168 Wieder gelesen: Luhmann
Ich veröffentliche an dieser Stelle ältere Aufsätze, die tags zuvor von unbekannten Lesern angeklickt und mir in die Erinnerung zurück gerufen worden sind. Ich studiere diese Texte gerne noch einmal, untersuche ihre Aktualität und verbessere wenn nötig.
Ich bin mir bewusst, dass das kreuz und quer Lesen, das kreuz und quer Denken, die Heterogenität allgemein meiner Interessen eine besondere Herausforderung für die Leser darstellt. Aber so ist eben auch das Leben: kreuz und quer!
Heute: Luhmann II (Nr.115)
Im großen Interview, von dem hier nur der erste Teil abgedruckt worden ist, begegnen wir einem der fachübergreifend einflussreichsten Denker unserer Zeit, auch wenn er bereits 1998 gestorben ist.
Er steht zusammen mit den französischen Philosophen, der Frankfurter Schule und den anglo – amerikanischen Szientisten als vierter Stern am abendlichen Himmel unserer Kultur.
Die Begegnung mit Luhmann war eine der beeindruckendsten in meinem Journalistenleben. Nicht nur, dass der Bielefelder Philosoph auf alle Fragen, die einen weiten Bereich umfassten, eine Antwort wusste. Sondern auch wegen seiner Person: Ein kleiner, humorvoller, kluger, höflicher und unprätentiöser Mensch sitzt mir da im Marmorsaal des Ludwigsburger Schlosses gegenüber, blitzt einem gelegentlich fragend in die Augen, der aber auch nachdenklich und universell gebildet ins Mikrophon zu formulieren weiß.
Mein Briefkontakt mit ihm im Anschluss an das Interview für die TAZ war gleichwohl bedeutend schwieriger und komplizierter. Nie war ihm eine neue Bearbeitung des Interviews recht. Hier wurde geflickt, dort wurde angebaut, meine Fragen waren ihm zu lang, seine Antworten zu kurz. Hin und her ging der Briefwechsel, bis Luhmann schließlich die jetzige Fassung akzeptieren konnte.
Seine Welt ist die Welt der reinen Gedanken, der Luzidität, des Geistes. Derrida würde sagen: ein Phallokrat, der ganz vom maskulinen Logozentrismus beherrscht wird und die Sprache der Frau, das Denken mit Emotion und Empathie (emotionale Intelligenz) nicht versteht. Auch wenn er ein sehr schönes Buch über die Liebe geschrieben hat. Aber was ist schon Liebe nur in Worten?(Hallo AR!)
Luhmanns Systemtheorie hat mittlerweile viele Bereiche des Denkens, also auch der Wissenschaft, erreicht, wenn nicht sogar infiziert. Man redet von Systemtheorie, systemischem Denken, sogar von sytemischen Therapieformen in der Psychotherapie. Die Soziologen, ihres Zeichens “Soziolinguisten”, besprechen gesellschaftliche Systeme und Lebensformen (“Sprachspiele”), die sich begegnen, die sich unverständlich gegenüber ständen, vernetzt werden müssten und so fort.
Ein lapidarer Satz seiner Philosophie ist mir als wichtige Handlungsanleitung in Erinnerung geblieben: “Ich treffe eine Entscheidung, du triffst eine Entscheidung”. Das sind nach Luhmann die ausschlaggebenden Momente im Leben eines Menschen als sozialem Wesen. Meist entstehen sie unbewusst, oft auch spontan, und unser Lebensziel ist festgelegt: die Lokomotive von Liebe, Beziehungen, Arbeitsleben und Ehrgeiz fährt ab.
Doch wer oder was ist es, der die Entscheidung fällt, wenn ich eine Entscheidung treffe? – Darüber nachzudenken lohnt sich gewiss. Denn nur dann sind wir noch im Besitz einer selbst gewählten Steuerungsmöglichkeit, bleiben also noch einigermaßen frei. –
Doch wie frei sind wir in Sachen Liebe, in Sachen Arbeitsplatz und beruflichem Erfolg wirklich?
Existenzielle Lebensentscheidungen im Sinne von Luhmann trifft man im Alter von ungefähr 30 Jahren, wo die Spur festgelegt wird, die nur sehr schwer verlassen werden kann. Es sei denn, man liebt das kreuz und quer Leben, das kreuz und quer Denken – so wie ich.
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A p h o r i s m e n zur
L e b e n s w e i s h e i t (1)
Dass ich an eine Wand schreibe, an einer Wand klebe mit meinen Worten habe ich mir mittlerweile klar gemacht. Soweit so gut. Aber warum diese Wand? Dieses Nicht-sprechen-Können, Nicht-verstehen-Wollen, Nicht-Reagieren? Was steckt dahinter, welche Wunde, welche Angst, welche Verletzungen?
Ich habe dich umgetauft: Ich nenne dich nur noch W. W wie “Wand”.
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Wenn nicht, was dann?