163 Der große Brand Roms
Tacitus 5
Der große Brand in Rom im Jahre 64 war für das junge Christentum von entscheidender Bedeutung. Es hat die rasch größer werdende Gemeinde sehr stark zusammen geschmiedet und die Idee des Christentums popularisiert, ihr wohl auch zum Durchbruch verholfen. Die äußerst heftige Verfolgung durch die autoritäre Staatsmacht und einen „teuflischen Kaiser”, der im Mittelalter sogar zur Inkarnation des Bösen stilisiert worden ist, war quasi Keimzelle und Katalysator für den starken Zusammenhalt der jungen „Versammelten“ (ecclesia).
Neros Gegner streuten sehr bald das Gerücht, der Kaiser selbst habe die Stadt angezündet, obwohl Nero zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Rom war. Er habe die Stadt abbrennen lassen, um sie wieder nach seinen Vorstellungen aufbauen zu können. Glaubwürdiger scheint mir eine andere Nachricht, Nero habe Klagelieder zum Untergang Trojas angestimmt, als er von dem großen Unglück gehört hatte. Tacitus schreibt über das Ausmaß der Katastrophe: Rom war in 14 Bezirke eingeteilt, von denen vier unversehrt blieben, drei bis auf den Grund zerstört wurden, in den sieben übrigen standen nur noch wenige zerfetzte und halb verbrannte Trümmer von Gebäuden.*
Das Feuer wütete in Rom sieben Tage lang. Man fand schnell als Sündenbock die neue Sekte der Christen. Nero ließ kurzerhand alle, die aufzufinden waren, hinrichten. Dazu wurden die berüchtigten Nero-Fackeln installiert. Nach Sitte der Zeit wurden alle Sklaven und Unfreie sowie die Schwerverbrecher gekreuzigt. Diese wurden unter Neros Herrschaft darüber hinaus auch noch so präpariert, dass sie angezündet werden konnten am Kreuz – ein grausames Schauspiel.
Nach Meinung des Geschichtsschreibers Tacitus, der die Christen an anderer Stelle als fanatisiert bezeichnete und kein Verständnis für sie hatte, erregte jedoch diese qualvolle Hinrichtungsart Mitleid: Daher wurde auch für noch so Schuldige, welche die härtesten Strafen verdienten, Mitleid rege, als würden sie nicht dem allgemeinen Besten des Staates, sondern der Mordlust des Kaisers, einem einzigen, geopfert.
Warum aber hat der Staat ausnahmsweise plötzlich so radikal auf die junge Religionsgemeinschaft reagiert? Wo er doch immer – und das war mit ein Grund für die lang andauernde römische Weltherrschaft – alle anderen neuen, fremden und noch so seltsamen Götter akzeptiert hat?
Rom war jedenfalls das Gegenteil von „Kulturimperialismus“. Jedes besiegte und eroberte Land, jeder Volksstamm wo auch immer, in Germanien, Asien, Armenien, Britannien, Afrika, durfte seine Kultur, Götter und Tempel sowie seine Bräuche beibehalten. Voraussetzung war nur, dass man dem römischen Staat Steuern zahlte und den Herrscher, den Kaiser, als Dominus (Herr), später, ab der Regentschaft Domitians im Jahre 81, auch als Deus, als Gott, akzeptierte.
Die Frage nach Gott war jedoch keine weltbewegende mehr in der römischen Antike. Mit einem Lächeln, einem ironischen Augenzwinkern vielleicht, akzeptierte jeder die Gottgleichheit des neuen Herrschers, wenn es opportun war (auch heute gibt es noch „unfehlbare“ Herrscher). Alle Götter waren in dieser Alles-geht-Welt unglaubwürdig geworden. Nur die neue Sekte der Christen weigerte sich mit selbstmörderischem Elan, diesen neuen Pseudo-Gott zu akzeptieren – als “Märtyrer” stand ihnen sofort und ohne weitere Prüfungen das Paradies offen.
Doch warum diese grausame Ablehnung durch die gesamte römische Oberschicht und Herrscherkaste gerade der Christen?
Die Antwort ist leicht. Die neuen Ideen dieser auch neuen Menschen stellten das gesamte erstarrte und sehr fragwürdig gewordene Gesellschaftssystem radikal in Frage. Vor allem akzeptierte die neue Sekte nicht mehr die Sklaverei, die überlebensnotwendig für die römische Gesellschaft war.
In der Lebensform der Christen (auch Galiläer, Christianer, Nazarener genannt) sollten neben den Sklaven und Zuwanderern auch die Frauen einigermaßen selbstständig und frei sein. Luxus, Verschwendung und Wohlleben, vor allem die pan-sexuellen Ausschweifungen in Richtung Gleichgeschlechtlichkeit und Ehebruch wurden rigoros abgelehnt. Und das war durchaus System sprengend.
Vor allem sollte es nicht mehr die unmenschliche Grausamkeit geben, die die ganze Antike beherrscht hatte und immer wieder unzählige Blutopfer forderte. Das kriegerische Hinschlachten von tausenden von Menschen, die willkürlichen Hinrichtungen und blutigen Zirkusspiele. Im Gegenteil: „Liebet eure Feinde“- diese aberwitzige neue Maxime, sogar als Hauptmaxime propagiert, fand sich weder in Platons so umfassend den Geist ansprechenden Schriften noch in den nüchternen wissenschaftlichen Abhandlungen des Aristoteles.
Selbst die Schule der Stoa, die sich in der Ablehnung von Laster und Luxus und dem übertriebenen Wohlleben mit der neuen Lehre traf, hatte keine Schnittmenge diesbezüglich mit dem Christentum.
Die Antike war eigentlich das permanente Reich der Gewalt, des Krieges, der Grausamkeit. Es war die permanente Herrschaft des Schwertes, der Waffen, des Militärs und der männlichen Stärke. Es ist deshalb vollkommen falsch und einseitig, die Antike, auch die griechische Antike, wie in der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte immer wieder geschehen(„Klassik“), zu idealisieren.
Nero war ein Populist, der die Massen begeistert hat, weil er sich zu deren „primitiven“ Vergnügungen Sport, Musik, Theater, Hinrichtungen im Zirkus (Tierhetzen, Gladiatorenspiele) bekannte und sich dort auch immer wieder zeigte. Er war auch einer der wenigen Kaiser, der kein Militär war und an keinem Krieg aktiv teilgenommen hatte. Nach seinem Tod gab es viele Anhänger in eher entfernten Landesteilen, auch in Afrika, die seinen Tod bedauerten. Sogar von einer Auferstehung Neros sprach man – ein falscher Nero ist tatsächlich aufgetaucht und wurde dann schnell hingerichtet.
Nero mag gegen Ende seines Lebens ebenfalls wahnsinnig gewesen sein, aber die Massen liebten ihn, weil er angeblich einer wie sie war. Zumindest sprach er in der Sprache der Kunst ihre Sprache. Er war also nicht nur gehasst, sondern auch beliebt. Das musste sogar zähneknirschend Tacitus eingestehen.
Er liebte die Griechen, die griechische Kultur, ihre Ästhetik, die Ästhetisierung des Lebens und auch des Körpers viel mehr als die römische Hofetikette, die all gegenwärtigen und lebensbedrohlichen Zirkel von Intrige, Heuchelei, Verschwörung und Rache, obwohl er später ebenfalls zu einem blindwütigen Gewaltherrscher in eben diesen Zirkeln von Macht und Tod geworden ist und dafür mit seinem Leben gebüßt hat.
Über den Brand Roms schreibt Tacitus:
Ein weiteres Unglück folgte, man weiß nicht, ob durch Zufall oder Hinterlist des Kaisers – denn beides haben die Geschichtsschreiber berichtet –, aber schwerer und entsetzlicher war es als alles, was diese Stadt durch Feuers Ungestüm betroffen hat.
Den Anfang nahm es an der dem Palatin zugewandten Seite des Zirkus, wo links die Buden, in denen solche Waren sich befanden, die der Flamme Nahrung geben, das Feuer in demselben Augenblick entstehen ließen und auch schon mächtig und mit dem Winde schnell den Circus seiner Länge nach ergriffen.
Denn weder mit Brandmauern versehene Paläste noch mit Mauern umgebende Tempel oder sonst etwas Hemmendes lag dazwischen. Die Stadt war dem Brand besonders ausgesetzt wegen der engen, bald hier-, bald dorthin sich windenden Straßen und unregelmäßigen Häuser-Massen, die das alte Rom ja war.
Ungewiss, was man meiden, worauf man zugehen sollte, füllte man die Straßen und warf sich auf den Feldern hin. Einige fanden, da sie alle ihre Habe, selbst für den täglichen Lebensunterhalt verloren, andere aus Liebe zu den Ihrigen, die sie nicht hatten retten können, obwohl ihnen selbst ein Ausweg offen stand, den Tod.
Und dabei wagte niemand Einhalt zu tun bei den häufigen Drohungen einer Menge von Menschen, welche das Löschen verhinderten, und, weil andere geradezu Feuerbrände schleuderten und riefen, sie wüssten wohl, von wem sie den Auftrag hätten, sei es nun um ungezügelte Räuberei zu treiben oder wirklich auf höheren Befehl.
Nero, der sich in dieser Zeit in Antium aufhielt, kehrte nicht eher nach der Stadt zurück, als sich das Feuer seinem Palast genähert hatte. Es war jedoch nicht zu verhindern, dass auch der Palast und alles rings umher verbrannten.
Zum Trost für das vertriebene und flüchtig gewordene Volk öffnete der Kaiser das Marsfeld, ja seinen eigenen Park, um die hilflose Menge aufzunehmen. Auch wurden Lebensmittel herbei geschafft und der Getreidepreis herab gesetzt.
So populär dies war, verfehlte es doch seine Wirkung, weil sich das Gerücht verbreitet hatte, Nero habe gerade während des Brandes der Stadt in seinem Haus die Bühne bestiegen und Trojas Untergang besungen, das gegenwärtige Unglück Vernichtungsszenen der Vorzeit gleich stellend.
Über die neu sich bildende Gemeinde der Christen schreibt Tacitus:
Doch nicht durch menschliche Hilfe, nicht durch kaiserliche Schenkungen, noch durch Sühneopfer der Götter ließ sich das schreckliche Gerücht bannen, dass man glaubte, das Feuer sei befohlen worden. Daher dieses Gerede zu beenden, gab Nero denen, die wegen ihrer Schandtaten verhasst das Volk Christen nannte, die Schuld und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen.
Der, von welchem dieser Name ausgegangen, Christus, war unter der Regierung des Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden. Der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube nicht nur in Judäa, dem Vaterlande dieses Unwesens, sondern auch in Rom, wo von allen Seiten alle nur denkbaren Gräuel und Abscheulichkeiten zusammenfließen und Anhang finden, dieser Aberglaube brach wieder aus.
Anfangs wurden solche ergriffen, welche sich dazu bekannten, und dann auf deren Hinweis hin eine ungeheure Menge nicht nur der Brandstiftung, auch des allgemeinen Menschenhasses angeklagt.
Bei ihrem Tod wurde auch noch Spott mit ihnen getrieben, indem sie, bedeckt mit den Fellen wilder Tiere, von Hunden zerrissen oder ans Kreuz geheftet starben oder zum Feuertode bestimmt, sich zur nächtlichen Erleuchtung verbrennen lassen mussten, wenn der Tag sich neigte.
Nero hatte seinen Park zu diesem Schauspiele geöffnet und gab ein Zirkusspiel, wobei er sich im Aufzug eines Wagenlenkers unter das Volk mischte oder selbst sogar auf dem Wagen stand.
*Tacitus, a.a.O.