241 Über Popmusik (9) – 80er Jahre
Alle Popgruppen beschäftigen sich – im Gegensatz zu “Hoher Kunst” – meist nur mit einigen wenigen Fragestellungen, die aber für uns Normalsterbliche wesentlich und existenziell sind. Es sind dies die Fragen nach Liebe und Zusammenleben, nach Geld verdienen und Wohlstand, manchmal nach Politik, manchmal auch nach Religion. Das macht den Erfolg der Popmusik international aus und damit trifft sie auch das Herz und Hauptanliegen von Kunst, womit sich diese seit Menschengedenken beschäftigt: Wie man ein Leben leben soll, leben kann, vielleicht sogar leben muss. Die philosophische Ästhetik formuliert: Kunst beschäftigt sich mit einem Leben, wie es ist, sein könnte, sein sollte. Wer mich also fragt, was ist Kunst und wozu (Hallo WR! ) – das wäre meine Antwort, sogar alle Kunst betreffend. Die formale Gestaltung bei der Beantwortung der Frage, also das, was viele unter “Kunst” verstehen (sollen, müssen, dürfen?), ist m.E. zweitrangig. “Kunst für die Kunst” zu machen scheint überflüssig zu sein, auch wenn ich es gelegentlich doch auch so mache. Vielleicht sogar jetzt (seufz).
Popsongs, die das Begehren und den Sex ansprechen, quasi “ansingen” (“let’s get physical“), kommen meistens aus den Tanzschuppen und sind auch für diese Tanzhallen und das Tanzen gedacht. Mir ist nicht vorstellbar, wie ein Lied, das zum sexuellen Begehren aufruft, ja über Verfallenheit und Zwang spricht, in einer ruhigen, melancholischen Form und Rhythmik daher kommen kann.
Umgekehrt sind jedoch Lieder, welche die Liebe als soziales Phänomen mit Treue, Sehnsucht, Durchhaltevermögen und Verantwortung auffassen, mittlerweile so abgegriffen und so voll von Unglaubwürdigkeit und falschen Versprechungen, dass diese Art von Liebessongs m.E. schädlicher noch sein kann für die Allgemeinheit samt Allgemeinbildung als die Werbung für einen One Night Stand. Diese Mainstream-Songs schildern einen hoffnungsfrohen Lebensweg voller Märchenprinzen in Märchen-Schlössern, sie schwadronieren von ewiger Treue, als wenn eine lebenslange Ehe mit Kindern und Familie nicht eine mittlerweile große Herausforderung sein könnte, die gerade die Person, die singt, am wenigsten durchzustehen bereit ist.
Wegen der Sprach-Barriere ganz vergessen wird meist auch der oft latent vorhandene religiöse und moralische Charakter vieler Lieder. Das mag in manchen Bereichen bis zur christlichen Dogmatik gehen, dann aber auch bis hin zum östlichen Buddhismus oder Atheismus. Was moralische Fragen betrifft, gibt es in der Pop-Kultur keine Grenzen: Es gibt Lieder, die zum glücklichen Ehebruch aufrufen und es gibt Liebende, die sich ewige Treue schwören („bis dass…“).
Was die religiösen Botschaften angeht, so schleicht sich dann und wann sogar ein fundamentalistischer Ton auch in diese Art von Kunst hinein, zumal sie ja einen Großteil der Bevölkerung erreicht und steuert. Zahlreiche christliche Sekten in den USA, auch in Großbritannien, sind mittlerweile unglaubwürdig geworden, ja geradezu schädlich, vor allem wenn es um eine rigide durchzusetzende Moral geht.
Zur Abwechslung stelle ich heute einmal ein Lied aus der unheilschwangeren Nach-Hippie-Ära vor, ein Lied, das sogar auf uralte religiöse Mythen zurückgreift. Der Song der weniger bekannten amerikanischen Band The Hooters stammt aus der zweiten Liga der Popmusik und ist alt-testamentarisch geprägt. D.h. er kann neben dem christlichen auch einen jüdisch-muslimischen Ursprung haben, aber er passt in unsere Zeit. Das Lied ist in den apokalyptischen 80er Jahren entstanden, wo man über kurz oder lang mit einer Atomkatastrophe gerechnet und kurz vor dem Weltkrieg und Weltuntergang sich gesehen hat.
Der Song kritisiert, der Zeitstimmung entsprechend, die Mächtigen, die auf ihren “hohen Plätzen“ neben dem Goldenen Kalb thronen, ihre Selbstherrlichkeit, mit welcher sie die weniger Mächtigen auf den Straßen, vor allen die Andersartigen und Under Dogs ablehnen und ausschließen (Achtung Interpretation!). Aber auch sie sind wie alle anderen zu Halb-Toten, zu Zombies geworden.
Die Gebote, die Moses seinem Volk mit auf den Weg gegeben hat, sind in Stücke zerbrochen. Niemand beachtet sie mehr. Übrig bleiben in unserer Gesellschaft, die dem Untergang geweiht scheint wie zu Noahs Zeiten (wo ist unsere Arche heute?), nur noch Zombies und Underdogs, die in ihren dunklen Verstecken wie blind dahin vegetieren. Sogar den Tanz ums Goldene Kalb mit Geld- und Lust-Verfallenheit hat man scheinbar aufgegeben.
Die Musik ist wie immer einfach, lapidar, wenige modale Akkorde nur, sich immer wiederholend mit dem einen Unterschied, dass der Sound dann und wann wechselt. Auch die typische Popkadenz T, D, DoppelD kann exemplarisch studiert werden. Sie hat die traditionelle Kadenz T, S, D mittlerweile in vielen Popsongs ersetzt. Die Popmusik meidet sie wie der Teufel das Weihwasser. Auffallend jedoch der klagende Gesang und die jaulende Virtuosität der elektrischen Gitarre samt den dorischen Kadenzen als rhythmisches Hauptmotiv der heftigen Hardrock-Bassgitarre.
Zombies 1
Moses trifft den Pharao,
Schaut ihm in die Augen,
Spricht ihn direkt an:
Lass mein Volk gehn!
Moses auf dem Berg,
Hoch über dem Goldenen Kalb,
Gibt die Zehn Gebote,
Bricht die Tafeln in zwei Teile
All ihr Zombies, versteckt eure Gesichter
All ihr Leute auf der Straße
All ihr in den hohen Positionen –
Diese Teile werden auf euch fallen!
Niemand zuvor hat mit Noah geredet
Alle haben nur über ihn gelacht
Er arbeitet an seiner Arche
Ganz alleine
Nur er sah die Flut kommen
40 Tage und 40 Nächte
Seine Söhne und Töchter nahm er mit, die Israeliten
All ihr Zombies, versteckt eure Gesichter
All ihr Leute auf der Straße
All ihr in den hohen Positionen –
Die Flut wird euch noch überschwemmen!
Gottvater, was ist los?
Wo sind deine Kinder?
Sitzen im Dunkeln beieinander
Brauchen sich doch nicht zu verstecken!
All ihr Zombies, zeigt eure Gesichter
All ihr Leute auf der Straße
All ihr in den hohen Positionen –
Die Gesetzestafeln werden alle noch auf euch fallen!
All ihr Zombies, zeigt eure Gesichter –
Ich seh’ euch doch!
All ihr Leute auf der Straße –
Zeigt euch!
All ihr in den hohen Positionen –
Der Himmel wird noch über euch zusammen brechen !
1 The Hooters, “All you Zombies” (1985)