238 Vom Unheil 2 (Francis Bacon)
Über die Notwendigkeit einer zukünftigen Technokratie
Jeden Morgen begrüßt mich gegenwärtig in einer der großen U-Bahn-PlakatVitrinen ein Gemälde von Francis Bacon. Ich weiß, dass er von den Fachleuten, also unter den Künstlern der Akademien, mit am meisten überhaupt von allen Malern der Gegenwart geschätzt wird. Doch schlimmer und verzweifelter über den Zustand von Welt und Ich kann einen tatsächlich niemand mehr anblicken als wie diese meist halb zerstörten und entmenschlichten, das heißt evolutionär auf eine frühere Entwicklungsstufe zurück geworfenen und zerstörten Gestalten. Mag es nun ein Papst oder ein Penner, eine vollkommen deformierte Frau, ein zwei geschlechtliches Wesen oder auch nur noch ein Klumpen Fleisch sein – der Schrei, der aus diesem geöffneten Mund auf dem Plakat heraus gepresst wird, das ist der Schrei der ganzen gequälten menschlichen Kreatur. Er erinnert einen am ehesten noch und ebenso bedrängend an den Schrei von Edvard Munch oder an die wild sich aufbäumende und vergeblich wehrende Musik in Wolfgang Rihms „Tutuguri“-Spektakel.
Doch wie ist das? – Steht es wirklich so schlimm um unsere Zeit und Gesellschaft? Übertreiben nicht wieder einmal die sensiblen Künstler mit ihren seismographisch Welt und Wirklichkeit ausspähenden Antennen und nehmen sie persönlich dabei nicht auch allzu oft einen schmerzlichen Opfergang dabei mit in Kauf?
Man soll doch positiv denken, nicht wahr. Dieser aus den USA kommenden Sichtweise vertrauen, die sich dem negativen Denken Herbert Marcuses, den Analysen der deutschen Freudomarxisten oder auch dem anarchischen Furor der französischen Philosophen seit den 80er Jahren so erfolgreich entgegen zu stellen wusste. – Geht nicht tatsächlich immer wieder die Sonne auf selbst in der Wüste? Kann uns nicht eine einzige späte Herbstblume oder ein Blick, ein Kuss, eine Musik alles Leid dieser Welt vergessen machen? Ganz zu schweigen von den AblenkungsManövern, die Film, Fernsehen und Computerindustrie bereit halten?
Was sagen die Buddhisten: Alles Leid ist das Ergebnis eines Begehrens. Ohne Begehren keine Frustration, keine Enttäuschung, kein Leid. Oder die Römer, die Stoiker: Ohne Furcht und Hoffnung sollen wir leben und über das Unabänderliche soll man sich keine Gedanken machen…
Doch machen wir einen großen Schritt in die Zukunft, vielleicht mehrere hundert Jahre später. Wie wird man auf dieses unser Zeitalter zurück blicken? Gleichgültig, welche Augen-Kameras, vernetzten Gehirne oder Maschinen das dann sein werden. Vielleicht hat die Evolution oder das Schicksal tatsächlich zu diesem Zeitpunkt bereits schon eine neue EntwicklungsStufe erreicht. Sich selbst steuernde und verbessernde intelligente Maschinen, die sogar zur Fortpflanzung fähig sein werden, werden eine so altbackene Spezies Mensch wie dich und mich bereits abgelöst haben wie damals die Menschheit die Affen.
Ich denke, diese neue Gattung wird mit Schaudern und voller Verachtung auf unser Zeitalter zurück blicken, auf Städte und Trümmerberge mit zahllosen Toten, auf die Versuche zur Ausrottung ganzer Menschenpopulationen, die Produktion von immer gefährlicheren Waffen und Tötungsmaschinerien fast bis zum no return. Dass diesem Morden und Töten und Abschlachten aus welchen Gründen auch immer und in einer epochalen Umwandlung wie zur Zeit des frühen Christentums endlich Einhalt geboten werden musste. Doch mit welchen Mitteln?
Ich denke, man wird letztendlich die Nützlichkeit einer von mir immer so skeptisch und negativ beschriebenen Technokratie als ultima ratio einsehen müssen, eingesehen haben. Dass sogar Skinners Verdikt (er ist der Urvater der Verhaltenstheorie und des Behaviorismus) gegen unsere idealistischen Illusionen von “Freiheit und Menschenwürde”(“Jenseits von Freiheit und Menschenwürde” heißt sein diesbezügliches Buch) selbst mich allmählich überzeugt und vom Saulus zum Paulus gemacht hat. Dass die menschliche Aggressivität mit subtilen Manipulationsmethoden, die die gegenwärtigen um ein Vielfaches noch übersteigen werden, bekämpft und eliminiert werden muss. Und das gelingt nur mit den Mitteln einer hochgradig entwickelten Technokratie, welche die Herrschaft von Robotern ebenfalls nicht mehr ausschließt, sondern sogar einschließt und unterstützt.
Mein Glaube an die nützliche Freiheit des Menschen, an seinen Willen zur Selbst- und Mitbestimmung mag tatsächlich eine fatale Illusion gewesen sein. Dass diese sogenannte Freiheit, selbst im Sinne des Neoliberalismus verstanden, dem Menschengeschlecht, wie manche Sozialingenieure jetzt schon glauben und propagieren, das Gegenteil von Glück und Wohlleben gebracht hat. Es scheint also an der Zeit, mit technologischen Mitteln, mit Forschung und Wissenschaft intelligente Maschinen zu konstruieren, die uns zu einem friedlichen und unaggressiven Wesen, einem „Ding“(Objekt) machen, die sein Verhalten unbemerkt steuern und manipulieren können. Damit der Mensch endlich passiv werde und mit seinen fehl geleiteten Aktivitäten nicht in mörderischen Totschlagaktionen, wie sie gegenwärtig weiterhin geschehen, das ganze Menschengeschlecht zu Grunde richtet. Der Satz “Ich möchte nicht mehr ich sagen können” macht dann tatsächlich einen großen Sinn.
Doch wer oder was steuert dann unser Ich und unser Verhalten, das sich in einer glücklichen ich-losen Statik, in einer wohlig unaggressiven Passivität befinden wird? Wer wird dieser Programmierer eines neuen Glücks, dieser neuen Art von Menschlichkeit und Aggressionsfreiheit sein, der vielleicht sogar das Sterben einmal abschaffen können wird?
Auch die Ameisen wissen nichts vom Menschen, der ihr Gott und Schicksal sein kann. Ebensowenig dürfen auch wir von diesen neuen Übermenschen, die uns steuern und die Evolution vielleicht einen Schritt weiter bringen werden, etwas wissen. Sonst würden wir nämlich bereits als “die letzten Menschen” zu früh dazu gehören und dieses unser neu erworbene Wissen würde für uns nur wieder zu einer unerträglichen Qual des Neubeginns werden, der Newcomer und Eroberer, Erforscher und Gestalter einer neuen Zeit, einer anderen Welt, in welcher der Begriff „Mensch“ ganz neu gedacht und definiert oder sogar – ganz abgeschafft werden muss von diesem großen Demiurgen. Jenseits von Mensch und Menschlichkeit, das propagiert der neue Trans-Humanismus, der sich bereits in einigen Ländern unserer Welt entwickelt.
Siehe auch meine vor etlichen Jahren bereits geschriebene utopische Fiktion im Blog Nr.36: “Die Stahlstadt”
“Vom Unheil” (1) im Blog die Nummer 219