239 Über Popmusik (7) – The Who
The Who
The Who sind zusammen mit den Beatles, Rolling Stones, den Kinks und Bob Dylan die eigentlichen Erfinder und Weiterentwickler der internationalen Popmusik. Von diesen Gruppen gingen im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Seitenwege aus, die jeweils neue Richtungen innerhalb dieser großen und einflussreichen Kultur begründet haben. Bis in die Gegenwart hinein. Immer wieder wird man in vieler Hinsicht Wurzeln bei den oben Genannten finden.
Bob Dylan, gerade erst mit dem Nobelpreis geadelt, hat mit seiner lapidaren Pop-Dichtkunst die Szene zumindest text- und sprachlich stark beeinflusst. Zwar wenig innovativ, was Stil und Form betrifft (ich habe bereits über Beat- und Pop-Lyrik im Blog Nr. 223 geschrieben). Aber er hat es dennoch neben John Lennon als bester geschafft, den Zeitgeist der späten sechziger und frühen siebziger Jahre mit ihrem Aufbruch in eine andere Welt und ihrer starken und bis in die Gegenwart hinein wirkenden pazifistisch ausgerichteten grün-bunten Bewegung in Worte zu fassen. Diese Worte, manche dieser mächtigen Sprach-Bilder gehen wesentlich auf den anglo-polnischen Autor Joseph Conrad zurück, dessen Bücher zumindest sprach-stilistisch im Sinne des Symbolismus um 1900 sehr zu empfehlen sind und bis in die Gegenwart hinein sogar die deutschsprachige Pop-Kultur immer noch beeinflussen (1).
Behind Blue Eyes, ein Lied von Pete Townshend, dem Gründer der Gruppe The Who, lerne ich kennen und mitlesen auf der Shazam-App. Ich bin überrascht über die tiefe und melancholisch-verzweifelte Aggressivität dieses Songs, der in seiner instrumentalen und musikalischen Pop-Lapidarität doch auch wieder mildernd wirkt. Er schlägt nicht blindwütig drauf los wie später die Punks oder Heavy Metal-Bands. Ich denke gleichzeitig an Townshends Londoner Anklage wegen Besitz von Kinderpornografie im Jahr 2003. Seitdem war er für mich, anscheinend sexuell altersschwach und senil geworden, verloren und vergessen.
Dann lese ich jetzt, mehr als 13 Jahre später, nach, dass alles nur unbegründet war und wohl von Feinden als Fake in die Welt gesetzt worden ist, um dem Künstler zu schaden – auch das gibt es alles bei Personen im Rampenlicht und direkt neben dem Rotlichtmilieu. Jetzt kann ich, so glaubte ich, diesen seinen wilden Text besser verstehen mit seiner heftigen Wut und dem existenziellen Schrei nach Rache. – Dann lese und erfahre ich jedoch, dass dieses Lied schon von 1971 stammt, das heißt also weit vor dieser Londoner Affaire und Anklage. Mein biografischer Interpretationsansatz war also ganz falsch und unzutreffend. Zurück bleibt nur noch die These der künstlerischen Bearbeitung von Wut und Aggressivität, wahrscheinlich bei Townshend ausgelöst wegen einer Trennung oder einer Liebes-Affäre.
Im Folgenden habe ich eine freie Nachdichtung versucht, die ebenso sehr gebrochene Wut und Aggressivität zum Ausdruck bringen soll.
1 Ein sehr subjektiver LeseTipp von mir, der meine Fernweh- und Schiffe-Leidenschaft das ganze Leben lang begleitet hat: Joseph Conrads “Lord Jim“. – Auch die Erzählung “Der geheime Teilhaber” mag für solche Menschen im Sinne Platons interessant sein, die der anderen Hälfte ihres Ichs, sei es als Ergänzung, sei es als Spiegel, nicht nur in Platons im Weltall taumelnden Kugeln begegnen wollen (vgl. Blog Nr.180, “Symposion“).
2 „Behind Blue Eyes“ in der Fassung von Limp Bizkit aus dem Jahre 2003 (4.28’). – Besonders schön in dieser Fassung die gesprochene Einblendung einiger hermetischer Buchstaben, deren Rätsel bis heute noch nicht gelöst worden ist.
*
Blaue Augen
Schlecht sein und
traurig hinter diesen blauen
Augen steht der
Hass all deiner
Lügen
So leer meine
Träume nicht mein
Gewissen einsam zur Rache
ist jetzt Liebe geworden
ganz ohne Freiheit, AR
Diese Gefühle kennt
niemand du warst es nur
Du niemand versteckt so diese
Wut meine Pein bewirkt
nichts
Misshandelt und verteidigt
werden zu müssen hinter diesen
blauen Augen Entschuldigung
nicht so schlimm
(laut) doch!
Schlecht sein traurig
sein hinter meinen blauen
Augen blickt ein
Hass auf all diese /
(Freie Nachdichtung von Pete Townshends „Behind Blue Eyes“ aus dem Jahre 1971)