221 Nachtrag: Filmmusik
Brokeback Mountain
In den Reigen populärer Musik (vgl.den Blogbeitrag Nr.220) passt auch das kurze YouTube-Video mit der Titelmelodie zum Brokeback Mountain-Western. Eine Melodie, wie man sie sich nicht einfacher vorstellen kann und die dennoch gleich drei wesentliche Strukturmerkmale von Musik enthält und wiederholt: Eine fast nur stufenweise aufsteigende fünftönige Melodie versucht einen Höhepunkt zu erreichen, zu halten, und fällt doch immer wieder zurück, ja wird sogar mit einem kleinen rhythmischen Punktierungs-Stoß nach unten zurück gedrückt. Die Gipfelbesteigung misslingt.
Die melancholische Deszendenzmelodik berührt beim Absteigen die typische Pop-Kadenz (S nicht vor, sondern nach der D) mit dem doppelten Quartfall im Bass, wie sie sich in der PopMusik durchgesetzt hat, um die traditionelle Kadenz (S vor D) zu umgehen. Das langsame und wie die beiden Protagonisten nur zögerlich sich öffnende Gitarren-Intro wird immer voller und reichhaltiger instrumentiert und mündet doch nur in einer lapidaren Modal-Harmonik ganz ohne Dissonanzen, wie sie in der Country&Western-Music bekannt ist. Mit ihrer auf-und absteigenden Melodie malt die Musik quasi auch allegorisch wie in der Barockmusik einen Gegenstand in die Welt, in unserem Zusammenhang einen Berg, eben den Brokeback Mountain, der im menschenleeren Kitsch-Video, muss man wohl sagen, immer wieder in seiner ganzen Schönheit und Pracht gezeigt wird.
In eben dieser grandiosen Gebirgslandschaft in den USA und vor noch nicht so langer Zeit, im Jahre 1963, spielt sich die Liebesgeschichte der beiden Männer ab.
Der Film des chinesisch-amerikanischen Regisseurs Ang Lee ist denkwürdig im Sinne von bedenkenswert nicht wegen seiner Liebesthematik, sondern weil er wieder einen Blick auf das Modell Familie, diesmal mit einem selbstkritisch US-amerikanischen Blick, wirft. Man kennt ihn solcher Art eher von den Engländern. Und dieser Blick bestätigt nur immer wieder die Tatsache: Wenn man kein Geld, keinen Job, keine geeignete Wohnung hat, ist es unverantwortlich, eine Familie zu gründen. Wenn man dazu auch noch ohne eigene Familie hat aufwachsen müssen, quasi schon in der frühen Kindheit Leid und Entbehrungen hat erleben müssen, stehen die Chancen noch viel weniger günstig für ein gelingendes Leben.
Wenn einem dann auch noch das Schicksal unpassende, aber ebenso gebeutelte Ehefrauen an die Seite stellt, die infolge von Überlastung ebenfalls nicht in der Lage sind, eine Familie zusammen zu halten, weil auch sie den ganzen Tag lang nur hart arbeiten müssen, keine Kraft, keine Zeit haben, die Kinder zu betreuen, zu erziehen, dann bleibt vielleicht manchen Männern tatsächlich keine andere Möglichkeit, als sich Gleichgesinnten mit gleichen Erfahrungen anzuschließen und es einmal – eben anders und ohne Familie zu versuchen. Im Film darf Mann dann reichlich naiv in die Berge ziehen, Schafe hüten und eine zögerliche gleichgeschlechtliche Zweisamkeit kennenlernen bzw. ausprobieren.
Beide Männer scheitern in ihrer Ehe und in ihrer Liebe. Der eine geht schließlich auf den Strich, wird endlich sogar erschlagen. Der andere melancholisiert vor sich hin in seinen traurigen Erinnerungen.
Der Film, Oscarpreisträger von 2005 und fälschlicherweise als Schwulenfilm schnell vereinnahmt, macht keine Werbung für die Homosexualität. Er ruft aber dennoch einige Ideen der Männerbewegung der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts wieder wach: Dass es oft ein Kommunikations-Defizit unter Männern gibt, dass wir uns nicht gut und ehrlich aussprechen können; dass Zärtlichkeit und körperliche Begegnung manchmal auch Gewalt, Kraft und Aggression einschließen können; dass Abenteuer und Neugierde zu unserem Leben und Lieben gehört; dass Männer eben anders sind als Frauen und das ist gut so (1).
Diese Art von Männerbegegnung, von Männerbeziehung ist so alt wie ich das Männergeschlecht selbst. Früher hat man es einfach nur Freundschaft oder Kameradschaft genannt. Die sexuelle Komponente war nicht unbedingt notwendig, auch wenn sie je nach Charakter und Zeitalter nicht ausgeschlossen blieb. Mit dem Begriff Homosexualität, einer Erfindung des Behaviorismus und der Sexologie vor noch gar nicht so langer Zeit (Freud sprach noch von Inversion) verkürzten sich Männerbeziehung und Männerfreundschaft in manchen Ländern unserer Welt (nicht in allen) jedoch sehr stark auf die sexuelle Komponente und sozialpolitisch gesehen auf einen Nebenschauplatz, den die Homosexuellen-Bewegung letztlich zu verantworten hat. Eine unsexuelle Männerfreundschaft und -Liebe scheint demnach fragwürdig.
Der Film ist also eher eine Warnung vor Familienbildung und der Lebensform Kleinfamilie, als dass er die Männerliebe und Freundschaft als vorteilhaft und nachahmungswert hinstellen würde. Weg also vom Kampfplatz Homosexualität und hin zum neu-alten Problemthema: Familie.
Deshalb trifft der Vorwurf konservativer amerikanischer Kinderschutz- und Familienorganisationen durchaus zu (zitiert in Wikipedia): Dass der Film mit perfekten filmischen Mitteln die Sympathien auf die beiden Protagonisten lenke, dass die beiden Cowboys Ehebruch gegenüber ihren Frauen begingen und dies in dem Film durch die Fokussierung auf die Gefühle der beiden Männer in den Hintergrund gerate; dass die Propagierung eines homosexuellen Lebensstils einem Massenpublikum die Gleichwertigkeit einer schwulen Beziehung mit einer heterosexuellen vor Augen führe; dass dies eine Gefährdung des American Way of Life und damit auch eines christlich geprägten Ideals von Ehe und Familie darstellen würde. – Dass aber dieser Ehebruch und die schwierigen Familienverhältnisse durch die prekären gesellschaftlichen Verhältnisse fast schon erzwungen werden, wird nicht berücksichtigt.
Wie dieses Dilemma des Zusammen- und Familienlebens, das in den letzten Jahren auch weite Teile der Mittelschicht, wenn nicht sogar der Oberschicht hierzulande erreicht hat, wie es familienpolitisch, technokratisch oder in welcher Form auch immer zu lösen wäre, das bleibt weiterhin eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit und Zukunft. Und es zeigt wieder einmal den fragwürdigen Zustand eines ökonomischen Systems, welches alle menschlichen Kräfte fast zwanghaft bindet, binden muss mit nur einigen wenigen Dollars als Lohn, damit mühsam genug ein Leben so unglücklich gelebt und Kinder so vergeblich aufgezogen werden müssen.
1 Die Männerbewegung der achtziger Jahre hatte zwar eine gewisse Schnittmenge mit der homosexuellen Emanzipationsbewegung, verstand sich jedoch nicht gegen die Frauen oder von den Frauen weg gerichtet, im Gegenteil. Sie war eine Reaktion auf den forcierten Feminismus, der auch die Männer zur Selbstreflexion über die eigene Position und (Un-)Möglichkeit sich selbst und den Frauen gegenüber getrieben hat. Mit dem Ergebnis, dass sich mittlerweile auch die Frauenbewegung in ihren Vorbehalten, Missverständnissen und Einsprüchen zurückgenommen hat und sich die beiden Geschlechter vielleicht doch auf einer eher gleichgerichteten Ziel-Mitte wieder finden können.
Brokeback Mountain Theme Song(Extended) 6.45’, Video veröffentlicht am 8.9.2012