken Literatur wird die Grausamkeit und Aggressivität der Zeit thematisiert. Scheinbar klaglos wird alles hingenommen. Wir befinden uns in einem Militärstaat, der in einem dauernden Kriegszustand lebt und die Jugend musste entsprechend ausgebildet, entsprechend vorbereitet werden.
In unseren historischen Aufzeichnungen und Erinnerungen steht eher und fälschlicherweise das römische Wohlleben mit Tafel- und Badefreuden oder die Exzesse der Oberschicht an erster Stelle. Bekannt sind zwar die großen Schlachten und Siege der Feldherren – unsere Geschichtsschreibung schätzt immer noch die Sieger mehr als die Opfer. Dass aber das Christentum entstehen musste in dieser Zeit als notwendige Antithese, gleichsam um mit seiner Idee der Liebe, die gerade nicht Lust und Sex, sondern Nächstenliebe bedeutete, eine Isosthenie wieder aufbauen zu helfen, das ist uns wohl weniger bewusst.
Schon die Erziehungsmethode der Jugend im alten Griechenland legte großen Wert auf das Ertragen und Aushalten von Schmerzen. Vielleicht gehörte in einigen Staaten, etwa in Sparta, das Ertragen der Knabenliebe auch mit dazu. Der tapfere, wehrtüchtige Mann war das notwendige, das überlebensnotwendige Ideal nicht nur in dieser Zeit. Dazu musste die Jugend bodygebildet-hart und emotional fest mit ihren Mitstreitern verbunden sein. Selbst Platon hat diese Maxime der Kampfbereitschaft, des Militarismus nie in Frage gestellt. Im Gegenteil: Auch Sokrates wird im “Gastmahl” als ein besonders tapferer Krieger vorgestellt, der sogar seinem Geliebten Alkibiades das Leben in einer Schlacht gerettet habe. Platon selbst nahm dreimal an Kriegshandlungen teil. Erobern und Erobert-Werden gehörte fraglos zu den unumstößlichen Werten der antiken Welt.
Die Jugend und Bevölkerung musste dergestalt an Wettkampf und Sieg, Gewalt und Grausamkeit gewöhnt werden. Dazu hatten die späteren Römer als Besatzer die volkstümlichen “Spiele” in den Stadien eingeführt, die von der Oberschicht finanziert wurden. Es gab Sportereignisse – besonders beliebt waren die Wagenrennen –, es gab auch künstlerische Wettkämpfe im Bereich von Theater, Redekunst und Musik. Es gab aber auch die berüchtigten Nero-Fackeln: Zum Tode Verurteilte (und das ging bei manchen Kaisern blitzschnell und ganz ohne Gerichtsprozesse) wurden mit einer eigens für diesen Zweck präparierten Kleidung ans Kreuz gebunden und dann angezündet.
Und es gab das blutrünstige Gemetzel der Gladiatoren. Sie waren meist gut ausgebildete Kämpfer und stadtbekannte Pop-Stars in den Arenen, die gegen zum Tode Verurteilte kämpfen mussten. Bekannt geworden ist deren Begrüßungsformel im Stadion vor dem Kaiser: “Moribundi te salutant, Caesar –die dem Tode Geweihten grüßen dich, Kaiser!”
Hatten sich in einem solchen Kampf die Verurteilten besonders gut geschlagen, durften sie auf Milde und Vergebung hoffen. Der nach oben gerichtete Daumen des Kaisers zeigte Begnadigung an. Auch für die Tierhetzen setzte man gelegentlich zum Tode Verurteilte ein, die vor den Augen des zahlreich erschienenen Publikums zerrissen und auf der Stelle aufgefressen wurden. – “Gelobt sei, was hart macht”, propagierten 2000 Jahre später die Nazis für ihre Kriege und Tötungsmaschinerien.
Auch die Kriegsschlachten muss man sich noch bis weit in die Neuzeit hinein als ein blutiges Gemetzel von Mann zu Mann vorstellen. Nicht mehr ein Knopfdruck (des Piloten) zerstört jetzt ganze Landstriche; eiserne Maschinen beschießen noch nicht Häuser oder Städte. Und das zu tötende Opfer hat man mittlerweile nicht mehr vor Augen (“technischer Fortschritt”), sieht das Ziel nur abstrakt auf einem Bildschirm, wo es sich vielleicht befindet.
In der Schlacht um die Zeitenwende stehen hingegen Tausende von Soldaten Mann neben Mann, Freund neben Freund, den Schutzschild wie eine eiserne Schutzwand dicht an dicht gerückt. Mit lautem Geschrei und Gebrüll sowie Trompeten-und Trommelgetöse rückt diese Wand langsam vor, bis man die gegnerische Mauer erreicht hat. Wird sie brechen, wanken, bröckeln? – Flieht bereits jemand? Das Gemetzel, die allgemeine Abschlachterei wie im Schlachthof beginnt.
Juvenal hat als einer der wenigen Autoren der Antike diese existenzielle Grunderfahrung eines jeden Mannes in der 15. Satire thematisiert. Nicht als Kritiker, das wäre Hochverrat gewesen – nur noch der Frevel gegen die Götter wurde strenger bestraft (siehe Tod des Sokrates). Er selbst stammte aus einer Militär-Familie, kannte dieses Totschlagen und Totstechen genau, war wohl auch eine Zeitlang in militärischem Dienst als Heerführer.
Im nachfolgenden Ausschnitt aus der 15.Satire verarbeitet Juvenal seine Zeit als Verbannter in Ägypten. Aus Hass und Bitterkeit allem Ägyptischen gegenüber ist die Schilderung wohl reichlich übertrieben. Aber sie gibt doch treffend die blutrünstige Situation eines Kampfes Mann gegen Mann wieder. Selbst Kannibalismus war kein Tabu. Juvenal zählt später weiter auf, welche Volksstämme im großen römischen Reich dem Kannibalismus immer noch huldigen. Wenn auch nur aus magischen Gründen, um die Kraft und Macht des Opfers dadurch zu erwerben.
Ajax hat im trojanischen Krieg damit gedroht, seinen Gegner Hector aufzufressen. Nachzulesen in der Ilias des Homer, zusammen mit Herodot der “Bibel”-Schreiber und damit auch Erfinder des antiken Götterhimmels, an den Griechen wie Römer fast 1000 Jahre lang geglaubt haben und die ihnen Richtschnur und Lebens-Moral war.
„Wir wollen berichten, was zwar unglaublich ist, aber sich erst kürzlich unter dem Konsulat des Iuncus vor den Schwellen der schwül-heißen Stadt Coptus zugetragen hat. Wir berichten das Verbrechen eines ganzen Volksstammes, das jede Tragödie in den Schatten stellt. Vernimm denn, was Barbarei selbst heutzutage noch verbrochen hat.
Zwischen den beiden Städten Ombi und Tentyra, die einander benachbart sind, bestand seit Urzeiten Feindschaft, niemals versiegender Hass und eine unheilbare Wunde, die heute noch brennt. Die Masse beiderseits empört sich, weil sie der Nachbarn Götter hasst: jedes Dorf vermeint, man dürfe nur die Götter anerkennen, die es selbst verehrt. An einem Festtag nun beschlossen Führer und Älteste des einen Stammes, jetzt müsse die Gelegenheit man nutzen, den anderen des Tages Heiterkeit und Freude zu entreißen, da sie nicht am großem Festmahl sich erquickten. Da stellte man Tische vor die Tempel und auf Straßen auf und auch ein Polster, das den Schlaf nicht kannte, weil man bisweilen Tag und Nacht bis in den siebten Tag hinein zu feiern pflegte. Ägypten ist zwar unzivilisiert, aber was das Zechen angeht, so steht der barbarische Pöbel, wie ich selbst feststellen konnte, der berüchtigten Stadt Canopus in keiner Weise nach.
Bedenke ferner, dass es leicht ist, Menschen zu besiegen, die, vom Wein betrunken, stammeln und taumeln. Hier tanzen also Männer, wobei ein Schwarzafrikaner die Flöte blies, hier gab es alle möglichen Düfte und Parfüms, auch Blumen und ums Haupt gewundene Kränze – dort drüben aber fastete der Hass.
Mit Schimpfereien fing es an, für entflammte Sinnen ist dies die Kriegstrompete zum Start. Bald stoßen brüllend sie zusammen: Statt der Waffen kämpft erst einmal die bloße Faust. Nur wenige Wangen bleiben unversehrt, kaum einen, ja keinen gibt es von allen Kämpfern, dem nicht die Nase platt geschlagen wird. In beiden Haufen siehst du jetzt verstümmelte Gesichter, auch entstellte Fratzen, aus deren zerfleischten Backen die Knochen hervor schauen, und Fäuste, die vom Blut aus Feindesauge triefen – doch halten sie dies alles noch für Sport und kindische Balgerei, weil man noch nicht auf Leichen trampelt.
Und wirklich: wozu schlägt sich eine Menschenmenge, die nach tausenden zählt, wenn alles am Leben bleibt? Darum wird der Kampf jetzt schärfer: Ihre Arme senken sich zu Boden, wo sie Steine suchen; die wirft man jetzt, des Bürgerkriegs Waffen, Steine, wie sie unsre Hände und Arme nur schleudern können.
Als sie Verstärkung heran geholt hatten, wagt es die eine Seite, das Schwert zu ziehen und mit tödlichen Pfeilen die Schlacht zu erneuern. Den Rücken wenden jetzt ihren Verfolgern auch die Kämpfer aus Ombi zu, welche das benachbarte Tentyra mit seinen schattigen Palmen bewohnen. Jetzt gleitet aus und fällt einer, der aus übergroßer Furcht zu schnell rannte, und wird gefangen. Sofort zerschneidet ihn der siegreiche Haufe in viele kleine Happen und Brocken, damit eine Leiche für die ganze Menge reiche, und sie fressen ihn vollständig auf, ja benagen noch die Knochen. Weder kochten sie ihn im heißen Kessel, noch brieten sie ihn am Spieß, denn zu zeitraubend und langwierig dünkte es sie, auf Feuer zu warten, so dass sie mit der rohen Leiche Vorlieb nahmen.
Die Natur bekennt, dass die Menschheit von ihr ein empfindsames Herz verliehen erhielt dadurch, dass sie uns die Träne gab: das ist das edelste unter unseren Gefühlen. Nun aber sehen wir ein Volk, dessen brutaler Leidenschaft es nicht genügt, einen zu ermorden, sondern das seine Brust, seine Arme, sein Gesicht als Nahrungsmittel betrachtet”.