198 Platons Themen (Sokrates/Platon Teil 3)
Es folgt eine Liste von Platons Themen, mit denen der Athener Meisterdenker die Philosophiegeschichte des Abendlandes, mehr als jeder andere Philosoph nach ihm, selbst Aristoteles eingeschlossen, beeinflusst und bereichert hat. Sogar nach Meinung des englischen Philosophen Alfred North Norbert Whitehead, einem der Urväter der Analytischen Philosophie, ist die ganze Philosophiegeschichte nur eine Fußnote zum Werk Platons.
Über Platons stilistische Vielfalt und Heterogenität habe ich schon öfter geschrieben. Auffallend ist auch bei der Benennung und Titelgebung der einzelnen Werke, dass der Philosoph weniger die Thematik als bekannte Namen aus seiner näheren und weiteren Umgebung ausgewählt hat. Darunter Freunde aus dem Jünger-Kreis um Sokrates, berühmte Namen der philosophischen Vergangenheit wie Parmenides, aber auch direkte Gegner und Kontrahenten etwa aus dem Kreis der Sophisten.
Im Mittelpunkt der Dialoge (fast alle Werke Platons sind kleine Theaterstücke) steht jedoch meist als souveräner Alleswisser und Meisterdenker Sokrates, hinter dem sich sehr zum Ärger von späteren Interpreten, Exegeten, Hermeneuten und Altphilologen immer wieder Platon selbst versteckt hält. Dessen Namen er besetzt, den er sich aneignet, um seine eigenen Gedanken etwa zur Ideen-Lehre darzulegen. Sokrates hingegen hat sich lieber über ethisch-politische Probleme, wie man ein Leben sinnvoll und gut leben soll, Gedanken gemacht beziehungsweise er hat darüber das Gespräch mit seinen Schülern gesucht.
Alle Themen Platons sind bis in unsere Zeit, selbst als Antithesen oder Weiterführungen, aktuell geblieben. Bis in die Gegenwart hinein existieren seine Problemstellungen und Fragen zur Sprachphilosophie: Was ist Wahrheit und wie kann Wahrheit mittels Sprache ausgedrückt werden. Fragen zur Ethik: Was ist ein gerechtes und vernünftiges Leben, nach welchen Gesetzen sollen wir leben und handeln. Fragen zur Staatslehre: Wie einen gerechten Staat bauen, so dass jeder das ihm Zustehende (suum cuique) erhält. Anthropologische Probleme wie die Fragen nach der Wichtigkeit von Schönheit, Begehren(Lust), Sex und so fort.
Immer wieder sind unsere Handlungen nach dem Guten ausgerichtet, das unmittelbar und direkt die Fragen nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit dominiert. Diese drei Begriffe (Platon nennt sie Ideen) bestimmen unser alltägliches Leben bis in die kleinsten Entscheidungsfindungen hinein. Sie sind überzeitlich, weil sie geistig sind. Sie werden nie vergehen, solange der menschliche Geist als ein freies Organ, was nicht zukünftig vorausgesetzt werden kann, existiert.
Das Gute wird gelegentlich auch von Platon Gott genannt, obwohl nicht immer klar ist, wie die Übersetzungstradition die Begriffe in ihrem jeweiligen Sinn und Kontext, d.h. in ihrer jeweils individuellen und zeitabhängigen Weltanschauung verstanden hat.
Immerhin gibt es in Platons literarischem Reich immer noch – meist nur als mythische Beigabe – die Götter des griechischen Himmels im Olymp, allen voran Zeus. So dass Platon sich mit seinem Monotheismus, der rein geistig war, auch nicht in die Gefahr von Blasphemie oder Atheismus begeben hat. Denn darauf stand im alten Athen und Rom die Todesstrafe. Siehe auch Tod des Sokrates, Tod von Jesus Christus.
Seltsamerweise hat Platon nicht die Idee der Liebe in seinen Ideen-Himmel mit aufgenommen, sondern immer nur den Gott des Begehrens, der Lust, der Kreativität, Eros. Ihn gibt es in zweifacher Gestalt: als einen Gott der sinnlichen und als einen Gott der geistigen Liebe. Die Göttin der geistigen Liebe, auch der Schönheit, heißt Aphrodite. Schönheit ist nämlich eher geistig und nicht sinnlich, denn das Sinnliche vergeht – in jedem Materiellen steckt der Todeskeim, sagten später die Christen. Der Gott der Sinne, also der Zeugungskraft und Sexualität, heißt Pan (lateinisch Cupido). Seine Stunde, die Stunde des Pan, war im alten Griechenland die Zeit der Mittagshitze, d.h. das war neben der Nacht auch die Zeit der Schäferstündchen, der Sexualität. Danach ging man in die Thermen zu Sport, Bad und Gespräch, dann zum Abendessen. Bei Sonnenuntergang legte man sich zu Bett, bei Sonnenaufgang stand man wieder zur Arbeit auf bis in die Mittagshitze – das heißt unter Ausnutzung des Sonnenlichts auch immer wieder zu anderen Zeiten im Jahresverlauf.
Die Definition von Liebe im Sinne von Agape, das ist auch Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe, bleibt dem Christentum vorbehalten, das auf dem Höhepunkt der allgemeinen Aggressivität, dem weltweiten Schlachten-Getümmel und der Verwilderung der Sitten mit Christus (einschließlich seiner Selbstaufopferung) Liebe quasi als platonische Idee in die Welt gesetzt hat, und dies bis auf den heutigen Tag – die Antithese zu unserer angeborenen animalischen Aggressivität, die in Griechenland aus machtpolitischen Gründen noch mit allen Mitteln gefördert worden ist.
Gehirnforscher und Sprachwissenschaftler, etwa Noam Chomsky, wollen sogar die platonischen Ideen in unserem Gehirn verorten, das heißt wir werden angeblich mit diesen Ideen geboren. Sie sind uns angeboren im Denken und im Laufe des Lebens und seiner Erfahrungen, auch seiner Denkgeschichte, werden sie sich in unserem Geist entwickeln, “entfalten“, sofern es ihn noch gibt; sie werden auch immer wichtiger für unsere Existenz und unseren Lebensweg werden. Nicht zuletzt auch das Denken über Gott.
Deshalb noch einmal: Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit, diese Begriffe werden uns ein Leben lang begleiten, und sie sind nur noch untergeordnet dem obersten Begriff des Guten, welches unser Leben nach Platons Denken und auch nach dem Glauben des Christentums leitet, trotz vieler unguter Zustände, trotz Tod, Krieg, Verderben und Untergang. Doch selbst der größte Mafioso oder Kriegsverbrecher wird für sich und seinesgleichen nur das Gute im Sinn haben. Sofern er nicht wahnsinnig geworden ist. Womit wir genau in der Problematik der platonischen Philosophie und auch der Problematik der abstrakten Begriffe allgemein samt ihrer Isosthenie angekommen wären. Doch darüber später mehr.
Auch in Platons Werken, wie sie überliefert worden sind, gibt es Fälschungen. Sogar etliche. Auch seine Liebesgedichte an Phaidros oder Dion mögen Fakes sein. Was aber nichts zur Sache tut: Über die Wahrheit der Geschichtsschreibung (besser: über deren Weisheit und Sinn) habe ich mich schon öfter an dieser Stelle geäußert. Dass die Frage der Wahrheit oder Unwahrheit historischer Erinnerungen (ich sage nicht „Tatsachen“) weniger wichtig ist, um unseren Lebensweg in der Gegenwart zu spuren. Dass die gewonnenen oder gefundenen, wenn nicht sogar im Diskurs “erarbeiteten” Begriffe wichtiger sind, die quasi wie Meilensteine uns den Weg weisen zu einem glücklichen und befriedigenden Leben, sofern man ein solches anstrebt. Was nicht immer vorausgesetzt werden kann beziehungsweise vorausgesetzt werden darf. Auch ein asketisches Leben oder ein Leben für Pflicht und Verantwortung ganz jenseits von Lust, Glück und Befriedigung scheinen sinnvoll und diskussionswürdig zu sein selbst in unserer jetzigen Gegenwart.
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Platons Themenbereiche (in Klammer die Titel seiner Werke, meist kleine Theaterstücke, benannt nach Freunden oder Gegnern seiner unmittelbaren Lebenswelt):
Über Tugend (Protagoras)
Über Tapferkeit (Laches)
Über Frömmigkeit (Euthyphron)
Verteidigung des Sokrates (Apologie)
Vom Einhalten der Gesetze (Kriton)
Über Rhetorik und die richtige Lebenstechnik (Gorgias)
Über Tugend (Menon)
Über die Sprache (Kratylos)
Über die Unsterblichkeit der Seele -Tod des Sokrates (Phaidon)
Über Rhetorik und Eros (Phaidros)
Über Sophistik und die Bildung der Jugend (Euthydemos)
Über die Lüge (Hippias I)
Über Schönheit (Hippias II)
Über die Kunst der Rhapsoden (Ion)
Über die Tüchtigkeit des Staatsmanns (Alkibiades I)
Über das rechte Beten (Alkibiades II)
Über die Liebe (Symposion)
Über die Besonnenheit (Charmides)
Über die Freundschaft (Lysis)
Totenrede (Menexenos)
Über Erkenntnis (Theaitetos)
Über das Sein (Parmenides)
Über die Lust (Philebos)
Über Gerechtigkeit und den idealen Staat (Politeia)
Über die Entstehung der Welt (Timaios)
Die Sage von Atlantis (Gritas)
Über das Wesen des Sophisten (Sophistes)
Über den Staatsmann (Politikos)
Über die Gesetze (Nomoi)
Briefe: Autobiographisches
Bezug: Gunthard Heller – 1. August 2012 (Amazon)
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Besonders einflussreich bis auf den heutigen Tag (und auch äußerst umstritten) sind die beiden politischen Schriften Politeia (Der Staat) und Die Gesetze (Spätwerk). Sie behandeln u.a.Themen wie Staatsverfassungen, Meisterdenker, Züchtung und Kommunismus, Fragen zur Gerechtigkeit. Nach Popper war Platon der erste Proto-Faschist.
Zu den Fragen über Liebe und Lust äußert sich Platon im Phaidros und im Symposion. Wer eine ganz besonders unverständlich-hermetische Sprache kennenlernen will, der beiße sich am Parmenides fest. Besonders leicht zu lesen ist der Tod des Sokrates (Phaidon). Als Übersetzer bevorzuge ich immer noch Otto Apelt aus den 20er Jahren. Sein Zeitgenosse und Konkurrent Kurt Hildebrandt ist mir zu einseitig der Ideologie des George-Kreises verpflichtet. Selbst Übersetzungen können ideologisch sein. Auch das gibt es.
Platons Lehrgebäude in Athen, die Akademie, überdauerte fast 1000 Jahre. 529 wurde sie von Kaiser Justinian endgültig geschlossen. Ihr berühmtester Schüler war Aristoteles, zeitweiliger Lehrer von Alexander dem Großen. Frauen waren in der Akademie, in die man nur mit guten mathematischen Kenntnissen Einlass fand (Platon war auch ein Pythagoräer), nicht zugelassen. Trotzdem schmuggelte sich eine solche als Mann verkleidet in Platons Vorlesungen. Die philosophische Grundhaltung der Akademie löste sich sehr bald im Skeptizismus einer Alles-geht-Haltung gegenüber auf. Relikte der Ideenlehre wurden von Augustinus schließlich ins Christentum weiter geführt. Immer wieder erlebte sie eine Renaissance, allen voran im 16.Jahrhundert und selbst noch im 19. und 20.Jahrhundert.
Nicht vergessen werden darf der Neuplatonismus im römischen Kaiserreich: Plotin, ein frei gelassener Sklave, führte etliche (irrationale?) Ideen Platons weiter in eine geheimnisvolle und faszinierende philosophische Mystik, die im frühen Mittelalter auch im Christentum Wurzeln schlagen konnte.
Vergleiche auch das Lektüreverzeichnis von Platons Schüler und Nachfolger in der Akademie-Leitung Xenokrates (im Blog Nr.12)
Über Sokrates/Platon Teil 1/2 in Nr.153
Bücher von Reinhold Urmetzer Nr. 109