24 Achim Kubinski
Achim Kubinski
Der Stuttgarter Künstler und Galerist Achim Kubinski ist tot.
Er starb bereits am 17. Dezember in Berlin. Obwohl ich in meinem Leben nur wenige Sätze mit ihm gewechselt habe, hat er mein Leben wesentlich mitbestimmt. Dergestalt, dass er mich mit den französischen Philosophen konfrontierte und dann auch bekannt gemacht hat.
Die Initialzündung war vor vielen Jahren eine Einladung in seine Galerie in der Stuttgarter Olgastraße 109 zu einer Vorlesungsreihe mit einem mir bis dahin unbekannten Philosophen-Schriftsteller namens Jean-Pierre Dubost. Im Stuttgart der 80er Jahre war dieser Mann ein Phänomen. Unangefochten vertrat er die Position des französischen Poststrukturalismus (in universitären Kreisen redete man nicht gerne von “Postmoderne”), er erweiterte die Schar seiner studentischen Anhänger(innen) und Adepten beständig. Gute Kontakte nach Paris machten Besuche von Berühmtheiten wie Lyotard oder Baudrillard in Stuttgart möglich, das fast zu einem Zentrum der postmodernen Ideen in Deutschland wurde. Zumal auch ein Prototyp postmoderner Architektur, die Neue Staatsgalerie, im Entstehen war.
Als junger Journalist hatte ich Dubost erstmalig also in dieser Galerie von Achim Kubinski kennen gelernt(1). Dort war ein illustrer Kreis zu einer mehrwöchentlichen Vortragsreihe eingeladen mit dem für mich seltsam-befremdlichen Titel “Wiederholter Anlauf zu einer unabschließbaren Rede über das Verschwinden der Welt “. Der Eintrittspreis zu diesen Vorträgen war horrend hoch, die ganze Veranstaltung umgeben von einer Rätselhaftigkeit, auch Neuheit und Exklusivität, die mich neugierig machte. Genug Stoff und Anreiz also für einen Zeitungsartikel.
Das Schicksal wollte es, dass ich als neutraler Berichterstatter in eine Veranstaltung geriet, die als eine Gedenkveranstaltung zum Tode Michel Foucaults spontan umfunktioniert worden war.
Ein Kreis von etwa zwanzig jüngeren Frauen, einige wenige Männer, in tiefes Nachsinnen versunken – sie ließen sich durch mein Zuspätkommen in keinster Weise stören, das heißt aufwecken – lauschte den langsam gesprochenen Worten Dubosts. Er ließ sie leise und fast schwermütig in den Raum klingen. Dann und wann eine Video-Sequenz einbauend, den Overheadprojektor, manchmal auch Musik – alles schien gefangen und wie erstarrt in einem ästhetizistischen Bann (Performance nannte man das später), wie ich ihn noch nie erlebt hatte.
Ich war geschockt, irritiert und verärgert zugleich. Als überzeugter Anhänger der Frankfurter Schule, hier eher die Richtung meines Mentors Karl Otto Apel als die von Jürgen Habermas vertretend, war ich sehr um Verstehen, Verständigung, Aufklärung bemüht. Das Theater in der Galerie Kubinski war nun meilenweit entfernt von jeder politischen Diskussion über eine Gesellschaft, wie sie ist, sein könnte, sein sollte. Meilenweit entfernt von den Anfänger-Diskussionen der grünen Ökologen, Atomkraft- und Atomkriegsgegnern oder auch Weltuntergangs-Propheten.
So stellte ich mir den George-Kreis in der Nazi-Zeit vor, den es auch im Stuttgart der 80er Jahre immer noch gegeben haben soll. Menschen in tief schwarzen Kleidern und eine weltabgewandte Sprach-Verliebtheit, die schon eine erotische Verfallenheit bedeutete.
Ich jedenfalls schrieb tags darauf in der Stuttgarter Zeitung einen wütenden Bericht, der mir gleichwohl doch sehr zu Denken gegeben hatte. Die Provokation in der Galerie Kubinski hatte gewirkt und war, das muss ich jetzt im Nachhinein feststellen, überaus erfolgreich.
Sie wirkte weiter und trieb mich fast auf die Gegenseite der intellektuellen Welt. Zumal mir Achim Kubinski auch einen Kontakt mit dem Philosophen Jean-François Lyotard vermittelte und seine Galerie weit öffnete für alle diese neuen Strömungen, die fachübergreifend aus Frankreich einwanderten.
Zusammen mit der französischen Verlegerin Patricia Schwarz wurden etliche neue und faszinierende Bücher herausgegeben, etwa Lyotards hermetisches Dadaismus-Buch “Die TRANSformatoren Duchamp“, an welchem sich die Übersetzerinnen Regine Bürkle und Gisela Febel so erfolgreich die Zähne ausbeißen konnten.
Kubinski nahm auch ein erstes Buch von mir ins Programm, das ich zusammen mit und über Wolfgang Rihm geschrieben hatte. Sein Titel war lapidar nur “Wolfgang Rihm” mit den beiden Abschnitten “Über Stil, Künstlichkeit und Spiel“, in welchem ich mich bereits mit einer neuen Sprache vorstellte, wie ich sie später nie wieder erreicht habe, sowie das lange Rihm-Interview “Offene Stellen – Abbiegen ins Andere“, mit dem sich mittlerweile sogar eine englischsprachige Dissertation beschäftigt.
Ein Höhepunkt war gewiss der Besuch von Jean-François Lyotard in Kubinskis Galerie. Mein Kontakt mit dem Philosophen erfolgte über die Stuttgarter Edition Patricia Schwarz, die Bücher von Lyotard herausgab und unter deren Label Kubinski auch seine Publikationen veröffentlichte. Die Verlegerin hatte zu einer Vernissage mit gleichzeitiger Buchvorstellung eingeladen. Lyotard war gekommen, um die Ausstellung des Konzept-Künstlers John Buren, über den er ein neues Buch geschrieben hatte, mit einer illustren Rede zu eröffnen.
Künstler, Schriftsteller und Philosophen, z.B auch Jean Luc Nancy, gingen damals in der Galerie ein und aus, bis auch diese Zeit Mitte der 90er Jahre schließlich zu Ende war. Kubinski wechselte mit seinem Programm und seinen Ideen nach Köln, dann nach Berlin, schließlich auch nach New York. Er war nicht nur Galerist und Bildender Künstler (der schöne Neonlicht-Spruch von Hegel am Stuttgarter Hauptbahnhof, “Dass die Angst zu irren schon der Irrtum ist”, geht mit auf ihn zurück), sondern auch Musiker, Komponist und noch vieles andere mehr.
Ob er erfolgreich war, kann ich nicht sagen. Was heißt das schon, erfolgreich sein? – Soll man es quantifizieren mit Geld, Verkäufen, Fanpost oder Auszeichnungen? – James Joyce hatte im Triest der 20er Jahre gelegentlich nur drei Personen, die ihm beim Vorlesen seines “Ulysses” zugehört haben. Platons Vorträge in der Akademie sollen nur von seinem Schüler Aristoteles bis zum Ende angehört worden sein. Brecht ließ seine Bücher von seinen zahlreichen Geliebten schreiben und niemand wusste davon. Foucaults Geliebter hat noch vor beider Tod das Buch über den “Mann, der mir das Leben nicht gerettet hat” veröffentlicht.
Wer hätte Achim Kubinskis Leben retten, seinen Lebensweg spuren können, welcher Arzt, welche Liebe, welche Besessenheit?
Jetzt ruht er, knapp 62jährig, auf dem Waldfriedhof, nicht weit vom Dornhaldenfriedhof entfernt, wo auch drei andere Besessene, die Stuttgarter Terroristen Bader, Ensslin, Raspe ihren Platz gefunden haben in all dieser besessenen und innovativen Zeit, die sich die Achtziger Jahre nannte.
Adieu, Achim Kubinski, und Danke für alles! Auch im Namen der Stadt, die nicht zuletzt mit Hilfe deiner Galerie in der Olgastraße 109 aus ihrem behäbigen Tiefschlaf kurz ins Rampenlicht einer breiteren Öffentlichkeit gerückt worden ist. – Adieu!
1 Vergleiche im Blog die Nummern 6,7 und 19

