233 Über Mathematik und Kunst (Antwort)
SG, ein Physiker, Mathematiker, Philosoph, Religionswissenschaftler, Islamforscher, Cusanus-Fan, Musiker und… hat sich wieder gemeldet. Vielleicht hat ihn im letzten Blog-Beitrag (Nr. 232) meine “hypostasierte” Nähe von Kunst und Wissenschaft dazu animiert. Die Nähe der Mathematik zur Kunst und letztlich sogar als “der Fels der Metaphysik” ist die Thematik der beiden Beiträge:
Lieber RU,
Ich lese gerade das Buch “Gödel, Einstein und die Folgen” von Palle Yourgrau. Beide waren in Ihrem Sinn Platoniker. Kurt Gödel, der meiner Meinung nach bedeutendste Logiker seit Aristoteles, hat dem Versuch, Mathematik auf Axiome und Formalismus zu gründen, also auf Konstruktionen, durch seinen berühmten Unvollständigkeitssatz den Todesstoß versetzt.
Yourgrau drückt dies viel poetischer aus (Mathematik ist Kunst!):
„Hilbert war also der Moses, der die Mathematik durch die Wüste des Positivismus ins Gelobte Land, in Cantors Paradies, führen wollte. Er wollte die Buchstaben, wenn nicht gar den Geist von Cantors Theorie der unendlichen Mengen in einer Art und Weise erhalten, die sich mit den gestrengen epistemischen Forderungen des Positivismus vereinbaren ließen. (… ) Zwischen Wittgenstein und Hilbert hatten die Positivisten, wie es schien, endlich den Geist der Mathematik zur Ruhe gebettet, welcher der Einverleibung durch ihre Glaubensgemeinschaft so lange hartnäckig widerstanden hatte. Der Geist war aber alles andere als tot, wie Gödel – mitten im Herz des Wittgenstein-Reiches, in Wien – zeigen konnte. Sein Unvollständigkeitssatz war eine Granate, die auf Hilbert geworfen, im Schoß des Positivismus landete.”
Mathematik bleibt der Fels der Metaphysik.-Soweit SG. Stützt sich jetzt die Mathematik auf die Metaphysik oder die Metaphysik auf die Mathematik? Beides klingt jedenfalls ziemlich revolutionär. Zumal weder die einen noch die anderen voneinander überhaupt etwas wissen wollten. Für die meisten Naturwissenschaftler ist Metaphysik nur Hokuspokus. Aber wenn die Mathematik gar keine Naturwissenschaft, sondern “nur” eine Kunst ist?
Es folgt ein von SG gefundenes Zitat aus Bertrand Russells “Study of Mathematics“, das ich anfügen will, welches die Nähe von Mathematik und Kunst thematisiert. In der “Pluralität der Theorien”, besser gesagt der Theorie-Bildungen, um mit Carl Popper zu sprechen, soll es sogar eine Ästhetik der Theorie-Architektur, eine richtige Wissenschafts-Ästhetik, geben.
Ich bin mal wieder auf ein Zitat gestoßen, das die Nähe der Mathematik zur Kunst beschreibt, eines meiner Lieblingsthemen, wie Sie wissen:
“Mathematics, rightly viewed, possesses not only truth, but supreme beauty, a beauty cold and austere, like that of sculpture, without appeal to any part of our weaker nature, without the gorgeous trappings of painting or music, yet sublimely pure, and capable of a stern perfection such as only the greatest art can show. The true spirit of delight, the exaltation, the sense of being more than Man, which is the touchstone of the highest excellence, is to be found in mathematics as surely as in poetry”.
Bertrand Russells, Study of Mathematics