206 Robotergefühle
Künstliche Intelligenz
Maschinen gleichen den Menschen immer mehr. Und umgekehrt?
von Nina Fargahi
Kürzlich machte das Video von einem Roboter die Runde, der dem Menschen erstaunlich ähnlich ist. Er heisst Atlas, hat zwei Arme und zwei Beine, hebt Kisten, läuft eigenständig durch den Wald, kann sich auffangen, wenn er ausrutscht, und aufstehen, wenn er hinfällt. Interessant ist: Als Atlas umgestossen wird und zu Boden fällt, regt sich beim Betrachter – im vollen Wissen um Atlas’ Nichtmenschlichkeit – ein Funken Mitleid.
Programmierte Empfindungen
Die Vorstellung, dass Menschen Gefühle hegen können für Roboter, ist nicht neu. Schon vor zweihundert Jahren beschrieb der deutsche Romantiker E. T. A. Hoffmann in seinem bekannten Schauermärchen «Der Sandmann», wie der junge Nathanael sein Herz an Olimpia verliert und sich vom Turm stürzt, als er erfährt, dass sie nur ein lebloser Automat ist. Und spätestens seit dem oscarprämierten Film «Her», in dem sich der Protagonist in eine Software verliebt, sind emotionale Beziehungen zu binären Codes gemeinhin zumindest vorstellbar. Neu ist auch nicht, dass Maschinen imstande sind, Empfindungen zu simulieren. Man denke an die digitalen Haustiere, die Tamagotchis aus der Mitte der 1990er, die bei Hunger und Durst klingelten. Oder an Pepper, den «Roboter mit Herz», der letztes Jahr in Japan auf den Markt kam. Er ist darauf programmiert, sich zu «freuen», wenn man ihn lobt, und zu «weinen», wenn er beschimpft wird. Der CEO der Herstellerfirma Softbank sagte: «Unser Ziel ist es, einen Roboter zu kreieren, der lieben kann.» Pepper wurde auch als therapeutischer Roboter in Altersheimen eingesetzt, um die Patienten zu beruhigen, zu stimulieren und mit ihnen zu kommunizieren. Roboter werden also nicht mehr als Werkzeuge modelliert, sondern als Partner. Pepper war in Japan ein Verkaufsschlager.
Vermenschlichtes Artefakt
Doch nicht immer reagieren die Menschen positiv auf Roboter. Vor wenigen Monaten wurde ein Roboter, der Shopping-Beratungen in einem Einkaufszentrum in Kyoto anbot, von Kindern getreten, geschlagen und mit Plastikflaschen beworfen. Danach programmierte man den Roboter so, dass er sich aus dem Staub machte, wenn seine Sensoren Menschen unter 1 Meter 40 – also vorwiegend Kinder – wahrnahmen. Die Kinder gaben später an, dem Roboter durchaus zugetraut zu haben, Schmerz zu empfinden. Laut den Forschern hatten diese Kinder aus den gleichen Motiven gehandelt wie Kinder, die auf dem Schulhof Mitschüler mobben oder Tiere drangsalieren. Empathie, die Fähigkeit, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen, entwickle sich erst nach und nach.
Was bedeutet das nun für das Verhältnis von Menschen und Robotern, wenn ein zu Empathie fähiger Erwachsener Gefühle für einen Haufen Blech und Plastik hegt? Dabei ist der Unterschied relevant, ob es sich um eine Gefühlsregung handelt wie beim Betrachten von Atlas’ Sturz oder ob «wahrhaftige Gefühle» im Spiel sind, wie beim Protagonisten im Film «Her». Forscher der Stanford University fanden heraus, dass Menschen die Tendenz haben, Maschinen wie lebendige Wesen zu behandeln und ihnen Gefühle oder Intentionen zuzuschreiben: Wenn beispielsweise der kaputte Computer als unfähig beschimpft werde, sei das ein Zeichen für die Vermenschlichung von technischen Artefakten. Die Leute deuteten maschinelles Verhalten also als menschliches Verhalten. Die Studie wurde methodisch stark kritisiert, doch in der Robotik wird häufig auf diesen Annahmen aufgebaut.
Lebhaftigkeit durch Illusionen
Kann es sein, dass Menschen eines Tages mit Robotern Freundschaften schliessen, sich in sie verlieben, mit ihnen Beziehungen eingehen und so ihre Mitmenschen durch Maschinen ersetzen? Denn Liebe kann ohne Gegenseitigkeit funktionieren, und Beziehungen können auch zwischen den Menschen monologisch geführt werden. Häufig beruhen die grossen Gefühle auf der Projektion eigener Vorstellungen auf den anderen. Und das ist bei den Robotern nicht anders: Was sie lebhaft erscheinen lässt, sind die Illusionen einer Person, deren eigene auf Blech gespiegelte Bedürfnisse und Gefühle. Vielleicht findet man sogar die Bestätigung des Selbst im anderen. Man würde dann nicht mehr Menschen lieben, die sich wie Roboter verhalten (darin ist niemand richtig gut), sondern Roboter, die sich wie Menschen verhalten.
Ja vielleicht umgibt man sich dereinst lieber mit Robotern aus Bits und Bytes als mit Wesen aus Fleisch und Blut. Denn Maschinen haben Vorzüge: Sie haben keine Launen, sind per Knopfdruck verfügbar – und man kann sie ausschalten. Sie reagieren stets berechnend, haben keine Zweifel und kennen keine Trauer. Das ist aber auch ihr grösster Nachteil: Sie sind nicht empathisch. Und Empathie, sagte der Psychoanalytiker Arno Gruen, bilde die Basis für alle menschlichen Entwicklungen.
Kommentar
Mirko Plitt
Die Zeiten, in denen Computerprogramme einfach vorprogrammierte Befehle ausführten, sind vorbei. Computer können inzwischen immer mehr typisch menschliche Aufgaben lösen und dabei selbstständig aus ihren Fehlern lernen. Möglich wird das nicht so sehr durch die wachsende Rechenleistung, sondern durch das immer bessere Angleichen der Algorithmen an menschliche Vorgehensweisen.
Man kann sich durchaus vorstellen, dass im Lauf dieser Entwicklung bei Computern auch Gefühle auftreten werden — echte Gefühle, nicht bloss simulierte Illusionen von Gefühlen –, oder sogar müssen, denn ohne diese, und insbesondere ohne Empathie, wird eine wirkliche Interaktion mit dem sozialen Wesen Mensch nicht möglich sein. Das ambivalente und sich immer wieder ändernde Verhältnis, das wir Menschen schon mit Tieren haben, denen wir heute ja Gefühle und sogar Rechte zusprechen, wird sich voraussichtlich ähnlich in unserem Zusammenleben mit Maschinen wiederfinden.
Das wäre dann auch alles andere als ein Zufall. Der humanoide Roboter ist keineswegs das beiläufige Ergebnis einer technischen Entwicklung. Wie in dem Artikel angedeutet, können wir gar nicht anders, als die Welt anthropomorph zu deuten, und das Bedürfnis, anderen Wesen Leben einzuhauchen — sei es imaginäres Leben –, ist bei uns fest verdrahtet.
Meine Firma hat ein Programm entwickelt, das kontrolliert Fehler in Texte einstreut, um die Aufmerksamkeit menschlicher Korrektoren in Echtzeit zu überwachen… Auch die Rollenverteilung zwischen Mensch und Maschine verschwimmt.
aus Neue Zürcher Zeitung vom 11./12.3.2016