162 Senecas Tod (Römische Lektüre VIII)
Seneca, Petronius, Nero
(Tacitus 4)
Selbstmord war im antiken Rom eine heroische und bewundernswerte Leistung, für die es zahlreiche heldenhaft verehrte Vorbilder gab. Er zeugte von Tapferkeit, Seelenstärke und Gelassenheit dem allmächtigen Schicksal gegenüber, der einzigen Gottheit, an die zu glauben man allgemein noch bereit war. Er stützte sich außerdem auf Tugenden, die von der stoischen Schule propagiert wurden und in einem Militärstaat wohl gelitten waren. Im Folgenden zitiere ich wieder aus den “Annalen” des Tacitus (a.a.O.S.620ff/S.634 ff).
Als Seneca dies und Ähnliches gleichsam für alle ausgesprochen hatte, umarmte er seine Gattin, bat und beschwor sie, vom augenblicklichen Leid etwas weicher geworden, sich zu mäßigen, dass sie sich nicht endlosem Schmerze ergäbe, sondern dass sie ihre Sehnsucht nach dem Gatten in der Betrachtung seines der Tugend geweihten Lebens und durch die Tröstungen der Tugend zu ertragen suchte.
Sie dagegen erklärte, auch ihr sei ja der Tod bestimmt, und sie forderte selbst des Mörders Hand. Da sagte Seneca, ihrem Ruhm nicht widerstrebend und zugleich aus Liebe, um die einzig Geliebte keinen Kränkungen zu hinterlassen:
“Des Lebens Trost hatte ich dir gezeigt, du ziehst des Todes Ehre vor. Solchen Beispielen will ich nicht wehren. So sei denn in uns beiden die Festigkeit bei so tapferem Scheiden gleich; größerer Ruhm liegt jedoch in deinem Ende”.
Hierauf öffneten sich beide mit einem Schnitt des Dolches die Arme. Seneca zerschneidet, weil sein alter und durch spärliche Nahrung schmächtig gewordener Leib nur langsam dem Blute Fluss gewährte, auch die Adern der Beine und Kniekehlen und riet, von wütenden Qualen erschöpft, der Gattin, um durch seinen Schmerz nicht ihren Mut zu brechen und auch durch den Anblick ihrer Pein nicht selbst in Ungeduld zu verfallen, sich in ein anderes Zimmer zu entfernen.
Weil der Tod jedoch immer noch nicht eintreten wollte, bat Seneca Statius Annaeus, der ihm lange durch treue Freundschaft und ärztliche Geschicklichkeit bewährt war, ihm das bereit gehaltene Gift, womit die zum Tode Verurteilten in Athen getötet wurden, zu reichen. Als es ihm gebracht war, trank er es erfolglos, weil seine Glieder schon kalt und der Körper unempfänglich dafür war.
Endlich stieg er in eine Wanne warmen Wassers, besprengte die ihm nahe stehenden Sklaven mit den Worten, er weihe diese Flüssigkeit dem Jupiter Liberator.
Dann in ein Bad getragen und durch dessen Dampf getötet, wurde er ohne alle Leichenfeier verbrannt. So hatte er es schriftlich angeordnet, als er noch mitten in der Fülle des Reichtums und der Macht sein Ende bedachte.
Tigellinus, von Beruf Pferdezüchter mit großen Landgütern, kam ab dem Jahre 62 als ein neuer Berater in Neros Kabinett. Er inszenierte “aus Neid wie gegen einen Nebenbuhler und im Wissen um den im Lebensgenuss höher Stehenden” eine Intrige im Zusammenhang mit der Pisonischen Verschwörung im Jahre 65, so dass auch Petronius zum Freitod gezwungen wurde (zu Petronius vgl. meine Satyricon-Rezension im Blog Nr.25)
Petronius verbrachte den Tag im Schlaf, die Nacht in Geschäften und in den Vergnügungen des Lebens. Wie andere Menschen eine Tätigkeit, so hatte ihn das Nichtstun zur Berühmtheit werden lassen. Er wurde jedoch nicht für einen Schlemmer und Verschwender, sondern für einen gebildeten Lebemann gehalten(…) In sein Laster, die Nacht zum Tag zu machen, zurück gesunken, oder sei es, dass er nur den Schein davon annahm, wurde er von Nero unter seinen wenigen Vertrauten als Richter des guten Geschmacks aufgenommen, wobei Nero in seinem großen Überflusse nichts für angenehm und für behaglich hielt, als was Petronius ihm empfohlen hatte.
Doch auch Petronius zeigte sich ohne Todesfurcht: Er warf das Leben nicht in Hast von sich, sondern ließ, wie es ihm einfiel, sich die Adern verbinden und wieder öffnen. Dabei sprach er zu seinen Freunden, aber nicht in ernstem Tone oder in einer Weise, mit der er den Ruhm seiner Seelenstärke hätte begründen können. Er hörte ihnen auch zu, wenn sie gerade nicht von der Unsterblichkeit und von den Ansichten der Weisen sprachen, sondern wenn sie schlüpfrige Gedichte und spielerische Verse vortrugen.
Einige seiner Sklaven beschenkte er, andere ließ er geißeln, ging noch zur Tafel und gab sich dem Schlafe hin, damit der wenngleich auch erzwungene Tod dem natürlichen ähnlich wäre. Nicht einmal in seinem Testament schmeichelte er dem Nero, sondern er zeichnete vielmehr des Kaisers Laster unter Aufführung der Namen der Lustknaben und Dirnen und der Neuheit jedes Schändungs-Alters auf und sandte dieses versiegelt dann an Nero.
Nero wollte am Ende seiner Herrschaft im Jahre 68 von Ostia aus mit einem Schiff nach Afrika fliehen. Da jedoch niemand dazu bereit war, suchte er in der Nähe von Rom ein Versteck. Nur vier Begleiter sind ihm geblieben, darunter auch Sporus, seine “Gattin”(die dann „in Diensten“ des Präfekten der Leibwache Sabinus und auch des späteren Kaisers Otho stand).
Über Neros Tod schreibt der römische Schriftsteller Sueton in seinen Kaiser-Biografien a.a.O. S.304ff (die Aufzeichnungen des Tacitus zu diesem historischen Ereignis sind verloren gegangen):
Seine Begleiter drangen wiederholt in ihn, sich der drohenden schrecklichen Behandlung bald möglichst durch einen Freitod zu entziehen. Nero befahl also, ein Grab vor seinen Augen zu graben, wozu er selbst das Maß seines Leibes gab und ein paar Stück Marmor zusammen zu stellen, ebenso Wasser und Holz herbei zu schaffen, um sofort seinem Leichnam die letzte Ehre zu erweisen. Er begleitete alle diese Anordnungen mit Tränengüssen, indem er dabei zum wiederholten Male ausrief: “Welch ein Künstler stirbt in mir!”
Während er so den entscheidenden Augenblick hinauszögerte, kam ein Bote mit Briefschaften an. Er riss sie ihm aus der Hand und las, dass er vom Senat zum Staatsfeind erklärt worden sei und dass man ihn suche, um an ihm die Strafe nach altem Brauch zu vollziehen. Sein Leib werde mit Peitschen zu Tode geschlagen. Nero ergriff entsetzt zwei Dolche, prüfte die Spitze beider und steckte sie dann wieder ein, indem er bemerkte, noch sei die Schicksalsstunde nicht gekommen. Dann forderte er mehrmals Sporus auf, die Totenklage und das Wehe-Geschrei um ihn anzustimmen. Dann bat er wieder, es möchte doch irgendeiner ihm zum Selbstmord durch sein Beispiel behilflich sein.
Da springen dann auch schon die Reiter heran, denen es befohlen war, ihn lebendig zu fangen. Als er es bemerkte, rezitierte er einen Vers von Homer und stieß sich den Dolch in die Kehle, wobei ihm Epaphroditus, sein Kabinetts-Sekretär, behilflich war. Dann hauchte er seine Seele aus. Vor allem und am dringendsten hatte er von seinen Begleitern das Versprechen erbeten, dass sie niemandem gestatten sollten, ihm den Kopf abzuschneiden, sondern dass sie ihn unter allen Umständen unverstümmelt verbrennen möchten.
Dies geschah dann zusammen mit Acte, einer “Konkubine”, so Sueton, die Zeit seines Lebens seine Geliebte war und um die Nero anscheinend immer wieder vergeblich geworben hatte. Dies hat Icelus bewilligt, Galbas Freigelassener, der selbst eben erst aus dem Gefängnis befreit worden war, in das man ihn beim Beginn des Aufruhrs gegen Nero geworfen hatte.
Nach Neros Tod gab es einen Bürgerkrieg im Militär um die Kaiser-Nachfolge. Gleich drei Generäle (Galba in Spanien, Vitellius in Germanien und Otho in Norditalien) kämpften im Jahr 68 mit ihren großen Heeren unter-und gegeneinander um die Herrschaft in Rom.
Vom Sieger und nachfolgenden Kaiser Galba berichtet Sueton:
Man sagt, Galba habe in Spanien den Icelus, einen seiner alten Unzuchts-Genossen, als dieser ihm die Nachricht von dem Tod Neros brachte, nicht nur vor aller Welt auf das leidenschaftlichste geküsst, sondern sich auch auf der Stelle seine Gunst erbeten und ihn in ein Nebenzimmer geführt.