225 Horaz (2)
Zwei Menschen waren bestimmend im Leben des Horaz: Einmal Kaiser Augustus, der ihn, einen früheren Feind im Krieg, sogar in den engsten Freundeskreis lebenslang aufgenommen hatte und immer wieder um seine schriftstellerische Mitarbeit warb, auch wenn Horaz nicht darauf eingegangen ist. Die andere Person war der reiche Fürst Maecenas, dem Horaz ab dem 40. Lebensjahr ein finanziell unbeschwertes Leben verdankte. Beiden widmet er die Erstausgaben seiner Kunst. An erster Stelle steht Maecenas. Dessen Zuneigung und Bewunderung war Horaz besonders wichtig; nur dann ist er stolz und zufrieden als Künstler. Sein Oden-Band beginnt so:
Zueignung
Uralt edeln Geschlechts fürstlicher Spross, Maecen,
Du mein Gönner, mein Hort, du mein süßer Stolz
….
Ja, reihst du mich dem Kreis lyrischer Sänger ein,
O dann trag’ ich das Haupt bis zu den Sternen hoch!
An zweiter Stelle der Widmungsträger steht Octavian, der spätere Kaiser Augustus. Dieser hatte sich beklagt, dass er nicht genug Zuneigung und Lob von Horaz erhalten würde: „Wisse, ich bin aufgebracht, dass du in den meisten deiner Satiren nicht vorzüglich mich zum Gesprächspartner wählst; oder fürchtest du, deinen Ruhm bei der Nachwelt zu beeinträchtigen, wenn man sieht, dass du mein Freund bist?“– Immer wieder wird er deshalb von Horaz mehr oder weniger deutlich in seine Texte eingebaut. Sehr rituell und förmlich beginnt zum Beispiel auch das zweite Buch der Epoden (Nr.1) mit einer Widmung (vergleiche auch im Blog Senecas „Auftritt“ vor seinem Schüler Nero):
Da du allein so viele und große Geschäfte auf dich nimmst,
schützest mit Waffen das italienische Land
und hebest die Sitten, durch das Gesetz förderst du sie,
Versündigung wär’s am Gemeinwohl, stehlte ich dir
mit langem Gespräch die Arbeit, mein Kaiser.
In dem folgenden Widmungsgedicht aus den Oden wird Oktavian/Augustus sogar von Horaz vergöttlicht, obwohl diese Apotheose der Kaiser, vor allem der lebenden, erst 100 Jahre später im römischen Reich eingesetzt hat. Dennoch stellt er ihn quasi als Gott bereits jetzt, in jungen Jahren, weil er siegreich war und dem römischen Volk so lange Frieden gebracht hat, zu den Standbildern, den Laren, zu denen das Volk täglich gebetet und geopfert hat.
Im Text wird Augustus mit Apollo verglichen, dem Gott der Schönheit und Kunst. Was Oktavian/Augustus wohl sehr geschmeichelt haben wird. In Standbildern zeigt er sich oft als ein Schönling wie Apollo, aber auch kräftig in voller militärischer Montur und bodygebildet wie Mars. Diese beiden Gestalten scheinen tatsächlich in der Psyche Octavians und vieler Männer seiner Zeit dominierend gewesen zu sein. Immerhin war er in jungen Jahren der Geliebte Caesars gewesen und hatte auch später noch etliche Abenteuer gleichgeschlechtlicher Art, was ihm Sueton zufolge auch im Senat nicht nur von Marcus Antonius, seinem späteren Todfeind im Bürgerkrieg, vorgeworfen worden ist (er soll sogar für seine sexuellen Dienste im spanischen Krieg vom Legaten Caesars, Aulus Hirtius, Geld angenommen haben).
An Oktavian
Welche Gottheit ruft bei des Reiches Niedergang
jetzt das Volk an? Durch welches Gebet erweichet
heiliger Jungfrauen Chor die der Lieder
nicht mehr achtende Vesta?
Wen erwählt sich Jupiter, dass er sühne
diese Greuel? Komm endlich, o komm,
wir flehen, mit Wolken umkleidet die lichten
Schultern, Sühner Apollo!
…
Oder weilst du schon, der geflügelte Sohn
der heiligen Maja, hier in Gestalt des Jünglings
unter uns, du, dem es gefällt zu heißen
Rächer des Caesar?
O so kehr erst spät zum Olymp zurück
und wohne lang und froh bei dem römischen
Volk, zürnend unseren Freveln entschwebe nicht
zu schnell in die Lüfte;
Möge hier vielmehr der Triumphe Prachtzug,
hier der Volksgruß “Vater und Fürst” dir wert sein,
ungestraft kein Feind, wo du gebietest,
schwärmen dürfen, mein Kaiser!
(Oden I Nr.1)
*
Sehnsucht nach Frieden
Kehre heim!
Diese Aufforderung bedeutet nicht nur, dass Kaiser Augustus mit seinen Legionen wieder in die Heimat zurückkehren soll, sondern dass damit auch endgültig Frieden herrscht. Oberflächlich gesehen wird die Nähe eines Menschen gewünscht, im tieferen Sinne wird aber damit auch von Horaz die große Sehnsucht nach Frieden für das Land ausgesprochen.
Sag, wo weilst du so lange, gütiger Götter Spross,
du, des Romulusvolks sicherster Hort und Schirm?
Du verhießest dem Rat würdiger Väter(dem Senat)
doch frühe Heimkehr – so kehr denn heim!
…..
Leuchte gnädig aufs Neue, gütiger Fürst, dem Land!
Hat erst wieder dein Blick, milde, dem Lenze gleich,
deinem Volke gelacht: froher vergeht der Tag,
schöner strahlet der Sonne Glanz.
Die Eltern wünschen, dass der Sohn gesund vom Kriegsdienst heim kehrt, Bauern und Fischer können in Ruhe ihrer Arbeit nach gehen.
Auch Sitte und Moral sind wieder im Lot: eine allgemeine Keuschheit verhindert Sexismus (schmutzige Gier), Frauen begehen keinen Ehebruch, ihre Kinder sind ehelich, denn man erkennt in ihnen den Vater. Dies war ganz wichtig im alten Rom, denn nur diese Kinder erhielten das begehrte römische Bürgerrecht und waren erbberechtigt; auch das Gesetzeswesen, heute sagt man Rechtsstaat dazu, mit Schuld und Sühne funktioniert:
Buhlerwesen befleckt nirgends das keusche Haus,
Sitte hält und Gesetz schmutzige Gier im Zaum,
Müttern dienen als Zierde Kinder, dem Vater gleich,
Strafe folgt auf dem Fuß der Schuld.
Die Gefahren an den Außengrenzen des Reiches sind gebannt, Zufriedenheit und Glück herrscht überall:
Froh dann kehrt der Mann auf dem Lande
wieder zum Wein zurück und lädt dich als Gott
noch zum Nachtisch ein, stellt dein vergöttertes Bild zu den Laren.
Schenke, gütiger Fürst, dauernden Frieden nun dem römischen Volk!
So flehen wir nüchtern früh am Tag, flehen wir trunken dir spät,
wenn Phöbus ins Meere taucht.
Bemerkenswert ist der poetisch-allegorische Bruch am Schluss: Nach der Bitte um Frieden, was die Rückkehr des Kaisers bedeuten würde, folgen die Trinkgelage bis spät in die Nacht hinein (trunken), wenn der Sonnengott Phöbus Apollo wieder ins Meer untertaucht.
(Oden IV, Nr.5)
*
Reisen
Horaz ist einer der ersten Schriftsteller, der eine Reiseerzählung verfasste. Das Reisen war noch – anders als gegenwärtig – bis in die Neuzeit hinein ganz unüblich. Zwar waren die Straßen für das Militär gut ausgebaut. Aber Einzelreisende mussten mit vielerlei Gefahren rechnen. Poststationen zum Auswechseln der Pferde und zum Übernachten wie im Mittelalter gab es nicht. Stattdessen war man verpflichtet, Reisende einer “Behörde”, also Staatsbeamte, bei sich aufzunehmen.
Horaz befindet sich im Gefolge von Maecenas, der von Augustus den Auftrag hat, mit Marcus Antonius, dem Mitregenten im Triumvirat nach Caesars Tod, jetzt aber Bürgerkriegsgegner, zu verhandeln. Überschwänglich kommt seine Freude zum Ausdruck, den Herzensfreund Vergil wieder zu sehen. Und diese innige Freundschaft bleibt tatsächlich lange bestehen, solange noch mein Sinn gesund – also bis ins Alter hinein.
Hier wollte mein edler Gönner Maecenas eintreffen und mit ihm Coccejus, beide in hoch wichtiger politischer Sendung, beide schon geübt, entfremdete Freunde zu versöhnen. Hier legte ich schwärzliche Salbe auf meine entzündeten Lidränder.
Gerade da kommt Maecenas an, mit ihm Coccejus und zugleich Fontejus Capito, ein Mann von feinstem Schliff, Antonius’ Freund, wie kein zweiter ihm nahestehend.
Der folgende Morgen leuchtet uns zum Tage schönste Freude, denn in Sinuessa schlossen sich Plotius, Varius und Vergil uns an, FreundesSeelen ohne Fehl und Falsch: edlere trug die Erde nimmer, und niemand ist ihnen dankbarer ergeben als ich. War das ein zärtliches Umarmen, ein fröhliches Begrüßen! Nichts achte ich gleich dem Herzensfreunde, solange noch mein Sinn gesund. – Dicht an der campanischen Brücke liegt ein bescheidenes Gehöft, das gab uns Obdach.
Von da ging’s nach Capua, und zeitig konnten die Maultiere absatteln. Zum Sportplatz fühlte sich Maecenas gezogen, zum SchlummerBett Vergil und ich; LidEntzündung und Magenverstimmung will sich schlecht mit dem Ballspiel vertragen.
Satiren I Nr.5
*
Leben auf dem Lande
Das Leben in der Hauptstadt wurde Horaz immer wieder zu einer Last, der er sich nur durch Flucht entziehen konnte. Er genoss zwar seine Beliebtheit und das Ansehen am Kaiserhof, fühlte sich aber immer wieder auch davon bedrängt. Unklar ist auch die nicht unproblematische Beziehung und Abgrenzung zu seinem Sponsor Maecenas, dem er das alles verdankte, und zu Augustus, den er immer wieder den Wunsch abschlagen musste, sein Privat-Sekretär zu werden.(Über die Angst von Augustus, zwar ein guter Staatsmann und Militär, aber kein Künstler und Intellektueller sein zu können, später).
Das war so meine Sehnsucht und größter Wunsch: ein Ackergut auf nicht zu großem Raume, dazu einen Garten und dem Haus benachbart eine frisch rinnende Quelle und oben am Bergeshang ein Fleckchen Wald. Reicher und schöner ist, was die Götter mir bescherten:
Denk dir von roten Kirschen, von Schlehen die Büsche üppig prangend; SommerEichen und SteinEichen, die dem Herdentier Frucht in Fülle spenden, und Schatten in Fülle dem Besitzer. Glauben möchte man, die grüne Stadt Tarent sei in die Nachbarschaft gezaubert. Dazu eine Quelle, reich genug, um dem Flüsschen ihren Namen zu geben. Kühler und reiner zieht nicht der HebrusFluss durch die griechischen Lande.
So fließt die Quelle heilsam für alle Krankheiten, heilsam für Kopf und Leib. Dieses verborgene Plätzchen, dieses traute und, wenn du nun mir glaubst, gar liebliche Heim verbürgt dir mein ungestörtes Wohlsein inmitten der krank machenden SeptemberSchwüle.
(Briefe l, Nr.16)
*
Essen
Der römische ArbeitsTag eines Arrivierten mit Bürgerrecht begann mit dem Sonnenaufgang, also immer wieder wechselnd in der Früh, um der Hitze zu entgehen. Er endete in der Mittagszeit, der Stunde des Pan, die Zeit der Schäferstündchen, und mit einer kleinen Zwischenmahlzeit. Dann ging man jeden Tag ins Thermalbad zu Sport, Spiel, Sauna und Tratsch. Gegen 16h begann die Hauptmahlzeit, mehr oder weniger lang.
Viel Raum nimmt bei den meisten römischen Autoren die Beschreibung von Mahlzeiten und Speiserezepten ein. Auch Horaz vertieft sich mit großer Sorgfalt in Details, die sogar noch unser luxuriöses Abendland in den Schatten stellen können, dem mittlerweile ebenfalls die ausgefallensten Delikatessen aus aller Welt zur Verfügung steht. – Man beachte: Auch das Nachfolgende ist in griechischen Metren und Gedichtform im lateinischen Original geschrieben!
Kommt dir am Abend unerwartet doch ein Gast ins Haus, so soll das Kochhuhn sich nicht zäh dem Gaumen widersetzen. Drum merke dir: Im FalernerMost musst du das Tier ertränken, das gibt ein zartes Fleisch.
Der Pilz gedeiht am besten auf der Wiese, den anderen Pilzen traut man kaum.
Wer stets sein Frühstück mit des Maulbeerbaums schwarzen Früchten schließt, die er früh morgens vor der heißen Sonne pflückte, der bewahrt sich auch im Sommer die Gesundheit.
Mit kräftigem FalernerWein pflegte Aufidius seinen HonigTrank zu mischen – ganz falsch, denn für den leeren Magen passt nur Mildes: mit mildem Trank magst du dir drum die Därme spülen.
Miesmuscheln, andere billige Muschelarten und kleinblättriger Sauerampfer räumen jedes Hindernis beiseite, wenn du an Verstopfung leidest, wobei der weiße KoerWein nicht zu vergessen ist.
Schlüpfrige Muscheltiere wachsen, wenn der Mond sich füllt. Doch nicht in jedem Meer gedeiht die edele Ware: besser als Neapels Purpurschnecke ist die Riesenmuschel vom LucrinerSee, die Auster ist vortrefflich bei Circeji, der Seeigel bei Misenum, und Kamm- Muscheln, die mit offener Schale man serviert, sind Ruhm und Stolz der üppigen Stadt Tarent.
(Satiren II, Nr.4)
A propos Maulbeerbaum: An der Stuttgarter Marienkirche habe ich dank der guten Beobachtung von Behnaz Ramati bereits schwarze Maulbeerfrüchte kennenlernen können. Und im Rosensteinpark gibt es sogar weiße!
Ich verwende folgende Ausgaben: Die Tusculum-Sammlung im Artemisverlag von 1985 mit Hans Färber als Herausgeber kommt etwas schwerfälliger daher als die DDR-Ausgabe von 1972 in der trotz aller Werktreue doch geschmeidigen Neuübersetzung von Manfred Simon.