235 Vom Denken VII (Antwort)
Hallo JK, ich widme dir diesen Beitrag, und ich hoffe dass du ihn auch durchlesen wirst! Er ist Ergebnis einer Diskussion, die ich mit PP geführt habe über diese Thematik. Er denkt ein wenig so wie du. Ich schreibe diese Zeilen aus einer starken Sorge heraus, was die Begegnungsfähigkeit, die Kommunikationsfähigkeit in der Zukunft betrifft.
Ein großes Missverständnis dreht sich in meinen Gesprächen mit jungen Leuten immer wieder um den Begriff des Denkens, wie ich ihn verstehe, wenn ich von meiner Sorge spreche um die “Verkümmerung des Denkens“. Manche meiner Gesprächspartner fühlen sich angegriffen. Doch gerade dieses Missverständnis, was das Verstehen des Begriffs “Denken” betrifft, ist bereits deutliches Kennzeichen eines Symptoms. Wenn ich vom Denken spreche, dann nur in dem Sinne, dass das Denken des Denkens, das Nachdenken über das Denken, über Erkenntnisfähigkeit allgemein, über Wahrheit, Moral etc. vernachlässigt wird. Ich verwende damit eine sehr alte Aristoteles-Definition von Philosophie.
Wie richtig oder falsch ist unser Denken? Natürlich – das technische Denken, die Erfindung oder Verbesserung der Apparate und Geräte, die unsere Lebenstüchtigkeit stärken und in ungeahnte Möglichkeiten auszuweiten vermögen, ist erstaunlich. Aber das ist nicht genug: Apparate zu programmieren, sie immer leistungsfähiger, immer schneller zu machen, das ist die eine Seite. Die notwendige eine Seite.
Die andere Seite ist jedoch die lebenspraktische Frage: wozu? Wozu diese Erleichterungen des Lebens, die vielleicht gar keine Erleichterungen sind oder langfristig sein werden? – Wozu und warum überhaupt dieses ganze lange Leben, das sich so wenig vom Aufwachsen und Fortpflanzen der Blumen, der Bäume, der Tiere unterscheidet? – Fortpflanzen, Aufwachsen, Sterben…
Solche Fragen sucht die Frage nach dem Denken auch zu thematisieren, nach seinen Möglichkeiten, seinen Grenzen. Sie kann nur mit allgemeinem Denken und nicht mit Computer-Linguistik beantwortet werden (ich übertreibe, das Fach gibt es wohl noch nicht) . Weniger also über die Art und Weise, wie bessere Computer-Programme geschrieben werden können, wie schnellere Autos, größere Flugzeuge gebaut, die nächste Marslandung geplant werden können. Dies alles ist notwendig und richtig. Ich wiederhole mich.
Aber komplementär dazu wird auch immer wieder und immer dringlicher die Frage: warum das alles? Noch einmal: Wozu auf dem Mars landen, was bringt es dir, was bringt es mir, uns? Manch einer ist doch schon so hinfällig und eingeschränkt, vielleicht sogar schon alt und zum Sterben bereit, als dass ihn solche Fragestellungen überhaupt noch kümmern könnten.
Und trotzdem fragt auch dieser Mensch, diese Nicht-Maschine weiter, er forscht nur in eine andere Richtung, die ihm ebenso sinnvoll und lebens-, vielleicht sogar sterbensnotwendig ist
Exkurs über Verkümmerung und Revitalisierung des Gefühlslebens im deutschen Mann – Blicken wir in einem kleinen Exkurs zurück in unsere Gattungsgeschichte und in die Geschichte unserer Kommunikabilität vor allem als Mann. Wie schwer ist es doch dem deutschen soldatischen Mann nach dem 2.Weltkrieg gefallen, etwas mehr Ehrlichkeit, Direktheit und Authentizität in seine Kommunikation einfließen zu lassen. Das traurige Erbe unserer Nazivergangenheit musste überwunden werden, welches im Verborgenen dennoch weiter gewirkt hat und fort wirkt in Werten wie Pflicht, Gehorsam, strenge Disziplin sogar bis in die Gegenwart: Um überhaupt das Kriegsinferno und den exzessiven repressiven Autoritarismus überstehen zu können, mussten bei vielen Beteiligten Gefühle vollkommen unterdrückt werden.
Also hat man nur noch rationalisiert, alles der Ratio unterworfen im Sinne der Psychoanalyse, das heißt mit Worten alles emotional Unangenehme verdeckt, verdrängt, versteckt. Mann wurde Gefühls-taub selbst für das Phänomen einer emotionalen Verliebung. Was Verliebung ist, das wissen bis heute manche Männer in unserem Land immer noch nicht. Sie kennen Liebe als soziale Verantwortung für Familie und Gesellschaft und Sex als körperliche Aktivität, die Spaß macht, sofern sie nicht zum Leistungssport wird. Aber wie das zusammen geht und was das alles emotional mit Verliebung oder auch Entliebung, mit Familie und Pflicht (ein fast schon ausgestorbener Begriff) zu tun hat, das wissen viele nicht. In unserem Land, muss ich hinzu fügen.
Denn sprachliches Können im Sinne einer Rationalisierung war nicht zuletzt die große Stärke und Spezialität der Deutschen, Jahrhunderte lang eingeübt und mit einem ersten Höhepunkt bei Luther und einem zweiten im preußischen Protestantismus: Begriffe finden für Geist, Sinne, Logik („Wissenschaftlichkeit“) und Philosophie. Darin waren wir fast schon Weltmeister.
Mit dem Ergebnis, dass der Deutsche seit der Aufklärung in Technik, Wissenschaft und “Fortschritt” sehr erfolgreich geworden, erfolgreich geblieben ist (man beachte nur die Exportquoten unserer Wirtschaft immer noch); dass aber sein Gefühlsleben verkümmerte und dass er ab Mitte des 19.Jahrhunderts große Defizite in diesem Bereich und vor allen im pfleglichen Umgang mit den Frauen hatte. Denn auf Frauen trifft das, was ich sage, weniger zu.
Unter dem Einfluss des Feminismus kam dann in den 70er-80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Kehrtwende: Dass mann in einer Begegnung oder Beziehung auch ehrlich und direkt Gefühle benennen und auch anders kommunizieren könne. Das, was andere Völker der Erde, sogar die meisten, scheinbar leicht und häufig in Anspruch nehmen, mussten wir Deutsche(Männer) uns in einem langwierigen und auch schmerzhaften Umerziehungs-Prozess (Kommunikations-Training, Selbsterfahrung, Encountergruppen) aneignen. Kurz: mann musste fühlen lernen, sensibel, emphatisch werden.
Ich denke, dies war in vieler Hinsicht erfolgreich. Der deutsche Mann hat sich tatsächlich geändert, ist weniger soldatisch, er ist menschlicher geworden. Verspielter, emotionaler. Er schiebt sogar den Kinderwagen alleine vor sich hin, wenn seine Frau auf der Arbeit ist.
Über die Verkümmerung von Sprache und Sprechen-Können – Doch jetzt, was geschieht jetzt überall in der Welt? Was bedeutet Verkürzung, “Verkümmerung der Sprache“, über die ich immer wieder schreibe? Verkümmerung bedeutet einmal tatsächlich jetzt wieder die Verkümmerung unseres Gefühlslebens, unserer direkten Körper-Sprache, auch der direkten Begegnung wie oben beschrieben.
Es bedeutet aber auch darüber hinaus zum andern gegenwärtig eine neue und neuartige Verkümmerung sogar unserer rationalen Sprache, der Schrift, des Lesens, des Verstehens und der Verständigung, wie es dergestalt noch nicht in der Welt vorgekommen ist.
Warum? – Wir sitzen vor unseren elektronischen Geräten, gefesselt und in Anspruch genommen von diesen Freunden und Partnern samt ihren neuartigen Fähigkeiten, die manchmal weiter sind als wir. Zumindest geistig.. Dabei verlernen und vergessen wir ganz unseren traditionellen Wortschatz, unsere rationalen Fähigkeiten wie Sprache, Sprechen und Verstehen.
Es gab noch eine gewisse Zeit lang das Telefonieren, wobei man anhand der Intonation der Stimme herausfinden konnte, wie es um die Gefühlslage in dieser Kommunikation, also auch deren Wahrhaftigkeit, bestellt war. Doch mittlerweile wird auch das Telefonieren immer mehr eingeschränkt; fast schaffen es manche Menschen gar nicht mehr zu telefonieren, geschweige denn einem ins Auge zu blicken und mündlich sich auseinander zu setzen. Stattdessen sendet man kurze Nachrichten über das Internet, die in ihrer Oberflächlichkeit schon nicht mehr zu unterbieten sind.
Auch Bücher verschwinden immer mehr, werden durch elektronische Medien ersetzt, die angeblich viel Wissen bereit stellen und uns klug machen. Im Vereinigten Königreich sind sie fast schon so teuer wie ein Luxusgegenstand, was sie ja auch mittlerweile letztlich geworden sind.
Doch ich denke, gerade das Gegenteil von Klugheit wird durch die allgemeine Wikipedisierung eintreten. Denn in der umfassenden und überbordenden Informationsflut tritt das alte philosophische Wahrheits- und Erkenntnisproblem immer deutlicher noch einmal hervor: Was ist Wahrheit, wie funktioniert Erkenntnis? – Die so beliebten Kurznachrichten, die das Telefonieren ersetzen, verkürzen unsere Kommunikation bis zu ihrer letztendlichen Verkümmerung auf reine Oberflächlichkeit. Womit wir wieder beim Beginn unserer Erörterung wären: dass eine verkürzte Kommunikation ein verkümmertes Denken und schließlich auch einen verkümmerten Menschen bewirkt.
Was das bedeutet, kann sich jeder selbst ausdenken. Über das Stichwort Technokratie bis hin zu Cyber-Sex, Roboterisierung, Cloning und Apparate-Terror durch sich selbst steuernde Maschinen habe ich bereits oft genug geschrieben. Dass wir schleichend, aber immer nachdrücklicher durch Maschinen ersetzt, von ihnen beherrscht und gesteuert werden können. Nicht zuletzt auch die Tatsache, dass Texte wie dieser meinige jetzt nicht mehr gelesen, nicht mehr verstanden werden können, nicht mehr verstanden werden wollen. Man scheut die Auseinandersetzung und Mühe. Aber jeden Tag sind -zig Roboter dabei (“Bots”), gerade diese meine Blog-Texte zu analysieren und zu durchforschen. Was mir treuherzig (“Wir leben in einer offenen Gesellschaft”) jeden Morgen in den Statistiken von WordPress mitgeteilt wird.
Die menschliche Begegnung, die idealiter immer eine ganzheitlich-komplexe, also mehrdimensionale und authentische Beziehung darstellt, auch was die Übermittlung von Wahrheit und Gefühl betrifft (siehe oben), ist dabei zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn wir FaceTime oder Skype einschalten und das Lächeln des Gegenüber samt seiner Gefühlszustände immerhin über Bildschirm oder mit Smileys noch zu vermitteln suchen – es ist wenig gegenüber einer persönlichen Begegnung, die in ihrer Ganzheit viel umfassender ist als all das, was die elektronischen Medien vermitteln können. Nichts gegenüber dem Studium eines Buches und dem direkten Austausch darüber im Verstehen und Nichtverstehen.
All dies kommt in der elektronischen Kommunikation mittels SMS, WhatsApp oder E-Mail zu kurz. Denn natürlich ist Kommunikation nur, wenn sich Menschen als Menschen austauschen und zwar auf natürlichem Weg, das heißt idealiter im Spiegel eines Gegenüber. Jemanden sehen, fühlen, beobachten, hören erweitert und erleichtert eine Begegnung ungemein. Kommunikation lebt vom direkten Feedback. Feedback ist der lebensnotwendige Sauerstoff jeder direkten Kommunikation – sprachlich, gestisch, emotional. Ohne Feedback ist eine Kommunikation tot. Alles andere ist künstlich, ja fast schon reine Kunst.
Und: Maschinen können nicht über sich selbst reflektieren. Sie können niemals zu selbst bestimmten Subjekten werden, so hoffe ich jedenfalls. Sie bleiben immer Objekte in der Hand ihrer Programmierer, die scheinbar damit walten und schalten können, wie’s ihnen beliebt, zum Beispiel in Cupertino.
Doch wer programmiert diese Programmierer? – Ich denke, sie wissen es noch nicht einmal selbst.
Inhalt gesamt Nr.91