195 Blog Nr.1
Über das schöne freie Leben
Her mit dem schönen Leben!
Dieser Graffitti-Spruch begrüßt mich fast jeden Morgen an einer Häuserwand in Stuttgart/Heslach, wenn ich mit der Straßenbahn daran vorbei fahre. Den folgenden Aufsatz darüber hatte ich als meine Introduktion zum Blog-Schreiben im Januar 2014 vorbereitet, ihn dann jedoch abgebrochen und eine andere Thematik gewählt. Dennoch finde ich ihn selbst als Ideen-Fragment immer noch lesbar und drucke ihn deshalb heute anlässlich des dritten Geburtstags dieses meines neuen Kommunikations-Mediums ab.
*
Ich starte meinen Blog mit einer Theorie des “schönen freien Lebens”. Ich habe zwar das Thema in Anführungszeichen gesetzt, als wollte ich dieser Formulierung nicht so recht trauen. Doch jetzt, wo die Gitterstäbe immer mehr und fester um uns alle herum gezogen werden, so fest und stark wie noch nie zuvor, sollte wieder die “Idee der Freiheit und Selbstbestimmung” neu entdeckt, neu ausgegraben, neu durchdacht werden.
Da aber das Denken selbst so eingeschränkt ist, dass es sogar mit eben solchen Begriffen wie Selbstbestimmung oder Schönheit, ganz zu schweigen von der “Idee der Freiheit” gar nichts mehr anfangen kann – eher schon mit den Begriffen “Gucci”, “Banging” oder “Rothaus Tannenzäpfle” -, scheint mein Anliegen von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Da das Problem aber tatsächlich auch im Begriff selbst liegt, in der Definition, in der Begriffsfindung (was ist “Idee”, was “Freiheit”, was “Selbstbestimmung”), müssen wir uns wohl oder übel auf den mühsamen Weg der Philosophie machen.
Aber auch dies ist wieder eine weitere Fremdsprache, die mit Gucci, Banging, Dissens und Rothaus Tannenzäpfle ( s.o.) nicht kompatibel scheint (habt Ihr schon die kleine begriffliche Variante bemerkt, kritisch hinterfragt?).
Was also tun?
Dies wird unser Thema sein.
Ich lade dazu ein, mit zu denken, mit zu diskutieren oder auch nur neugierige Begleiter unserer Diskurse und Erkundungen zu werden – “Umkreisungen” habe ich das an anderer Stelle genannt.
Durch Zufall ist mir Thoreau und dieses wunderbare Zitat wieder in die Hände gekommen:
„…weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen könnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben, außer es würde unumgänglich notwendig. Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen würde.“ (Zitat aus Wikipedia)
Diesen schönen Satz, der das Buch “Walden“, eines von Thoreaus Hauptwerken, beendet, möchte ich in seine Einzelteile, das heißt auch Einzelgedanken zerlegen. Den Beginn habe ich weggestrichen, damit nicht gleich schon am Anfang eine falsche Spur gelegt wird.
*
Thoreau ist übrigens der Urvater aller neuzeitlichen Hippies, Öko-Pazifisten und Alternativlern. Wer es schafft, sein dickes Buch “Walden – Leben in den Wäldern” ganz zu Ende zu lesen, der ist tatsächlich ein richtiger und waschechter Hippie geworden (ich habe das Buch nur bis zur Hälfte lesen können). “Walden II” ist das Nachfolgewerk von B.F. Skinner, dem Urvater der behavioristischen Weltanschauung. Skinner lehnt Begriffe wie Freiheit oder Menschenwürde als veraltet und vollkommen untauglich für die Probleme der Gegenwart ab. Er ist jedoch alles andere als ein Proto-Faschist oder Guru-Dogmatiker (Hallo JF!), sondern ein richtiger Menschen-Freund, der es gut mit uns meint und die Wissenschaft und Menschheit dennoch in mancher Hinsicht in eine Sackgasse geführt hat. Vor allem was Statistik oder Steuerung durch Werbung und Massenmedien oder Kommunikations-Technologie betrifft.
Am Ende dieser Sackgasse stehen wir gegenwärtig und blicken uns fragend und manchmal sogar fassungslos an. Quo vadis – wohin des Weges, heißt es doch allenthalben jetzt, im Jahre 2016 (seufz).
Inhalt gesamt Nr.91