224 Über Horaz (1)
Horaz, eigentlich Quintus Horatius Flaccus, war der Goethe des römischen Altertums. Er war klassisch im doppelten Sinn des Wortes: Einmal als ein Meister der Sprach-Kunst seiner Gegenwart, welche die Zeiten überdauern konnte. Zum andern in seiner Innovationskraft bei der Rückbesinnung auf historische Vorbilder, die nicht zuletzt bis ins alte Griechenland zurück reichten. Horaz verkehrte in den höchsten Kreisen am Kaiserhof, obwohl er doch als junger Mann im Bürgerkrieg gegen den 21jährigen Oktavian auf der Seite des Caesarmörders Brutus noch dessen erbitterter Gegner gewesen war. Octavian persönlich buhlte später heftig um seine Freundschaft. Als Kaiser Augustus wollte er ihn nach der Begnadigung sogar zu seinem Privatsekretär machen – vergeblich. Persönliche Freiheit ging Horaz über alles.
Finanziell hatte er ab seinem 40.Lebensjahr dank der Bewunderung von Maecenas, einem reichen Gönner und Fürst etruskischer Herkunft, der sich ebenfalls der Freundschaft und Protektion von Augustus erfreuen konnte, ausgesorgt. Maecenas hatte ihm ein Landgut in den Sabiner Bergen geschenkt, das aus fünf Gütern, das heißt unterschiedlichen Häusern samt jeweils Verwalter mit Familien und Sklaven bestand. Dieses befreiende Leben auf dem Land in Abgrenzung zur hektischen und unruhigen Großstadt war dann auch eines der Leitmotive des Schriftstellers, welche die Weltliteratur, etwa mit dem locus amoenus-Motiv, beeinflussten.
Horaz war schon zu seiner Zeit klassisch auch im engeren Sinn des Wortes: Er hatte die griechischen Formen und Metren in der zeitgenössischen römischen Literatur und Dichtkunst reaktiviert – die griechische Vergangenheit, wie Tradition überhaupt, war immer noch hoch angesehen in der Welthauptstadt. Griechische Philosophie, Kunst und Kultur bestimmten den Alltag. Der gebildete Römer musste zweisprachig, belesen und philosophisch gebildet, das heißt auch Anhänger einer der führenden weltanschaulichen Schulen sein.
Horaz war ein Aufsteiger. Als Sohn eines Freigelassenen war er von der Welt der Sklaven nicht weit entfernt, wohingegen Adel und Oberschicht ihm lange Zeit verschlossen blieben. Als Soldat in hoher Funktion, obwohl er nach eigenen Angaben ungeeignet dazu war, wurde er nach der Niederlage im Bürgerkrieg mit dem Entzug aller seiner geerbten Güter bestraft – er stand also erst einmal mittellos vor dem Nichts. Während der Adoptivsohn Caesars und Sieger Oktavian die neu gewonnenen Güter an die Kriegsveteranen als Lohn und Beute wie üblich verteilte.
Horaz beschäftigte sich nicht nur mit Mythologie und Geschichte in seiner Kunst, sondern auch mit Politik und dem täglichen Alltagsleben. Seine Kritik daran blieb aber dezent und zurückhaltend. Seine Sprache war immer der Kunst, der Dichtkunst verpflichtet – selbst alle seine Satiren sind in griechischen Metren, zuweilen in Dialogform, die literarischen Briefe sogar in Hexametern geschrieben. Themen waren neben dem Alltagsleben und griechischer Mythologie ebenso auch Philosophie und Staatskunst; insbesondere das Wirken des allmächtigen und gefeierten Kaisers Augustus stand im Mittelpunkt. Aber auch der Todesgedanke, die Vergänglichkeit des Lebens, wie sie später von Seneca im Zeitalter Neros ausführlich thematisiert worden ist, klingt an: Carpe diem – Nütze den Tag, das augenblickliche Wohlleben und deine Gesundheit! – Es kann schnell anders sein.
Weniger beschäftigte ihn die Dekadenz, wie sie nur wenige Jahrzehnte später Martial oder Juvenal, insbesondere auch die beiden Historiker Tacitus und Sueton anprangerten (vgl. im Blog die Beiträge über Tacitus und Sueton). Horaz schildert auch keine menschlichen Leidenschaften oder Exaltationen. Seine Kunst war ebenso wie die des fünf Jahre älteren befreundeten Dichterfürsten Vergil eben Ausdruck einer langjährigen und gefeierten inneren Friedenszeit in Rom, der Pax Augusta. Selbst Attentats-Vorbereitungen konnte Augustus in seiner Allmacht großmütig übersehen und verzeihen.
Die Werke von Horaz sind alle überliefert, sogar wie er es wollte “aus letzter Hand“. Sie haben als Schullektüre bis weit über die Renaissance hinaus das Leben und die Moral vieler junger Menschen bestimmt, da sie gut mit der christlichen Moral zusammen gingen. Übersetzungen der lateinischen oder auch griechischen Literatur sind erst in den beiden letzten Jahrhunderten notwendig geworden. Noch bis ins frühe 19.Jahrhundert hinein war das Lesen der Lektüre im Original eine Selbstverständlichkeit.
Die Übersetzung der vorliegenden Artemis-Ausgabe aus dem Jahre 1985 von Hans Färber ist sehr frei gehalten und auch besser lesbar. Bei den Satiren wird auf das Metrum nicht mehr geachtet ähnlich wie bei den meisten Juvenal-Übersetzungen, während die starre DDR-Ausgabe fast schon unlesbar ist.
An Horaz ist ebenso wie auch an seinem Freund und Zeitgenossen Vergil tatsächlich nichts auszusetzen. Er ist vernünftig und weise; im Alter besonnen und nachsichtig. Sein jugendliches Aufbegehren bleibt immer gemäßigt und anders als das des nur eine Generation älteren leidenschaftlichen Catull. Heftige Ausbrüche oder Obszönitäten fehlen ganz. Er war unverheiratet und vergnügte sich der Zeit entsprechend mit Männern wie Frauen, mit Knaben und Mädchen. Kaiser Augustus nannte dieses ehrenwerte Mitglied seines Freundeskreises befremdlich genug mit Kosenamen, in der Biografie Suetons nachzulesen, seinen “saubersten Penis“ (purissimum penem) oder auch “freundlichstes Menschlein“(1).
Horaz plädiert für einen vernünftigen und maßvollen Lebensgenuss, er ist ein Mittler zwischen Eros und Bacchus. Er schreibt über gelungene Mahlzeiten und mehr noch vom Bechern in geselliger Runde. Mit „hoch geschürzten” Bediensteten männlichen Geschlechts („Mundschenk“), Flöten-Musikantinnen und Tänzerinnen, die bei einer Cena, einem üppigen Gastmahl, für die erotische Stimulation und sexuellen Reize schon seit alters her zuständig waren. Immer wieder äußert er sich positiv über sein Leben auf dem Lande und auf seinem geliebten Landgut, das ihm als Flucht- und Ruhepunkt dient.
Sein Lebenswandel und die naturgemäße Lebensführung waren, zumindest in der Form, wie sie überliefert ist, vorbildlich. Für römische und auch unsere gegenwärtigen Verhältnisse war es eine gelungene Mischung aus Lebensgenuss, Muße und Verzicht, staatsbürgerlicher Verantwortung und bis hin zu einer ruhigen Abgeklärtheit im Alter, die gleichwohl auf gesellige Runden und Trinkgelage nicht verzichten wollte.
Der Poet verbindet in seiner moralischen Integrität also Elemente der zeitgenössischen philosophischen Schulen Epikurs (Rückzug in die private Geborgenheit) mit denen der Stoa (Freiheit von Leidenschaft und Verwirrung, Pflicht und Verantwortung Familie und Staat gegenüber) so überzeugend, dass sie auch heute noch für den Großteil der Menschheit, kann man wohl sagen, immer noch praktizierbar und akzeptabel sein können. Eben die Mitte zu finden ganz im Sinne von Aristoteles.
Dennoch kommt er mir gerade in dieser seiner historisch richtig oder falsch übermittelten Vernünftigkeit manchmal eher einseitig, oft auch langweilig vor. Seine Texte, selbst die noch am lesenswertesten Briefe, sind mir in vieler Hinsicht – wie auch bei dem Zeitgenossen Ovid – zu sehr gefüllt mit Wissen und Können. Infolge ihrer kunstvollen Struktur und griechischen Metrik, die auch für die Römer neu und ungewohnt war, sind sie oft schwierig zu verstehen. Nur selten gibt es emotionale Ausbrüche, die den Leser mitreißen könnten. Stattdessen immer zustimmendes Nicken über soviel Lebensweisheit und bewunderndes Staunen über so viel Kompetenz.
Das Werk drückt tatsächlich Ruhe und Sicherheit eines ruhigen und sicheren Zeitalters aus, das gleichwohl nur etwa vierzig Jahre währte.
Horaz starb nur wenige Monate nach dem Tod seines Gönners Maecenas, wie er es sich gewünscht hatte. Augustus überlebte diesen seinen illustren Freundeskreis, zu dem noch etliche weitere berühmte Schriftsteller, etwa der Dramendichter Tibull, gehörten, um noch fast 20 Jahre.
Dann begann die Zeit der Terror-Kaiser, und es ging wieder wie gewohnt drunter und drüber im römischen Reich und Militärstaat.
1 Augustus war als Jüngling in Kriegszeiten sehr erfolgreich und im Alter von 16-18 Jahren der ständige Begleiter und Geliebte des fast vierzig Jahre älteren Caesar. Er wurde später dessen Adoptivsohn, rächte in einem heftigen Bürgerkrieg seinen Vater, nahm dabei Ciceros Ermordung in Kauf und begründete nach Caesars Tod das monarchistische Staatssystem, welches die römische Republik ablöste.
Mit 22 war er bereits der mächtigste Feldherr der Welt, ließ Caesars siebzehnjährigen Kleopatra-Sohn Caesarion, seinen direkten Thron-Konkurrenten, skrupellos hinrichten und war mit 32 Jahren unangefochten Alleinherrscher bis zu seinem Lebensende mit 77 Jahren.
Teil 2: Textbeispiele aus den Oden, Satiren und Briefen von Horaz