212 Jugend
Ich habe einen Text von Anne Weißsswieder gefunden und als Vorlage genommen. Sie hatte dieses Gedicht anlässlich der Geburt ihrer Tochter Marie Cerise geschrieben, die auch meine Tochter hätte sein können. Die Künstlerin lebte längere Zeit in Paris und Frankreich und war eine große Anhängerin der französischen Vorkriegs-Literatur der 30er und 40er Jahre. Diese ist bekanntermaßen nicht nur surreal oder magisch, sondern immer wieder auch sehr poetisch bis auf den heutigen Tag. Außerdem wusste AW sehr schön und uns alle überzeugend französische Chansons mit ihrer rauchigen Stimme zu interpretieren. Das Gedicht enthält noch stark die Stimmung und Sehnsucht der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, obwohl es nicht in dieser Zeit entstanden ist.
Jugend
In deinem Herzen bewahrst du noch alle
Sonnen dieses Sommers,
du schmeckst das Wasser von jedem
Bach, fliegst mit den
Vögeln, mit dem Lächeln der
Blumen und den Tränen des Himmels
davon.
Du bist ein Freund der Wolken,
in Decken des Regens gehüllt
magst du den Wind und das Meer,
bist frei, alle Wege zu gehen.
Du lebst so fröhlich und unbeschwert dahin,
dass selbst die verrückteste Liebe um dich
herum aufblühen muss.
*
In meinem Herzen bewahre ich noch alle
Spuren dieses Sommers,
ich schmecke das Wasser von jedem
Bach, fliege mit den
Vögeln, mit dem Lächeln der
Blumen und den Tränen des Himmels
fliege ich davon.
Ich bin ein Freund der Wolken,
in Decken des Regens gehüllt
mag ich den Wind und das Meer,
frei, alle Wege zu gehen mit dir.
Ich machte Liebe so fröhlich und unbeschwert,
dass selbst die verrückteste Liebe um mich
herum auch bei S., dem schönen Araber,
aufblühen musste.
*
In unserem Herzen bewahren wir alle
Sonnen dieses Sommers,
wir schmecken das Wasser von jedem
Bach, fliegen noch immer mit den
Vögeln, mit dem Lächeln der Blumen und den
Tränen des Himmels auf und
davon.
Wir waren Freunde der Wolken,
in Decken des Regens gehüllt
gefiel uns der heftigste Wind und das stürmischste
Meer, mutig genug, neue Wege zu
gehen lebten wir unbeschwert fröhlich und
frei.
Bezug: Anne Weiss
“Erinnerungen des Schneekönigs“ (1982)