226 Horaz (3)
Verliebt
Auch oder gerade der Friedensstaat von Augustus hatte bevölkerungspolitisch mit erheblichen Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Kinder wollten einfach nicht mehr geboren werden! Darüber gibt es in der Geschichtswissenschaft eine intensive Diskussion. Man vergleiche Sparta: Dieser Staat war im dritten Jahrhundert v.Chr., an seinem Ende, auf nur noch ein Drittel seiner Bevölkerung geschrumpft (1). Man verbindet dieses Phänomen nicht nur mit verlorenen Schlachten, die immer einen hohen Blutzoll gefordert haben, sondern auch mit der staatlich geförderten Homosexualität. Alle wehrfähigen und wehrpflichtigen Männer waren in Lagern kaserniert. „Die ganze Stadt wirkt wie ein riesiges Internierungslager“, so äußerte sich relativ befremdet ein zeitgenössischer Beobachter aus Athen. Zu ihren Frauen durften die Soldaten nur dann und wann; diese mussten allein und zusammen mit Sklaven außerhalb der Stadtmauern Haus und Hof hüten.
Auch in Rom war Homosexualität ein weithin akzeptiertes Thema, das man aber nur unterschwellig, vielleicht sogar weil selbstverständlich, behandelte. Augustus persönlich setzte mit einer neuen Gesetzgebung, die fast schon die Verpflichtung aller Bürger und Freigelassenen zur Ehe einschloss, ein Zeichen, um Nachkommenschaft per Gesetz zu erzwingen (er selbst konnte nur mit Adoption seine Genealogie festigen). Vergeblich. Das sexuelle Bedürfnis der Männer konnte jederzeit und ohne größere Probleme mit Sklaven beiderlei Geschlechts befriedigt werden. Uneheliche Kinder wurden dann einfach ausgesetzt (wofür es sogar einen Markt gab).
Horaz liebte Männer wie Frauen gleichzeitig; auch die geregelte Prostitution fand seine Zustimmung, die er immer noch besser fand als den Ehebruch. In der zeitgenössischen Literatur standen nicht Mord und Totschlag, Diebstahl und körperliche Auseinandersetzung im Zentrum, sondern hauptsächlich der Ehebruch. Das war ein Kapitalverbrechen, das bei Frauen streng und bei Männern weniger streng bestraft wurde.
Doch selbst Caesar war zu seiner Zeit ein passionierter Ehebrecher: Es scheint zum guten Ton als Mann gehört zu haben, gegen dieses Gesetz zu verstoßen, sich aber dabei nur nicht ertappen zu lassen.
Horaz hat nicht viele reine Liebesgedichte geschrieben. Ganz im Gegensatz etwa zu Catull oder den Zeitgenossen Ovid und Tibull, die gar nicht davon ablassen konnten. Aber auch ihn hat die unglückliche Verliebung dann und wann gepackt. Man sieht auch bei ihm, wie selbstverständlich Frau oder Mann gleichzeitig geliebt werden konnten in dieser kriegerisch-phallokratischen Männerwelt, die sogar den Penis als einen Gott mit Standbild (Priapus) anbetete und in der es eher nur Sex und nicht Liebe im christlichen Agape-Sinne gab.
Lyciscus
Nicht mehr wie früher ist mir jetzt, mein Pettius,
Verse zu machen Genuss: zu schwer traf mich der Liebe Pfeil von Amor,
der vor allen anderen mich befällt,
bald für ein Mädchen und bald für zarte Knaben zu erglühn.
Seit für Inachia ich zu schwärmen aufgehört,
streift der Dezember vom Wald zum dritten Mal
der Blätter Schmuck.
Zum Stadtgespräch – ich schäme dieser Schande mich –
ward ich im Munde des Volks. Fluch jenen FestGelagen,
wo mein Schmachten und mein Schweigen, jeder Seufzer, ach,
tief aus der innersten Brust, mein liebeskrankes Herz verriet!
…
Jetzt hält Lyciscus, dessen Reiz – er rühmt sich keck –
jegliches Mädchen besiegt, mit Liebesbanden mich umstrickt,
aus denen nicht der Freunde
offenherziger Rat mich zu erlösen vermag,
nicht bittere Kränkung, nein, nur eins, nur neue Liebe,
sei’s ein Mädchen blendend weiß oder ein
schneidiger Knabe umwallt von langer Locken
Schmuck.
Epoden II S.239
Ehebruch war das Hauptvergehen in der Literatur der damaligen Zeit. Aber gerade das Verbotene scheint besonders anziehend gewesen zu sein. An anderer Stelle plädiert Horaz sogar für den geregelten Bordellbesuch, statt in die Falle des Ehebruchs zu geraten.
Im Übrigen muss man sich die Lebensform und Mode der Zeit eher wie im heutigen Arabien vorstellen mit lang wallenden weißen Gewändern und Ehefrauen in den Hinterzimmern des häuslichen Palastes, während einzig nur die Männer (und hier auch nur die wenigen mit Bürgerrecht!) Kultur, Politik, “Demokratie”, Volksversammlung, Senat, Gericht und Macht repräsentierten und meist auch nur unter sich blieben – in jeder Hinsicht.
Reizt dich Verbotenes? Macht gerade das dich toll,
was des Gesetzes Wall beschützt?
Wie viele Hindernisse stehen dir da im Weg:
die Sänfte und ihre Begleiter, daheim die Sklavin zum Frisieren
und die Frauen, die Gesellschaft leisten;
das lange Kleid, das bis auf die Knöchel reicht,
der Mantel drüber und so vieles,
was dir den unverhüllten Anblick ihrer Reize neidisch verwehrt.
…..
Ist so deine Liebe? Was dir bequem zur Hand liegt,
das verschmähst du, was dich flieht, begehrst du heiß?
Meinst du mit solchen Sprüchen das Herz von Liebespein,
von heißer Leidenschaft und quälenden Sorgen zu entlasten?
Ist es nicht nützlicher zu fragen, welches Maß Natur
der Sinnenlust gesetzt hat, worauf sie ohne Not,
worauf sie nur mit Schmerz verzichtet,
um so den leeren Wahn vom wahren Kern zu scheiden?
Rufst du nach goldenem Pokale, wenn dir der Durst
die Kehle brennt?
Verschmähst du, wenn dich hungert, alles außer
Steinbutt und Pfauenbraten?
Alle deine Sinne sind in Aufruhr und ein Dirnchen,
ein junger Sklave ist zur Hand, die dir sogleich
zu Willen sind – magst du denn lieber bersten
vor ungestillter Geilheit?
Das ist nicht mein Geschmack.
Mir liegt die Liebe mehr, die rasch bereit
und leicht sich gibt.
…..
Wenn ich nun zu ihrer Rechten liege
und sie sich von der anderen Seite
zärtlich an mich schmiegt, dann ist sie meine Ilia,
meine Egeria; die schönsten Namen geb’ ich ihr und
brauche nicht zu sorgen, dass mitten in der Schäferstunde
der Mann vom Lande heimkehrt, die Tür aufgebrochen wird,
die Hunde bellen, dass das ganze Haus ringsum
von Lärm erschallt, die Frau leichenblass vom Lager aufspringt (…)
Dieser Text aus den Satiren I, Nr.2 endet wieder wie häufig in dieser Zeit mit der direkten Ansprache eines (fiktiven) Zeitgenossen:
Ertappt zu werden ist ein rechtes Pech. Selbst Fabius wird mir das nicht bestreiten.
Doch auch noch mit fünfzig Jahren hat es Horaz noch einmal erwischt.
Ligorinus
Rufst du, Venus, nach langer Rast
mich aufs Neue zum Kampf?
Schone, o schone mein!
Bin nicht mehr, was ich unter der guten
Ciara war: Lass es doch, du des wohligen Amor
grausame Mutter, mich zu beugen,
zu hart bin ich für weichen Zwang,
fünfzig Lenze schon quälst du mich;
geh und folge dem Flehen
schmeichelnder Jünglinge!
…
Doch o weh, Ligurin, was ist es,
dass die Träne sich mir über die Wange stiehlt?
Dass die Zunge, beredt voreinst,
jetzt inmitten des Worts
feige mir stille steht?
Ach, im Traum der Nacht umschlingt jetzt
mein Arm dich und ich folge dir, wenn du fliehst,
durch das grünende Marsfeld hin,
durch das brausende Wasser,
grausamer Knabe du (2)
Oden IV, Nr.1
1 Alexander Rubel, Die Griechen 2012
2 Ûber Knabenliebe vgl.meine Ausführungen schon
im Blog Nr.21.