173 Wieder gelesen: Jean Pierre Dubosts spektakuläre TAZ-Interviews
Ich veröffentliche an dieser Stelle ältere Aufsätze, die tags zuvor von unbekannten Lesern angeklickt und mir in die Erinnerung zurück gerufen worden sind. Ich studiere diese Texte gerne noch einmal, untersuche ihre Aktualität und verbessere wenn nötig.
Ich bin mir bewusst, dass das Kreuz-und-quer-Lesen, das Kreuz-und-quer-Denken, die Heterogenität allgemein meiner Interessen eine besondere Herausforderung für die Leser darstellt. Aber so ist eben auch das Leben: kreuz und quer!
Heute: Überkomplexes Denken I / II (Blog Nr.6 und 7)
Die Kubinski-Fraktion, nennen wir sie einmal so, rührt sich! Nachdem ich sie im Blog-Beitrag Nr.168 so genau beschrieben und erwähnt habe, wird jetzt ein spektakuläres TAZ-Interview mit Jean Pierre Dubost noch einmal angeklickt. Einer meiner sehr frühen Texte im Blog, wo es mir noch darum ging, die Richtung, die Sprache, die Philosophie deutlich werden zu lassen. Und ich habe in die Redaktionsstuben meiner Tageszeitungen und Zeitschriften geblickt, für die ich lange Zeit mit unterschiedlichsten Erfahrungen im Kulturteil gearbeitet habe. Die Spannweite reichte von den Kurztexten für die Deutsche Presse Agentur dpa (Sibylle Peine) über die Süddeutsche und Stuttgarter Zeitung bis hin zu langatmigen und fast schon ästhetizistischen Aufsätzen in Fachzeitschriften wie Das Orchester oder Neue Zeitschrift für Musik (Ingrid Herrmann, Schott-Verlag).
Nicht Luhmann, Lyotard oder Rihm habe ich für meine beginnende Blogarbeit ausgewählt, sondern ich habe mich an den Anfang meiner Tätigkeit für die Berliner TAZ erinnert. Die stürmischen Aufbaujahre dieser Zeitung habe ich begleitet mit frechen experimentellen Texten und provokativ parodistischen Übersteigerungen. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir dort auch die Texte der Sport-Redakteure über Wettkämpfe und Fußball, die oft reine Parodie waren und wo man immer wieder laut lachen musste.
Ähnlich vielleicht den frühen experimentellen Arbeiten von Andy Warhol. In dessen Film “Lonesome Cowboys” fallen die schwulen Berufs-Pferdetreiber allesamt immer wieder vom Pferd – sie können einfach nicht reiten.
In der TAZ herrschte ein ebenso überdreht-experimentelles Bewusstsein, wie sich die achtziger Jahre gerade dadurch auszeichneten, dass Alternativ-Bewegungen mächtig an Einfluss gewannen und die TAZ sich als Alternative zu den herkömmlichen Blättern sah.
Diese neue Zeitung musste gut, sie musste besser, sie musste die beste sein in der ganzen Republik und sie wurde es eine kurze Zeit lang auch. Stolz und in kleinster Auflagenhöhe sah sie sich mit ihren langen und tief schürfenden Artikeln in direkter Konkurrenz zur FAZ, der Frankfurter Allgemeinen, die damals sehr rechtslastig war.
Der leitende Musikredakteur dieser Zeitung, Gerhard Koch, bat mich, in der FAZ mit zu arbeiten (er war ein großer Fan vom Humor der TAZ). Da ich aber in diesem Blatt bereits schrieb, war mir der Gegensatz zu groß. Ich glaubte nicht, dass damals beide Zeitungen so kompatibel sein könnten wie etwa heute, ohne dass ich meine Glaubwürdigkeit hätte verlieren müssen.
Auf manche meiner TAZ-Artikel im Kulturteil bin ich ausgesprochen stolz. Sie sind extravagant, intellektuell komprimiert und fordernd, sie verwirren, provozieren, sie regen zum Lachen an. Sie verwenden darüber hinaus bereits alle meine Stilmittel, wie ich sie später auch in meinen Essays oder in anderen Texten angewendet habe, die gleichwohl manche Zeitgenossen ratlos werden ließen. Auch in der TAZ, weshalb ich schließlich meine Mitarbeit freiwillig einstellte.
Die Aufbruchstimmung der TAZ machte sich nicht zuletzt auch in der heftigen redaktionellen Auseinandersetzung mit dem Feminismus breit. Man schlägt die Zeitung auf und ein nackter Mann mit stolz aufgerichtetem Penis blickt einen an, räkelt sich eher obszön: “Jetzt, wo der Leser nackt ist“, steht durchaus kryptisch verschlüsselt unter dem seitengroßen Bild. Was für eine Provokation damals in den achtziger Jahren!
Die Feministinnen in der Redaktion regten sich auf, es gab bündelweise Leserbriefe, Streit, Diskussionen, all das, was die TAZ eigentlich immer schon wollte – reden, streiten, diskutieren. Und vor allem diskutieren über die unzumutbaren Zustände nur wenige Schritte neben dem Redaktionsgebäude in der Kochstraße jenseits der Mauer. Denn obwohl die TAZ sich als links-alternativ sah wie ihre französische Schwestern-Zeitung Libération, scheute sie sich nicht, das östliche Imperium jenseits von Mauer und Stacheldraht anzugreifen. Heftig sogar und schon gar nicht der SPD-Linie Brandts konform.
Die TAZ druckte wie selbstverständlich meine kritischen Beiträge von Lyotard oder den anderen Philosophen westlich des Rheins, die geradezu einen Aufstand provozierten gegen die kommunistischen Machthaber und schließlich auch siegreich waren. Lyotard zum Beispiel, wie der Schweiz-Kalifornier Feyerabend ein Anarchist in Wissenschaftstheorie und Philosophie, verurteilte die Diktatur jenseits der Mauer und propagierte ein ganz neues Denken und neues Leben. Ebenso auch Baudrillard, Virilio, Derrida und etliche andere dieser neuen postmodernen Schule.
Und ein ebensolcher Vertreter war Jean Pierre Dubost am romanistischen Institut in Stuttgart. Auch er wollte provozieren, aufrütteln, lachen über die unhaltbaren Zustände dieser Welt, über das Theater der Politiker, die Dummheit und Lügen der Bilder-Presse, die Einfalt der neu sich bildenden privaten Fernsehanstalten. In den Zeitschriften Tumult und Konkursbuch sowie im Merve-Verlag, um nur einige zu nennen, hatte er kraftvoll-einflussreiche Mitstreiter, die das intellektuelle Establishment gehörig durcheinander rütteln konnten und auch gerüttelt haben.