164 Vom Töten
Tacitus 6
In meiner Tacitus Lektüre gibt es eine Stelle, die mir in denkwürdiger Erinnerung geblieben ist. Kaiser Tiberius zieht sich zu einem Gebet, zu einem Opferritual zurück. Seine Gattin, die Kaiserin Agrippina, folgt ihm und spricht ihn vorwurfsvoll und mit voller Berechtigung an: “Während du schlachtest, Tiberius, sinnest du bereits auf meinen Tod”.
Zwei Aspekte sind in diesem Satz bemerkenswert: Einmal der religiöse, das Ritual, der Gottesdienst als ein “Schlachten“. Zum anderen die alltägliche Grausamkeit und Gewalt, die das ganze römische Reich in einem übergroßen Ausmaß gepackt hatte und jetzt gleich zweifach deutlich wird: im Töten eines Menschen, im Schlachten eines Tierkörpers.(Agrippina hat in Gegensatz zu Tiberius überlebt, ist aber einige Jahre später von ihrem Sohn Nero umgebracht worden).
Gottesdienste, in der Antike “Opfer” genannt, bestimmten den Alltag der Menschen. Immer wieder wurden zu allen möglichen Göttern im Haus, in der Stadt, in der Öffentlichkeit, in der Natur Gebete gebracht. In der einfachsten Form erfolgten diese Opfer-Rituale mit Steinen, Wasser, Blumen. Bis hin jedoch zu größeren und kostspieligeren Opfern mit Tieren wie Ochsen, Schafen, Kälbern, die dann auch teilweise verspeist werden durften in Gruppen („Opfermahl“).
Dieses Götterwesen hat sich dann fortgesetzt im Christentum mit seinen unzähligen Heiligen, Engeln, Dämonen, die fast schon so zahlreich sich entwickeln konnten wie im Hinduismus und insbesondere Luther ein Dorn im Auge waren.
Aber auch das Opfern hat sich im christlichen Gottesdienst fortgesetzt, wenn auch in einer mehr vergeistigten symbolischen Form, indem bis auf den heutigen Tag der Leib und das Blut Christi geopfert wird und sogar gegessen werden kann. Dies wiederum sehr zum Befremden anderer Religionen, etwa mancher Buddhisten, die sich nicht vorstellen können, dass man einen Gott verspeist.
Mit Schlachten verbindet man Blut, Schreie, Tod und anderes Unangenehme. Zumindest heute. Ich selber habe noch nicht viele Schlachtereien, Schlachtungen (oder wie man sich ausdrücken soll) erleben müssen. Diejenigen, die ich erleben musste, haben mir gereicht. Fast auch die Freude am Fleischgenuss verdorben. Sodass ich bis auf den heutigen Tag keine Tiere töten kann.
Man sieht aber daraus, wie alltäglich Blutvergießen und Tod im antiken Leben war. Es gab anscheinend nur wenig Gefängnisse außer den Kerkerzellen, die zur Hinrichtung eingerichtet waren. Tiberius soll auf dem Höhepunkt seiner Grausamkeit willkürlich bis zu zwanzig Personen täglich hingerichtet haben.
An Strafen gab es in der Privatjustiz der Familien(-Clan-)Chefs und Herrscher über alle Sklaven (das konnten bis zu 400 in einer großen Familie sein) neben Geldstrafen auch Körperstrafen wie Auspeitschung oder Geißelung. In der Staatsjustiz gab es die Verbannung mit oder ohne Beschlagnahme des Vermögens, das dann an den Kaiser ging.
Ansonsten waren Hinrichtungen, meistens öffentliche Enthauptungen, an der Tagesordnung. Für die niederen Schichten gab es Kreuzigungen, aber auch noch qualvollere Hinrichtungsarten im Zirkus bei Tierhetzen oder durch die Gladiatoren. Ein Gerichtsprozess war nur für die Oberschicht vorgesehen, die römisches Bürgerrecht hatte, also nur für relativ wenige Bürger des Weltreiches. Letzte Instanz eines solchen Prozesses war meistens der Kaiser oder sein Stellvertreter.
Die größte Leistung der frühen Antike und der Zeit Platons war die Entwicklung der Schrift, der Abstraktion, der Vergeistigung. Damit auch des diskursiven Sprechens, Verhandelns, der Verträge und Gesetze, wie ein Staat gut gebaut und regiert werden könnte, wie ein glückliches Leben aussieht und über Verantwortung wie Pflichten des Staatsbürgers in der Polis.
Neben einem gesunden, kräftigen und tapferen Körper für den Kriegsdienst war der an der Lektüre der Vorfahren, insbesondere Homers und der frühen Philosophen geschulte Geist das wichtigste Bildungsziel für die Jugend. Dazu gehörte auch die Kunst in Form von literarischen Texten und Theaterstücken oder auch Gedichte und Briefe. Unsterblichkeit, also ewiger Ruhm, eine eher kriegerische Auszeichnung, war mit das höchste ethische Ziel sowie Sinn und Zweck des Lebens. Es war nur zu erreichen durch Nachkommenschaft mit Kindern (eine lange Genealogie, die wie bei Caesar bis zu den unsterblichen Göttern zurück ging, wurde sehr geschätzt) oder gedruckte Werke. An eine Auferstehung glaubte man nicht.
Die zweite große Leistung der Antike war die Domestizierung der menschlichen Aggressivität, auch Sexualität. Beides setze ich gerne zusammen. In rudimentären und atavistischen Formen (“Perversion”) gibt es diese Gleichsetzung sogar noch bis heute.
Unsere jetzige Einstellung gegen Krieg und Gewalt, also die (vergeblich) propagierte Ablehnung, geht jedoch nicht auf die antiken Philosophen, sondern auf das Christentum zurück, das sich gerade in einer Zeit heftigster Grausamkeit und Gewalt gebildet hat, ja als Isosthenie zwangsläufig hat bilden müssen.
Die Leistung Roms war der Auf- und Ausbau des Rechts- und, wenn man so will, auch des Militärwesens. Die Gewalt der Waffen und die Stärke der Gesetze, an denen immer wieder weiter gebaut wurde und die sogar bis in die Gegenwart im abendländischen Rechtswesen zu finden sind, haben dieses übergroße Weltreich so lange Zeit zusammen gehalten.
Es folgen jetzt einige Zitate diesmal aus den “Historien” des Tacitus*, welche die unvorstellbare Grausamkeit der Zeit und die Selbstverständlichkeit, mit der man mit dem Tod umging, dokumentieren sollen (Vgl. auch eine eher überzeichnete Kriegsbeschreibung des Dichters Juvenal auf der Blogseite 125)
Die Beispiele stammen aus dem Vierkaiserjahr 69, als nach dem Tode Neros ein erbitterter Bürgerkrieg unter den Militärs ausgebrochen war. Man weiß nicht, wer in der Lektüre von Tacitus mehr angeklagt wird: das von Habgier und Blutrausch entfesselte Volk (Pöbel), das wie in einem permanenten Zirkusspiel außer sich geraten ist, oder die militärischen Bürgerkriegsparteien, die keine Gnade kennen.
Eine Legion hatte bis zu 15 000 Soldaten. In den Krieg zu ziehen war eine Ehre und Staatsbürgerpflicht. Nur Römer mit Bürgerrecht waren dazu berechtigt, Sklaven war der Kriegsdienst verboten bis auf wenige Ausnahmen. Man verpflichtete sich auch freiwillig auf zehn Jahre, durfte nicht heiraten (aber massenhaft morden und vergewaltigen) und bekam zusätzlich zur Kriegsbeute noch Geld oder Landbesitz als Belohnung zugeteilt.
Dazu kamen noch einmal bis zu 15 000 Mann Hilfstruppen befreundeter Völker. Dann ein großer Verpflegungs- und Vergnügungstross mit Wagen, Hilfsarbeitern, Verwaltung, Verpflegung, Vergnügen („Marketenderinnen“), der noch einmal zahlreiche Menschen zählte. Ein solch riesiger Lindwurm, der gut bis zu 40 000 Personen umfassen konnte, wälzte sich also durch die Lande, wurde genährt, was die Erde und die Bevölkerung hergab, baute schließlich ein Lager, also eine Kleinstadt auf (auch als Winterquartier) und wartete auf das Zeichen zur Schlacht.
Im Nahkampf wurde dann mit Lanze und Schwert alles nieder gemetzelt. Auf dem Schlachtfeld blieben Tausende von Leichen wochenlang zurück, verstümmelt, zerfetzt, zerrissen.
*Tacitus, “Historien” a.a.O.S.171f und 229f
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Wir sind im Vierkaiserjahr 69. Nach Neros Suizid ist ein erbitterter Kampf um den Kaiserthron in Rom unter den vier Warlords, also Oberbefehlshabern der größten Legionen des Reiches entstanden: Galba in Spanien wird alsbald besiegt und getötet. Der Kampf zwischen Vitellius von der Legion aus dem germanischen Grenzgebiet und Otho in Oberitalien zog sich etliche Wochen hin und machte ganz Nord-Italien zu einem noch nie dagewesenen Schlachtfeld. Selbst in Rom tobte der Kampf, den schließlich Vitellius nach Othos Freitod gewann. Aber auch er blieb nur kurz auf dem Kaiser-Thron und wurde schließlich von Vespasian abgelöst.
Eine Legion des Vitellius hat gerade eine Schlacht gegen die Anhänger Othos in Oberitalien gewonnen und der siegreiche General und Oberbefehlshaber besucht noch einmal das Schlachtfeld:
Von da wandte sich Vitellius nach Cremona. Es verlangte ihn, doch auch die Felder von Bedriacum zu betreten und die Spuren des neulichen Sieges mit eigenen Augen zu besichtigen.
Ein scheußlicher und grauenhafter Anblick. Vierzig Tage nach der Schlacht lagen zerfleischte Leiber, abgehauene Glieder, faulende Menschen-und Pferdeleichen da, der Boden war mit dem Moder der Verwesung geschwängert, Bäume mit Obst waren umgehauen: eine furchtbare Wüste.
Die Feldherren Valens und Caecina waren zugegen und zeigten die Punkte des Kampfes. Wie von hier der Legionen Zug hereingebrochen, von dort die Reiter sich in Bewegung gesetzt, von jener Seite der Hilfsvolk Scharen sich herum gezogen. Dazu prahlten die Tribune und Präfekten mit ihren Taten und mengten Falsches, Wahres und Übertriebenes durcheinander.
Auch die einfachen Soldaten bogen mit Geschrei und Jubel von der Straße ab, suchten die Ausdehnung der Kämpfe zu ermitteln, betrachteten und bewunderten die Waffenberge und Leichenhaufen. Manche gab es, die vom Wechsel des Geschickes Tränen und Mitleid übermannte.
Nur Vitellius Blick veränderte sich nicht, und es schauderte ihn nicht bei so vielen Tausenden unbestatteter Bürger. Fröhlich sogar und nichts von seinem so nahenden Schicksale ahnend, ordnete er ein Opferfest für die Götter der Gegend an (S.171f).
Über die brutalen Zustände in Rom ist ein Satz des Tacitus weltberühmt geworden, in dem er die Widersprüchlichkeit der Zustände beklagt: „Hier Kriege und Wunden, dort Bäder und Restaurants“. Das vollkommen demoralisierte und abgestumpfte Volk wird wie eine blindwütige Bestie beschrieben, die aus dem Kampf der beiden Parteien nur ihren eigenen Vorteil sucht.
Dicht bei den Kämpfenden stand als Zuschauer das römische Volk und bezeigte wie bei einem Wettkampfspiel durch Geschrei und Händeklatschen bald diesen, bald jenen seine Gunst. So oft die eine Partei wankte, verlangte man, dass die, die sich in Buden versteckt oder in ein Haus geflüchtet hatten, hervor gezogen und abgeschlachtet würden, und bemächtigte sich dann des größeren Teils der Beute, denn da die Soldaten sich nun mit Blutvergießen und Morden beschäftigten, fiel die Beute dem Pöbel zu.
Wild und grässlich sah es in der ganzen Stadt aus; hier Gefechte und Verwundung, dort Bäder und Garküchen, Blut und Leichenhaufen, und daneben gleich Prostituierte und ihresgleichen. Alle nur denkbaren Lüste üppiger Friedensruhe, alle nur denkbaren Frevel der erbittertsten Erstürmung. Kurz, man hätte glauben mögen, dieselbe Stadt sei teils von Raserei ergriffen, teils von Ausgelassenheit.
Die Vitellianer, obwohl an Zahl und nach dem Willen des Schicksals die schwächeren, verschafften sich dadurch, dass sie den Sieg beunruhigten, den Frieden verzögerten, Häuser und Altäre mit Blut befleckten, den letzten Trost der Besiegten. Viele hauchten, schon halb entseelt, auf den Türmen und Zinnen der Mauern ihr Leben aus. Nach der Sprengung der Tore stellte sich die noch übrige Schar den Siegern entgegen, und alle fielen, vorne verwundet, dem Feinde zugewandt. So sehr sorgten sie auch sterbend noch für ein ehrenvolles Ende.
Bewaffnet verfolgten in der ganzen Stadt die Sieger mit nicht zu besänftigendem Hasse die Besiegten. Angefüllt mit Erschlagenen waren die Straßen, Blut befleckte die Plätze und Tempel, da überall ein jeder, den der Zufall ihnen entgegen führte, gemordet wurde (…)
Und als dann die Zügellosigkeit immer weiter ging, suchten sie auch umher nach den Versteckten und schleppten sie hervor. So wie sie einen von hoher, jugendlicher Gestalt erblickten, hieben sie ihn nieder, ohne zwischen Soldat und Bürger einen Unterschied zu machen.
Dies Wüten fand, solange die Erbitterung noch frisch war, im Blute Befriedigung, dann ging es in Habgier über. Nichts ließ man irgendwo geheim oder verschlossen unter dem Vorwande, Vitellianer würden versteckt gehalten. Davon nahm man Anlass zum Erbrechen der Häuser oder ließ es, wurde Widerstand geleistet, Grund zum Morden sein. Die Dürftigsten vom Pöbel, die Verworfensten der Sklaven ermangelten auch nicht, unaufgefordert ihre Herren zu verraten; andere wurden sogar von Freunden angezeigt.
Überall waren Wehklagen, Angstgeschrei und die Schicksale einer eroberten Stadt, in einem solchen Grade, dass man sich die früher verhasste Ausgelassenheit der othonianischen und vitellianischen Soldaten zurück ersehnte.
Die Führer der Partei, schnell bei der Hand, den Krieg zu entflammen, waren der Zügelung des Sieges nicht gewachsen. Zu Unruhen nämlich und Zwietracht haben gerade die Verworfensten die meiste Tatkraft. Friede und Ruhe bedürfen edeler Eigenschaften.
Der Tod des Vitellius
Kriegshelden wurden schon zu Lebzeiten Standbilder errichtet, die schließlich sogar eine göttliche Kraft beanspruchen durften. Scheiterte dann dieser zu Stein gewordene Heros, wurden seine Standbilder umgestoßen und zerstört. Auf die gemonische Treppe wurden alle Leichen nach der öffentlichen Schmähung der Verurteilten, dann Folterung und mit anschließender Hinrichtung (meist Enthauptung) geworfen. Von dort wurden sie schließlich zum Tiber an einem Haken geschleift; die Köpfe wurden auf dem Kapitol ausgestellt. Leichen im Tiber war der Zugang zur Unterwelt versperrt – eine doppelt schwere Strafe.
Vitellius stieß man, ihn mit gezückten Schwertern zwingend, bald sein Antlitz zu erheben und zur Beschimpfung hin zu halten, bald seine fallenden Standbilder und besonders die Redner-Bühne oder die Mordstätte Galbas anzuschauen, endlich zur gemonischen Treppe hin, da, wo der Leichnam des Flavius Sabinus gelegen hatte. Nur eine einzige Äußerung eines nicht gemeinen Inhalts vernahm man noch von ihm, als er dem ihn verhöhnenden Tribun antwortete, er sei sein Kaiser doch gewesen. Hierauf sank er unter wiederholten Streichen nieder, und der Pöbel verfolgte nun mit demselben Wahnsinn den Getöteten, mit welchem er dem lebenden Vitellius gehuldigt hatte (S.229).
Als Sieger dieses Bürgerkrieges ging der junge Herrscher und spätere Stadtpräfekt Domitianus hervor, jedoch nicht als Kaiser. Tacitus schreibt über ihn: Den Domitianus, der, als keine Feindseligkeiten mehr zu führen waren, zu den Heerführern seiner Partei getreten und als Kaiser begrüßt worden war, geleitete das Kriegsvolk in großer Menge und unter den Waffen, wie es war, in sein väterliches Haus (…). Er hatte Namen und Wohnsitz eines Kaisers erhalten, aber seinen Sinn nicht auf Regierungssorgen gerichtet, sondern er zeigte sich in Unzucht und Ehebruch nur als Sohn seines Vaters.
Sein Vorgesetzter, der Oberbefehlshaber über die Legionen in Judäa und Africa, Vespasian, wurde deshalb vom zuständigen Senat als Kaiser und rechtmäßiger Nachfolger Neros schließlich bestimmt.