129 Germanicus (Römische Lektüre IV)
Römischer Alltag (Germanicus)
Um den Übergang zu finden von den Schreckenskaisern nach Augustus im 1.Jahrhundert zu den „besseren“ und auch vorbildlichen Herrschern der späteren Jahre (es reicht jetzt allmählich mit den negativen Beispielen) will ich an dieser Stelle einen Bericht Suetons einfügen über den Vater des Kaisers Caligula, Germanicus. Mit insgesamt sieben Kapiteln über den berühmten Feldherrn leitet der antike Historiker quasi als vorbildliche Antithese die Lebensbeschreibung des Kaisers Caligula ein. Germanicus war ein Enkel des Kaisers Augustus und Adoptiv-Bruder des späteren Kaisers Claudius, ein durch seine Kämpfe in Germanien berühmt gewordener Feldherr. Noch mehr überzeugte er aber die Bevölkerung Roms durch seine untadelige und vorbildliche Lebensweise.
Im Folgenden zitiere ich Sueton wörtlich und erkläre die Hintergründe mit Hilfe der Erläuterungen, die allgemein den Publikationen aus der Antike von den Übersetzern zum besseren Verständnis der Texte mitgegeben werden(1).
Germanicus war, wie allgemein bekannt, mit allen Vorzügen des Leibes und Geistes so glücklich wie kein anderer Mann ausgestattet.
Körperbau und Stärke waren unvergleichlich, sein Geist in griechischer und römischer Beredsamkeit und Literatur hochgebildet; er besaß eine seltene Liebenswürdigkeit und ein bewundernswertes, des Erfolges sicheres Streben, sich die Gunst der Menschen zu erwerben und ihre Liebe zu gewinnen.
Nur die etwas zu hageren Schenkel passten nicht ganz zu seiner Statur, doch gewannen sie allmählich an Kraft und Fülle durch tägliches Reiten nach dem Essen.
“Vorzüge des Leibes” waren in der Antike Körperstärke, Größe, Tapferkeit und Selbstbewusstsein. „Vorzüge des Geistes“ waren auch bei Politikern und Militärs literarische Belesenheit, die Fähigkeit zum kreativen Schreiben und Erfinden selbst von Theaterstücken im alten griechischen Stil. Auch rhetorisches Können war notwendig, das heißt die Fähigkeit politisch zu überzeugen, Reden und Ansprachen zu halten sowie an Gerichtsprozessen teilzunehmen.
Oft erlegte er einen Feind im Kampf Mann gegen Mann.
Über den Wert von Mut und der Tapferkeit etwa im Nahkampf und die Kaltblütigkeit, auch Grausamkeit im Krieg vgl. meinen zweiten Blogbeitrag Nr. 125 über den Schriftsteller Juvenal.
Als gerichtlicher Redner trat er selbst da noch auf, nachdem er bereits die triumphalischen Ehren gewonnen hatte, und außer anderen bleibenden Zeugnissen seiner Studien hat er auch griechische Komödien hinterlassen.
Als Redner, also auch als Advokat bei Gerichtsprozessen aufzutreten, war mit der angesehenste Beruf überhaupt. Er führte schnell zu einer politischen Karriere, wie heute auch noch den Juristen oft Tür und Tor offen stehen.
Als Sieger nach einer großen und bedeutenden Schlacht feierte der Held in Rom einen großen Triumph. Wer diese „triumphalischen Ehren“ einmal hat erleben dürfen, war ein gemachter Mann – eine größere Auszeichnung gab es nicht.
Eine lange Militärparade zog sich prozessionsartig bei einem solchen “Triumph” durch die Stadt. Beutestücke, alle Kriegsgefangenen, das heißt die neuen Sklaven, darunter auch die besiegten gegnerischen Herrscher,Tiere, zahlreiche dem Tod geweihte ausländische Gladiatorenpaare, wurden vorgeführt. Die Bevölkerung jubelte den siegreichen Soldaten zu. Auch diese wurden oft reich belohnt, manchmal sogar mit Landbesitz außerhalb von Rom.
Daheim wie im Ausland war sein Betragen bürgerliche Pflicht; freie und verbündete Städte betrat er stets ohne Begleitung von Liktoren.
Führungspersönlichkeiten, wenn sie zu Fuß statt auf dem Pferd, dem Schiff oder in der Sänfte unterwegs waren, wurden von Liktoren begleitet, quasi auch ein Personenschutz, eine Leibwache, die wenige Meter voraus ging und laut den Nachfolgenden ankündigte, etwa mit „Macht Platz für den Pro-Konsul Gaius Agrippa“. Es drückt die Bescheidenheit des Germanicus aus, dass er sich, wenn überhaupt, auf nur zwei Liktoren beschränkte, während ihm doch wie den Konsuln wenigstens sechs zustanden.
Wo er Grabmäler berühmter Männer fand, pflegte er ihren Manen (den Toten) Opfer dar zu bringen. Als er die verwitterten und zerstreuten Überreste der bei der Niederlage des Varus in Germanien Erschlagenen unter einem gemeinsamen Leichenhügel zu bestatten beschloss, war er der erste, der daran ging, diese mit eigener Hand auf zu lesen und zusammen zu tragen.
Das heißt, dass er die Riten und Gepflogenheiten der Religion, selbst wenn es sich um eine bereits veraltete Tradition handelte, befolgte und sich den Gepflogenheiten anpasste.
Frevel gegen die Götter war das größte Verbrechen und wurde lange Zeit sogar mit dem Tode bestraft (siehe Tod des Sokrates in Athen und ähnlich auch der Prozess gegen Jesus Christus). Der römische Staat war jedoch meistens überaus großzügig im Integrieren fremder Religionen. Jedes besiegte Volk durfte seine Religion beibehalten. Nur musste es den Kaiser als Staatsoberhaupt anerkennen und Steuern zahlen, später ihm als Gott huldigen.
Dennoch machte sich in weltanschaulichen Fragen immer mehr ein allgemeiner Relativismus breit, der schließlich in einer „Alles geht“-Haltung mündete. Selbst der Atheismus wurde akzeptiert, etwa wie ihn die Philosophie Epikurs lehrte. Und die Untergrundbewegung der Galiläer oder Christianer oder Nazarener wurde schließlich sogar Staatsreligion und ersetzte die griechischen Götter Homers.
Mit dem Zusammenbruch der alten Religion wurde die Lücke jedoch immer mehr, wie heutzutage auch, mit exotischen Ersatzgöttern etwa aus Ägypten (Isis-Kult), mit Esoterik und Geheimkulten ersetzt. Angst vor Blitzen war allgemein, Zukunftsdeutung aus Träumen, Sternen und der Glaube an Wahrsagereien waren weit verbreitet.
Selbst gegen seine Widersacher – wer sie auch seien und aus was für Gründen sie ihm auch feindlich gesinnt sein mochten – war er so mild und ohne Arg, dass er sogar gegen den Piso, obwohl dieser seine Verordnungen aufgehoben und seine Klienten lange Zeit misshandelt hatte, nicht eher zornig wurde, als bis er den Beweis in die Hände bekam, dass dieser sogar Giftmischer und Zauberkünste gegen ihn betreibe.(Piso soll ihn auf Anweisung des Kaisers Tiberius später mit einem Gift im Lager in Syrien getötet haben).
Selbst in diesem Fall ging er nicht weiter, als dass er ihm, nach der Sitte der Vorfahren, die Freundschaft aufkündigte und seinen Hausgenossen die Rache überließ, falls ihm selbst etwas Schlimmes begegnen sollte.
Über das Ritual der Ankündigung bzw. Aufkündigung der Freundschaft vgl. meinen Blogbeitrag über Martial in Nr.113.
Aufkündigung der Freundschaft war fast schon eine Kriegserklärung und man musste fortan sehr auf der Hut sein vor solchen neuen Feinden und Gegnern.
Für diese trefflichen Eigenschaften erntete er den reichlichsten Lohn in der achtungsvollen Liebe der Seinen, die so weit ging, dass Augustus – um von seinen übrigen Verwandten nicht zu reden – lange schwankte, ob er nicht ihn zu seinem Nachfolger bestimmen sollte, und ihn endlich durch Tiberius adoptieren ließ.
Zugleich war er bei dem Volk so beliebt, dass er nach vielen Berichten, wenn er irgendwo ankam oder aus irgend einem Ort abreiste, durch das Gedränge der zu seiner Begrüßung oder zu seiner Begleitung herbeiströmenden Menge zuweilen in Lebensgefahr geriet und dass, als er aus Germanien nach der Niederschlagung des Aufstandes heimkehrte, sämtliche prätorianischen Kohorten zu seinem Empfang ausrückten, obwohl nur zwei den Befehl dazu erhalten hatten, und dass das ganze römische Volk, ohne Unterschied des Geschlechts, Alters und Standes, ihm bis zum zwanzigsten Meilenstein entgegen strömte.
Als Zeichen der Wertschätzung ging man seinem Gast entgegen, bei Menschen der Oberschicht in feierlicher Kleidung (Toga) und je größer die Entfernung umso besser. Gehen bedeutet aber auch zu Pferde oder von 4-8 Sklaven in einer Sänfte getragen. Im Germanenkrieg absolvierten Germanicus und sein Heer zu Fuß bis zu 150km pro Tag in schwerer Kleidung und Waffen.
Aber noch weit stärker und überzeugender sprach sich das allgemeine Urteil bei und nach seinem Tod über ihn aus. An seinem Sterbetag schleuderte man Steine gegen die Tempel und stürzte Altäre um – manche warfen ihre Hausgötter auf die Straße und setzten die an diesem Tag von ihren Ehefrauen geborenen Kinder aus.
Man haderte quasi mit den Göttern, dass sie diesen Menschen so früh haben sterben lassen. Das Kinderaussetzen war als Mittel der Geburtenkontrolle verbreitet: Nach der Geburt wurde das Kind dem allmächtigen Vater gezeigt. Er musste entscheiden, ob es in die Familie aufgenommen wird oder nicht. Wenn nein, dann wurde es ausgesetzt, meist an fest stehenden Orten, wo es von interessierten Frauen evt. wieder aufgenomnen werden konnte, nicht zuletzt auch als Sklave. Es geschah anscheinend relativ oft, da die Geburtenrate der Bevölkerung immer mehr zurück ging und man schließlich zu Ehe und Nachkommenschaft von Staats wegen auch gezwungen werden konnte.
Ja, es heißt, dass selbst fremde Völker, die unter sich oder mit uns im Krieg lagen, wie bei einer allgemeinen und heimischen Trauer einmütig Waffenruhe eintreten ließen und dass manche kleinen Könige als Zeichen des höchsten Leidtragens sich den Bart und ihren Frauen das Haupthaar abschoren und sogar der König der Könige seine Jagden und die gemeinsame Tafel mit seinen Großen aussetzte, was bei den Parthern so viel bedeutet wie bei uns das Unterbrechen der Gerichtsverhandlungen.
Barttragen oder Bartabschneiden war immer von großer zeichenhafter Bedeutung. Die Philosophen, also die Intellektuellen der Stadt, ließen sich alle und immer den Bart möglichst lang wachsen wie auch der einfache Bürger etwa ab 40. Die erste Rasur bedeutete bei den jungen Männern den Eintritt in das Erwachsenenalter, das Ende auch der Knabenliebe in der Oberschicht. Über das Alter gibt es unterschiedliche Berichte. Augustus soll erst mit 25 den Bart abgenommen haben. Schon mit 18, damals hieß er noch Oktavian, war er ein berühmter und im republikanischen Bürgerkrieg erfolgreicher Feldherr.
In Rom harrte auf die erste unbestimmtem Kunde hin von des Germanicus‘ Erkrankung (im Kriegslager in Syrien) die Einwohnerschaft, wie vom Donner gerührt, in tiefem Schmerz auf weitere Botschaft. Als sich plötzlich spät abends, ohne dass man wusste durch wen, endlich das Gerücht von seiner Genesung verbreitete, stürzte sofort alles mit Lichtern und Opfertieren nach dem Kapitol, und fast wurden in dem Drange, die gelobten Opfer nicht zu verzögern, die Tempeltüren gewaltsam eingebrochen. Empor fuhr aus seinem Schlaf Kaiser Tiberius durch das Jubelgeschrei der Menschen, die einander Glück wünschten und überall sangen.
Bei den Tieropfern wurde ein großer Teil selbst verzehrt, nur ein kleiner Teil wurde verbrannt. Beliebt war bei solchen Zeremonien auch die blutige Schau der Eingeweide durch den Priester, welche die Zukunft voraussagen sollte. Selbst Cicero war sich zu einer solchen Tätigkeit als Pontifex maximus nicht zu schade, weil ein Priesteramt der politischen Karriere förderlich war.
Das archaische Ritual einer Opferung mit anschließendem Verzehr hat sich bis heute recht atavistisch im katholischen Christentum gehalten, wenn auch sehr stilisiert und eher abstrakt (Leib und Blut Christi werden an einem Tisch bei jedem Gottesdienst gegessen und getrunken). Auch auf die Gefahr hin, dass andere Religionen, etwa der Buddhismus, meist nicht nachvollziehen können, dass ein Gott quasi kannibalistisch aufgegessen wird.
Als aber nun doch endlich zutage kam, dass er seinem Geschick erlegen sei, da konnte durch kein Trost-Zusprechen, durch keine Edikte der öffentlichen Trauer Einhalt geboten werden, und sie dauerte sogar durch die Festtage des Dezember fort. Den Ruhm bis Dahingeschiedenen und die Sehnsucht des Volkes nach ihm steigerte noch die schreckliche Zeit, die auf ihn folgte, indem die öffentliche Meinung nicht ohne Grund sagte, durch die Achtung und Furcht vor ihm sei die Grausamkeit des Tiberius im Zaum gehalten worden, deren Ausbruch bald nachher erfolgte.
Verheiratet war Germanicus mit Agrippina, der Tochter des Agrippa und der Julia. Er hatte mit ihr neun Kinder, darunter auch die nachfolgenden Kaiser Nero und Caligula.
1 Aus: Sueton, „Kaiserbiografien“, Aufbau-Verlag Berlin 1985