230 Horaz (5)
Freundschaft
Drei Werte prägten besonders die römische Oberschicht: An erster Stelle das Streben nach militärisch-politischer Macht, die aus der Gewalt des Schwertes und der Körperkraft kam. Ebenbürtig an zweiter Stelle stand die geistige Stärke im (philosophischen) Wissen, Denken und Schreiben (auch das kreative Schreiben und die Redekunst gehörten dazu).
An dritter Stelle stand – das Alter mit seiner großen persönlichen Erfahrungsweisheit.
Die beiden ersten Punkte scheinen offensichtlich zu sein. Der dritte jedoch überrascht: Dass im Gegensatz zu unserer Gegenwart mit ihrem Jugendwahn auch das persönliche Alter wichtig ist, Erfahrung und Lebensweisheit, dass alte Menschen sogar das letzte Wort hatten. Der Pater familias beherrschte als Familien-Oberhaupt seine Großfamilie ohne Gegenrede; er traf wichtige Entscheidungen wie Heirat und Kindesannahme oder -Ablehnung und war hoch geschätzt. Er konnte Sklaven hinrichten lassen (kreuzigen) ohne Gerichtsprozess und Töchter in die Verbannung schicken.
Während von den jungen Menschen gerade nicht viel zu erwarten war. Mädchen warteten auf ihre Ehemänner und wurden bereits mit vierzehn Jahren verheiratet; mit sechzehn konnten junge Männer, muss man wohl sagen, bereits als Feldherr Kriege führen oder später als Kaiser den Staat leiten.
Alter bedeutet aber neben der großen Macht, ja Allmacht der Tradition, die bis in das Gesetzeswerk und die Philosophie hinein reichte, auch die Tatsache, dass man einen langen Stammbaum besitzen musste. Wer sich auf eine lange und ehrwürdige Genealogie berufen konnte, gehörte automatisch zu einer der führenden Aristokraten-Dynastien in Rom. Caesar persönlich hat sich auf Venus berufen, war also ein direkter Abkömmling einer mächtigen Gottheit (ähnlich wird auch in der Bibel die Genealogie von Jesus Christus bis auf König David zurück geführt).
Wie soll man sich das Leben in einem solchen Männer-Staat vorstellen? Was macht der Mann in seiner Freizeit, die es mehr als genügend gab, wenn man nicht gerade im Krieg zu sein hatte (eine Ehre, an welcher Sklaven nicht teilhaben durften), was auch häufig genug vorgekommen ist.
Ich denke immer wieder, man muss sich den Staat und die Stadt Rom vorstellen wie heute Saudi-Arabien. Oder wie das England der Clubs. Nur war die Zulassung zu einem dieser Freundschafts-Clubs in Rom nicht Facebook-leicht, sondern besonders schwierig. Doch war man einmal, fast schon ein ritueller Akt, aufgenommen in die Zahl der Freunde (esse in numero amicorum), dann war das schon fast eine lebenslange Verpflichtung und Absicherung quasi wie in einer Wohngemeinschaft.
Horaz hat acht Monate warten müssen, bis er in den Freundeskreis von Maecenas aufgenommen worden ist. Schließlich hat Vergil den Ausschlag gegeben: Seine Empfehlung führte zur Zulassung.
Was sich genau in solchen Clubs Gleichgesinnter abspielte, ist unklar. Es mag sein, dass es auch zu sexuellen Handlungen dort gekommen ist; aber geschrieben wurde darüber nichts. Andererseits war die Beziehung von Horaz zu Maecenas oder zum Kaiser Augustus immer wieder labil und auch emotional.
Die Frauen blieben meistens zu Hause, hüteten Haus und Hof zusammen mit ihren Sklaven. Sie hatten sich um die Genealogie zu kümmern, auch wenn eine Schwangerschaft immer schwieriger und seltener wurde; die Mühen des Kinder-Säugens erledigten die Ammen. Also vergnügte frau sich mit Ihresgleichen (Ehebruch war zu gefährlich), wahrscheinlich sogar bedeutend heftiger und intensiver als heutzutage, wie bei Petronius oder Juvenal zu lesen ist.
Wenn Frauen jedoch zu solchen Männerrunden zugelassen waren (im allgemeinen nur auf den Cenae, opulenten Abend-Mahlzeiten mit Musik, Tanz und Poesie), waren sie stadtbekannt und gefeiert. Sie wussten allgemein mit einem sehr souveränen und emanzipierten Verhalten die Männer zu verblüffen, zu provozieren, in ihren Bann zu schlagen; zu sexuellen Handlungen kam es mit solchen Hetären jedoch eher nicht.
*
Albus Tibull
Tibull war neben Vergil ein enger Freund von Horaz aus dem Freundeskreis um Maecenas und Augustus. Bis heute ist er ein berühmter Schriftsteller der Augusteischen Friedenszeit. Im Folgenden gibt Horaz eine Personen-Charakterisierung von ihm, wie sie als Ideal der damaligen Zeit uns vorgestellt wird und wie sie auch heute noch Gültigkeit besitzen kann. Dass man jeden Tag wie einen letzten genießen soll, das hat mittlerweile sogar schon die Popmusik als Maxime eines sinnvollen Lebens entdeckt(1). Nur dass es in diesem Fall meist ausschließlich um das Eine geht. Aber wohl in Rom ebenfalls. – Auch Briefe waren bei Horaz in griechischen Metren, also in Gedichtform geschrieben.
Albius, du aufrichtiger Beurteiler meiner Satiren,
was magst du jetzt treiben dort in der Landschaft von Pedum? Dichtest du Oden, so schön, wie nicht einmal Cassius von Parma sie schuf, oder schlenderst du schweigend
im Schatten heilkräftiger Wälder, erfüllt von Gedanken, wie sie ein weises und edeles Herz bewegen?
Nie warst du bloß Leib ohne Seele.
Die Götter haben dir Wohlgestalt, haben
Wohlstand dir verliehen
und dazu die Kunst des Genießens.
Was könnte die zärtlichste Amme ihrem Liebling noch
Größeres erflehen, der die Gabe hat, mit allen Sinnen zu
empfinden und beredt zu sagen, was er fühlt;
der auch Beliebtheit und Ansehen und Gesundheit in Fülle
hat und einen netten Haushalt nebst einem Geldbeutel,
der nie versiegt?
In all dem Getriebe von Hoffnung und Sorge, von
Ängsten und Ärgernissen nimm einen jeden Tag,
der dir herauf dämmert,
als den letzten: beglückend überrascht dich dann die
Stunde, die unverhofft noch hinzu kommt.
Willst du mal herzhaft lachen, so komm zu mir zu Besuch:
Mich findest du rund und behäbig, in wohl gepflegter
Leiblichkeit, ein richtiges Schweinchen aus
Epikurs Herde!
(Briefe I Nr.4)
*
Dass Horaz sich seines Wertes bewusst war, zeigt folgendes Abschiedslied, fast auch eine Art Grabgesang positiver Art.
Verklärung
Auf starken Schwingen, nie noch gesehen,
schwebe ich, ein zwiegestaltiger Sänger,
durchs Blau des Himmels,
verweile nicht länger auf Erden,
lasse die Städte, entrückt der Missgunst,
zurück.
Ich werde, wenngleich nur armer Eltern Sohn,
den du in deinen Kreis gerufen hast, geliebter Maecen,
und den du nach meinem Tod noch
anrufen wirst, ich werde nie
vergehen, werde nie von den Wellen des
Styx in der Unterwelt eingefangen sein.
…..
Fort mit der Totenklage am leeren Grab,
unwürdige Trauer, misstönender Klagegesang!
Lass deine Wehrufe auf meinen Tod,
spare dir, Maecen, an meinem Grab eine solch
nutzlos-überflüssige Feier!
(Oden II Nr.20)
*
Das Verhältnis zu seinem Freund und Sponsor Maecenas ist unklar. Es schwankt zwischen heftiger Liebe, welche auch in sexuellen Dingen Ratschläge gibt, großer Dankbarkeit und kühler Distanz des Abhängigen. Im Laufe der Jahre überwiegt dann aber doch eher Dankbarkeit und Liebe.(2)
Gleiche Sterne
Was brichst du mir mit Klagen das Herz entzwei?
Kein Gott und auch ich selber will nicht, dass du,
Maecenas, vor mir scheidest, du meines Daseins
erhabene Zier und Stütze!
Ach, raubte dich, du Hälfte meines Ichs, ein früher Tod,
was soll dann ich, die andere Hälfte, noch auf dieser
Welt, von minderem Wert, ein Torso –
alleine?
Nein, derselbe Tag wird einst uns beide niederstrecken.
Es gilt der Schwur, den ich dir sprach: wir gehen,
wir gehen zu zweit; ich folge gewiss, gehst du voran,
entschlossen dir zur letzten Reise als dein Freund und Gefährte.
(Oden II Nr.17)
Dieser Wunsch von Horaz, zusammen mit seinem Freund zu sterben, ein Phänomen, das man gelegentlich bei älteren Ehepaaren beobachten kann, ist tatsächlich eingetreten. Nur wenige Monate nach dem Tod von Maecenas ist auch Horaz 8 v. Chr. gestorben, im 57. Lebensjahr. Wohl nicht durch Freitod; diesen lehnten die Epikureer ab. Nur die Stoiker unterstützten ihn als letzten Ausweg und Zeichen von großer charakterlicher Stärke.
*
Autobiographie
Im zweiten Buch der Briefe schildert Horaz kurz und knapp seinen Lebensweg vom einfachen Sohn eines Freigelassenen über die Mitwirkung im Bürgerkrieg auf der Seite von Marcus Brutus und gegen den Caesar-Rächer Octavian/Augustus bis zu seiner Rehabilitation, die ihn an den Kaiserhof von Augustus und Maecenas geführt hat:
Mir ward das Glück, in Rom aufzuwachsen,
dort lernend zu hören, welches Leid der Zorn des Achill den Griechen einst brachte. Weiter dann führte das liebe
Athen mich auf dem Weg der Bildung; es pflanzte den
Trieb in mich ein, das Krumme vom Geraden zu scheiden,
unter den Bäumen der Akademie nach der
Wahrheit zu forschen.
Doch dann entrückten dem freundlichen Athen mich
härtere Zeiten, trieb mich, dem Kämpfen noch fremd war, des Bürgerkriegs Wut zu den Waffen, die der Gewalt eines
Kaiser Augustus jedoch nicht standhalten konnten.
In der Schlacht von Philippi gab man mir den
Abschied; gestutzt die Flügel, verloren das Haus und das Grundstück des Vaters, erniedrigt kam ich nach
Hause: die Armut machte mich mutig zum
Verse-Schmieden.
……
Stück um Stück rauben jedoch mir eilends die
Jahre: Entführt haben sie mir Frohsinn, Liebe,
die Freuden des Bechers, die Spiele der Jugend.
Nun entwenden sie sogar mir die Leier der
Dichtkunst.
Sag an, wie kann ich mich wehren?
(Briefe II, Nr.2)
Eine andere Art von Autobiographie findet man im 1.Buch der Briefe. Selten habe ich in der Literaturgeschichte eine stilistisch so schöne Form von Autobiografie gefunden. Horaz wendet sich in einem Zwiegespräch an sein eben erst veröffentlichtes Buch:
An mein Buch
Du siehst mir aus, mein Buch,
als schieltest du nach Geld, Markt und Börse.
Ich merke: verkaufen willst du dich.
Du klagst, dass du dich nur so wenigen
zeigen kannst. Du magst die große Welt und
wardst doch nicht dafür erzogen.
Auch dieses Schicksal wartet noch auf dich,
dass du den Knaben in der Vorstadt
Lesen und Schreiben beibringst,
und auch das stammelnde Alter
wird dich treffen.
Hat dann aber einmal der milde Schein der
Abendsonne dir zahlreiche Hörer zugeführt,
so wirst du von mir sprechen, dem Sohn eines
freigelassenen Sklaven aus bescheidenem Haus,
der aus der Enge des Nestes zu höherem Flug sich
aufschwang; und du darfst, was an Herkunft mir abgeht, persönlichem Verdienst mir zugute halten.
Erzähle, dass ich bei den ersten Männern Roms,
im Kriege wie daheim, Anklang gefunden habe;
dass ich von kleinem Wuchs war, früh ergraut,
der Sonnenwärme zugetan, rasch aufbrausend zum
Zorne, doch leicht auch wieder versöhnbar.
Trifft es sich, dass Neugierde dich ausfragt
nach meinem Alter, so lass wissen:
Ich hatte viermal elf Dezember in dem Jahr vollendet,
als Lollius seinem Mitkonsul Lepidus im Amt voran ging.
(Briefe I, Nr.20)
1 Usher : Dance, dance, dance like the last night of your life (DJ Got us falling in Love again, Musikvideo 2011)
2 ich weiß nicht, auf welche literarische Quellen sich der englische Historiker Robert Harris in seinem großen Caesar-Cicero-Roman “Dictator“stützt, wenn er Maecenas als ” weibisch” bezeichnet.
Inhalt gesamt Nr.91