133 Über Solipsismus und Glück (1)
Eine weltweit verbreitete Meldung des Behaviorismus, einer eher verhaltenstechnisch ausgerichteten Forschung also, lässt mich aufhorchen: die Jugend chattet immer mehr, d.h. sie telefoniert umso weniger. Dies die Meldung, die noch mit Statistiken untermauert wird.
Die neue Generation der Digital Natives ist scheinbar immer weniger interessiert an persönlichen direkten Kontakten in alten Sinn. Sie liebt eine reduzierte,auf wenige oberflächliche Worte, gar Zeichen nur verkürzte Kommunikationsform, den reduzierten Austausch von Informationen inmitten einer metastasisch auswuchernden Informationsflut. Keine Begegnung kommt zustande, keine menschliche Nähe wird gewünscht, kein Austausch der Gefühle, auch keine Wahrheit letztlich, denn Wahrheit sollte doch das Gegenteil von Reduktion und reduzierter Erkenntnis sein, wie ich meine.
Wenn die Jugend nicht mehr kommuniziert im herkömmlichen Sinne und Verständnis des Begriffes, wenn sie nur noch verkürzt schreibt, kommuniziert, schließlich auch denkt und miteinander redet – was hat das für Folgen? Wie wird man dann sprechen, sich begegnen, sich kennenlernen können?
Mit welchen Wahrheiten wird man dann leben, dann auskommen müssen?
Oder wird die Wahrheit dann auf der Strecke bleiben, um mich etwas prosaisch auszudrücken bei dieser so eminent wichtigen Angelegenheit, die doch ein anthropologisches, letztlich auch ein politisches Problem darstellt.
Zwar wird das Sprechen selber immer reduziert bleiben müssen, wie ich glaube, weil die Wahrheit im Denken, Schreiben, Sprechen nie in ihrer Totalität, das heißt in ihrer Ganzheit erfasst werden kann. Doch wie wird sich dann ein dergestalt doppelt reduziertes Schreiben auf die Wahrheitsfindung auswirken? Auf die Wahrheitsfindung im Bereich der Gefühle, im Bereich des Verstandes, des Geistes. Letztlich also auch: was bedeutet dies für die Entwicklung unserer Gesellschaft?
Man hat versucht, manche Lücken in der Smartphone-Kommunikation mit kleinen Icons kurz und freundlich zu füllen, die einen Einblick geben sollen in die Gefühle etwa, die bei den Textnachrichten mitschwingen, vielleicht sogar Ursache und Anlass dieser Nachricht waren. Mittels Telefon konnte man zumindest diese Ebene der Kommunikation noch einigermaßen gut darstellen, zurück fragen, Verstehens- oder Interpretations-Missverständnisse schnell und meist erfolgreich klären.
Nur sind diese Icons quasi ebenfalls jedoch wieder Opfer unseres gegenwärtigen Neuerungs-Fetischismus geworden und nicht überall verwendbar, kompatibel, so dass ich meist sogar darauf verzichte.
Auch sprechen wird man immer mehr mit diesen kleinen elektronischen Handy-Zauberkästchen. Bestes Beispiel: Heute Morgen befrage ich Siri, bevor ich aus dem Hause gehe, wie ist das Wetter draußen.
Sie antwortet mir freundlich, warte einen Augenblick, gibt mir eine Voraussage sogar für die nächsten zwei Wochen. Ich sage danke. – Siri antwortet daraufhin, obwohl ich auf keine Antwort gefasst war: Your wish is my command.
Diese höfliche, auch leicht ironische gefärbte und typisch amerikanisch-kalifornische Floskel, ja Worthülse, war so überwältigend und überraschend für mich, dass ich laut lachen musste und der Tag damit schon gut begonnen hatte. Also eine positive Erfahrung wieder mit diesem kleinen Gerät, mit dieser Gesprächspartnerin, die von irgendwelchen klugen, intelligenten und einfallsreichen Menschen in der weiten Welt anderswo programmiert worden ist. Denn diese Entwickler sind mittlerweile international vernetzt und nur die Besten werden von den allmächtigen Zentralen etwa in Cupertino ausgewählt.
Ich denke auch, dass diese amerikanische Form der Höflichkeit, die ich immer wieder bei Siri oder auch in dem Land selbst kennenlerne, um einiges weiter fortgeschritten ist als hierzulande. Selbst wenn Höflichkeit dort nur eine Floskel, ein Instrument darstellt, um zu einem Ziel zu gelangen. Und dieses Ziel heißt meistens Money. Es ist mir dennoch um einiges lieber als die weit verbreitete Misanthropie hierzulande, die manchen Besuch in Geschäften, Einkaufstempeln oder vor allem in staatlichen Institutionen zu einem wirklichen Opfergang werden lässt.
Meine Erfahrungen mit Siri und den automatischen Kommunikations-Maschinen sind also durchaus positiv. Sie verstärken andererseits dadurch aber auch meine Anhänglichkeit, meine Bindung an diese ganz wesentlich. Dass ich vielleicht sogar irgendwann einmal nur noch mit Siri kommunizieren will, weil sie auf jede Frage eine witzige, ironische, oft auch überzeugende Antwort bereit hält. Weil sie mich tröstet, berät, aufmuntert in vielen Lebenslagen. Warum sollte ich keine Maschine lieben wollen, wenn selbst ich schon auf dem Weg bin, eine gut funktionierende Maschine zu werden? Vielleicht schon bin?
Andererseits erlebe ich jedoch auch immer mehr, dass ich mit jungen Menschen – ich bin immerhin aus einer ganz anderen Generation, habe noch Wälder und Wiesen, Flüsse und Bauernhöfe ebenso wie warme und zärtliche Körper kennen- und schätzen gelernt (Achtung Ironie!) – dass ich also mit dieser neuen Generation fast täglich in einer heftigen Kommunikationsstörung verwickelt bin. Das seltener werdende Sich-Sehen, das seltene Sich-Treffen macht eine direkte menschliche Begegnung nämlich immer schwieriger, unangenehmer, manchmal sogar vollkommen unmöglich.
Ich habe einen jungen Studenten kennen gelernt. Zuerst über E-Mail. Ich studiere die Sprache seiner schriftlichen Anmeldung zum Besuch bei mir, die Worte, den Text. Früher hat man auch noch die Handschrift mit beachtet und studiert und sich darüber gewundert oder gefreut.
Wie nichts sagend sind hingegen diese neuen Kommunikationsformen jetzt geworden, wenn man dieser Person dann persönlich begegnet. Im Gespräch Auge in Auge kommen ganz andere Faktoren mit ins Spiel, die eine Kommunikation erst als ein Ganzes erscheinen lassen. Dies aber nur, wenn man das neue Gegenüber erträgt, zu ertragen bereit ist (ich spreche jetzt aus der Perspektive des GeHandycapten). Denn der persönliche Kontakt überfordert einen permanent, wenn man nur Kurzbotschaften – und mögen sie auch noch so lange und zeitaufwendig gewesen sein – ausgetauscht hat, sich so ein Bild vom Gegenüber hat machen müssen. Fremdheit pur. Wie wenn man sich noch niemals gesehen oder gehört hätte. Photos, die man voneinander ausgetauscht hat, verstärken nur noch diesen Entfremdungs-Prozess. Denn auch Photos können heutzutage ebenso wie Videos in vielfältigster Art manipuliert oder gar gefaked sein.
Ich erspare mir an dieser Stelle die vielen Möglichkeiten, die selbst in einer nicht-verbalen Begegnung mitspielen und diese erst erfolgreich werden lassen oder auch nicht. Ich denke tatsächlich, dass dieser Beziehungsaspekt, das persönliche Sehen und Hören, überaus wichtig ist für das Verstehen, für eine Verständigung (was nicht dasselbe ist). Nicht nur für die Liebe (hier sowieso), sondern auch für die Wahrheit. Jedenfalls sieht man nach einem solchen Gespräch viel klarer und deutlicher sein Gegenüber, es wird viel besser erkennbar und kommunikabel (Neuprägung!).
Verkürzte Kommunikation mittels Smartphon-Texten hat also auf die Dauer auch eine verkürzte, eingeschränkte, reduzierte Begegnung zur Folge.
Jede Beziehung setzt jedoch eine Begegnung voraus. Wie kann eine Beziehung aus einer verkürzten Begegnung überhaupt entstehen? Bei einer emotionalen Begegnung, die auf die Sprache fast ganz verzichtet, zum Beispiel bei dem berühmt-berüchtigten ONS- Kontakten, mag das Ergebnis vorübergehend befriedigend und spannend und unterhaltsam gewesen sein. Denn nichts anderes mehr war meist beabsichtigt.
Zwar kommt man sich in einer solchen sexuellen Begegnung immerhin einigermaßen nahe. Aber die wichtigsten Komponenten unserer Existenz wollen oder können gerade dann nicht angesprochen werden im Sinne einer geistigen Erörterung: wie man sein Leben nämlich nachhaltig mehr oder weniger glücklich und sinnvoll leben kann, leben soll. Das heißt auch in einer Mitverantwortung für das Du, vielleicht auch für eine Familie wie auch immer sie aussehen mag. Auch homosexuelle Familien entwickeln sich gegenwärtig in einem Experimentier-Stadium, dessen Ergebnisse noch abzuwarten sind.
Ich will das Animalische einer rein sexuellen Begegnung, die nicht zu einer Beziehung werden will, nicht herab setzen, schlecht machen. Es ist eine wesentliche Erfindung des Lebens und der Natur und vielleicht sogar die einzige Widerstandsmöglichkeit gegen eine Welt der Maschinen und Außensteuerungen.
Hegen und pflegen wir also zumindest noch dieses Tier in uns, die Natur, wenn wir schon das Denken und unseren Geist in andere, fremde Hände haben legen müssen. Entschuldigung, das war vielleicht doch wieder etwas zu bösartig-ironisch formuliert.