21 Antwort (Interview)
Antwort zum Blogbeitrag “Über Liebe und Lust”
Warum haben Sie sich ein so heikles Thema ausgesucht? Sie haben sich damit ja ganz schön weit vor gewagt.
Warum?
Päderastie und Homosexualität sind doch mittlerweile zu einem Dauerbrenner in der öffentlichen Diskussion geworden. Es wird sogar schon von einem neuen “Kulturkampf” gesprochen.
Mein Thema ist Liebe und Lust bei Platon und in seinem “Phaidros“. Wenn es damals in Sachen Liebe nur um die Knabenliebe ging, kann ich heute auch nichts mehr dafür.
Ich denke außerdem, dass das Thema Männerliebe in der Antike nicht so dogmatisch und ideologisch betrachtet worden ist wie heute. Immerhin sind wir in einem Staat der Männer, wo die Frauen nur sehr wenig zu sagen hatten auch bezüglich “Liebe”,die es in dieser unserer bevorzugten Form noch gar nicht gab. Liebe war immer nur Sex, Begehren, Zeugen, auch bei Platon. Nicht Verantwortung oder gar Liebe im Sinne der christlichen Ethik.
Warum gab es diese Idee der Liebe noch nicht?
Ich denke, weil es im Platonisch-antiken Götterhimmel noch keine Christen gab; Buddhisten noch weniger. Im Gegenteil. Die Götter lebten und liebten archaisch, das heißt eher tierisch und schon gar nicht christlich. Kein einziger Gott konnte etwa lieben mit Verzicht, also ohne Gegenliebe zu erwarten, oder zeigte zumindest ein minimales Zeichen nur von Nächstenliebe. Geschweige denn dass er sich wie Jesus Christus geopfert hätte für jemanden. Im Zentrum stand immer nur Kampf und Macht und Begehren. Der Himmel war ein Spiegel des Lebens von unten auf der Erde, dessen Erfindung.
Die Männer in Platons Athen hatten ihre Frauen, zeugten Kinder wie Sokrates auch, der “Knabenliebhaber”, und fühlten sich darüber hinaus verpflichtet, vor allem wenn man in der Oberschicht lebte, sich um die heranwachsenden jungen Männer zu kümmern. Das schloss auch die Knabenliebe in beiderseitigem Einverständnis, auch der Familien, ein. Die Knaben wurden umworben wie heute die Frauen und sie mussten einverstanden sein, sich schließlich einem älteren Mentor anzuvertrauen. Das führte wohl auch zu sexuellen Kontakten, die Platon in seinen „Gesetzen“ später jedoch ablehnte. Ob diese Knabenliebe nun tatsächlich vor der Pubertät stattfand, ist unklar. Ich glaube eher nein. Also während und am Ende der Pubertät. Was sich genau abgespielt hat, ist ebenfalls unklar.
Was denken Sie über die Knabenliebe?
Ich lehne sie natürlich ab. Weder hätte ich es in meinem jugendlichen Alter gut oder sagen wir besser anziehend gefunden, einem älteren Mentoren mich sexuell anzuvertrauen, noch würde ich es bei meinem Sohn gut finden, der jetzt 16 Jahre alt ist. Die Zeiten und Einstellungen haben sich gegenüber damals entscheidend geändert.
Das Beispiel zeigt nur, wie relativ Sitten und Gebräuche selbst in der Erziehung der Jugend sind. Was damals gut war, kann ganz schnell umkippen und als ganz schlecht, ganz verwerflich abgelehnt werden.
Warum behandeln sie dann dieses Thema?
Das “Phaidros”-Kapitel ist eines der Themen in meinem neuen Buch “Über Liebe und Lust”. Dort geht es wesentlich um das Sexualverhalten der Zukunft, auch um die Zukunft der Liebe im Zeitalter der medialen Pornografie. Das heißt nicht, dass es um Knabenliebe dort gehen wird. Aber um Leidenschaft, Verlieben und neue Lebensformen schon. Ich gehe auch davon aus, dass die Familie im traditionellen Sinn in unserer Hemisphäre zumindest, das heißt im abendländischen Raum, wenig Überlebenschancen nur haben wird in ihrer jetzigen Form.
Männer wie Frauen werden mittlerweile so stark in den Arbeitsprozess eingespannt, dass es fast unverantwortlich scheint Kinder in die Welt zu setzen.
Diese werden zukünftig wohl in Staatskrippen erzogen, vielleicht sogar gezüchtet oder designt werden. Entsprechend eingestellte Forscher mit einem ganz anderen Menschenbild, einer ganz anderen moralischen Einstellung als wir hier im Abendland warten bereits um die Ecke, in China zum Beispiel.
Schon heute klappt es nicht mehr mit der Erziehung der Kinder. Kinder-Erziehung überfordert m.E. weite Teile der Bevölkerung.
Und wie steht es mit der Liebe?
Auch die Paar-Bildung, die Paar-Bindung wird immer schwieriger. Es klappt nicht mehr mit dem Zusammenfinden, auch mit dem Zusammenleben der Eltern und Paare. Man scheut Probleme und Konflikte, als wenn diese – ebenso auch die Bewältigung derselben – nicht dazu gehören würden. Schnell geht man wieder auseinander mit oder ohne Nachwuchs. Meidet jede Verantwortung. Schauen Sie sich die vielen geplagten Alleinerziehenden an. Die vielen vergeblich und wie auch immer Partner-Suchenden. Selbst in Swinger Clubs sucht man – ja was nun? Ich weiß es auch nicht so recht.
Das Zeitalter der Romantik, eigentlich bereits ein erster Versuch der Auflehnung des gebeutelten Individuums gegen Technisierung und Industrie mit all ihren Entfremdungs-Tendenzen, dieser Traum von einer anderen Zeit und Welt ist an einem Ende. Im Augenblick ist romantische Liebe nur noch ein Fake der Film- und Kulturindustrie. Wer daran festhält und daran noch glaubt, ist verloren, der wird ein böses Erwachen erleben.- Auch die Verantwortungsethik im Sinne des Christentums überfordert einen immer mehr. Man schafft es schon kaum noch, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Haben Sie heute schon gesund, umweltfreundlich, nachhaltig gelebt und gegessen? Oder eher nein?
Der Feminismus fördert darüber hinaus die Trennung der Geschlechter. Männer und Frauen wenden sich wieder mehr ihresgleichen zu. Sparta und der Amazonenstaat – das wäre doch ein Modell der Geschlechtertrennung. Kinder werden dann gezüchtet oder geklont, das Thema Erziehung entfällt.
Woran sollen wir dann glauben?
An Lust, Vergnügen, Spaßhaben und Ablenkung glauben wir zur Zeit sehr stark. Pascal nennt es “Zerstreuung“, weil wir nicht still auf einem Stuhl sitzen könnten. Sonst würden uns schlechte Gedanken durch den Kopf gehen, zum Beispiel Begriffe wie Sinn, Scheitern, Ende und Tod, die wir permanent in unserer Zeit der Jugendlichkeit, des Jungsein-Müssens und des Vergnügens verdrängen. Zumindest läuft der merkantile Konditionierungs-Apparat gegenwärtig uneingeschränkt in diese Richtung. Liebe war auch zu Platons Zeiten nur Begehren, also Lust. Zwar auch als Sehnsucht nach den Ideen des Schönen und Guten. Aber bereits dieser Ansatz Platons zeigt, dass die Lust als Eros im Vordergrund stand und irgendwie gebändigt, domestiziert werden musste. Anscheinend war Platons Athen zu seiner Zeit gar nicht so Winckelmann-klassisch, ideal und harmonisch, sondern sehr militaristisch und sexualisiert. Um nicht von Sexismus zu reden. Warten Sie erst mal meinen Bericht über Sparta ab! Da werden Sie noch weitere sehr befremdliche Dinge kennenlernen.
In einem solchen Staat brauchte es keine Festlegungen auf Homo- oder Hetero- oder Bisexualität, auf Perversitäten oder Anomalien. Selbst mit den Tieren hat man es in der römischen Kaiserzeit getrieben. Nach Freud geht alles. Es sollte nur nicht Realität werden. Und dennoch wird so vieles Realität, selbst in der Gegenwart wird es schreckliche Realität, welches zumindest mein Vorstellungsvermögen überfordert.
Wohin also mit der Liebe und mit der Lust in der Zukunft, mit den Familien, Paaren, eingetragenen Zuchtvereinen idealtypischer Menschen, das ist das Thema meiner Spekulationen. Alles wird sich sehr ändern. Wir sind in einer Zeitenwende, vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks, der auch eine Weltrevolution verursacht hat, zumindest in Europa. Damals hat man sogar im Namen des richtigen Gottes gegen den falschen Gott gemordet und gebrandschatzt. Was für eine geistige Verwirrung diese Isosthenie zur Folge hatte, können Sie sich ausdenken.
Die Verunsicherung ist groß und vergleichbare Indikatoren aus anderen Zeitenwenden wiederholen sich. Ich werde wie immer in die Vergangenheit gehen. Dies ist mein Programm – Sie kennen es aus meinen anderen Blogbeiträgen -, um die Zukunft zu erforschen. Ich müsste jetzt eine Vision dieser Zukunft, etwa der Zukunft im Zeichen einer streng und übertrieben technisch orientierten Herrschaft (Technokratie) entwerfen. Aber diese Ideen spare ich mir lieber für das Buch auf. Ich werde auch nicht alles bereits jetzt verraten.
Glauben Sie an die Zukunft von Liebe und Lust?
Schon. Denn wir sind, entschuldigen Sie meine despektierliche Ausdrucksweise, T i e r e . Tiere mit Geist und Vernunft, mit Körper, Gefühlen und Kreativität, mit Göttern und Dämonen, Liebe und Lust. Und doch auch immer wieder fremdartig, neu und unberechenbar, was die Zukunft betrifft. Das kann auch sehr positiv sein. Und Tiere lassen sich nicht so leicht bändigen oder einsperren.
Ich bin kein Asket, weder im christlich-mönchischen noch im buddhistischen Sinne. Aber meine Körperkontakte mit unterschiedlichen Menschen kann man an zwei Händen bei mir abzählen. Das heißt, der mittlerweile modisch gewordene One Night Stand ist nichts für mich. Ich bin ein typischer Anhänger der altmodischen romantischen Liebe, auch wenn die Frauen in diesem Gebiet manchmal noch romantischer waren als ich und sich vielleicht zu viel von mir versprochen hatten. Das hat schließlich zu schmerzhaften Konflikten und Trennungen geführt, aus denen ich aber auch viel gelernt habe für meinen weiteren Lebensweg.
In welcher Hinsicht?
Ich habe gelernt, dass für Ehe und Familie die Gleichgesinntheit, das heißt auch die Übereinstimmung meist wichtiger ist als das anregende Andere. Eine Zeit lang haben mich Antithesen, auch das Fremde und ganz Andere, sehr fasziniert. Für einen Künstler wie mich sind sie allemal inspirierend, vielleicht sogar notwendig. Ich habe aber auch die Erfahrung machen müssen, dass Antithesen einen zum Verzweifeln bringen können, mich buchstäblich zerreißen. Idem velle et idem nolle – Gleiches wollen und Gleiches Nichtwollen, das scheint mir im Sinne der antiken Römer ein besseres Fundament zu sein für ein lang andauerndes Zusammenleben.
Zweisamkeit, Ehe und Familie habe ich jedenfalls als sehr schön und entlastend, das heißt sogar auch als befreiend erleben dürfen. Doch wie gesagt, ich bin aus einer anderen Generation und vielleicht altmodisch. Die jungen Leute denken vielfach anders, selbst bezogener, narzisstisch. Narzissmus ist einer der Schlüsselbegriffe in meiner Abhandlung. – Ist der “Phaidros”-Text eigentlich schon veröffentlicht?
Nein.
Warum fragen Sie mich dann jetzt schon danach?
Um die Leser neugierig zu machen.
Auf den Blog?
Ja.
Dann veröffentlichen Sie ihn doch. Also eine Methode der Werbung. Auch für mein neues Buch?
Wenn Sie so wollen, ja. – Wann wird es fertig?
Ich weiß es noch nicht genau. An Pfingsten werde ich wieder in Fatima/Portugal sein. Dort werden mir auch “Wächter” zur Seite stehen, wie ich in einem Brief an einen Freund einmal geschrieben habe, dass ich nichts Falsches oder Unwahres schreibe.
Apropos Wahrheit. Auf welche Quellen stützen Sie sich eigentlich?
An anderer Stelle habe ich über diese Problematik – über die Wahrheit der Geschichtsschreibung zum Beispiel – bereits geschrieben. Die Engländer nennen die Zielgruppe meiner Vorgehensweise, meine Betrachtung der Philosophie als Lebensform “general reader“, vielleicht mit “Durchschnittsleser” zu übersetzen. Es ist ein journalistischer Ansatz und ich will im Blog die Leser nicht mit zu vielen Pseudo-Anmerkungen ermüden. Es sollen Impulse, Anregungen, Anstöße zum Nachdenken sein, das eigene Urteil zu finden. Wenn dies dann antithetisch zu meinem ausfällt, auch gut.
Alles läuft immer wieder – Sie kennen meine Haltung – auf eine Isosthenie hinaus, dass alles wahr und falsch sein kann je nach dem Blick und der Brille, die man gerade trägt. Auch wenn Platon gerade in diesem Punkt ganz anders denkt, ja dieses mein (sophistisches) Denken leidenschaftlich ablehnen würde.Ich bewundere und verehre ihn deswegen. Mehr als Aristoteles, die Stoa oder Epikur. Aber darüber will ich später berichten.
Meine Quellen werde ich Ihnen also nicht nennen. Auch Wittgenstein hat keine Quellen genannt. Es gäbe doch nichts Neues mehr zu sagen, hat er behauptet. Auch Derrida hat ähnlich gedacht. Doch wenn es Ihnen ganz besonders wichtig ist, kann ich Ihnen einige Bezugsquellen mitteilen. Zum Beispiel gibt es in den Plutarch-Biografien ein Kapitel über Lykurg, den mythischen Gründungsvater von Sparta. Dort sammle ich zur Zeit meine Informationen zu Sparta. Zurück zu den Quellen, heißt es auch bei mir. Sparte soll außerdem trotz seiner großen militärischen Erfolge binnen 200 Jahren um zwei Drittel geschrumpft sein. Warum? – Auch dies hängt mit Liebe und Lust zusammen.
Die Fragen stellte Alexandre Herrmann