243 Über Gut und Schlecht (Lukian 7)
Demokrit und Heraklit
Dass es gut und schlecht gleichzeitig immer wieder geben kann, das zeigen die skeptischen Isosthenien. Dass es aber auch gleichzeitig zwei gegensätzliche Schulen dazu gibt, das zeigt die antike Philosophiegeschichte.
Es gibt einen Philosophen des Lachens und einen des Weinens. Der erste ist der Vorsokratiker Demokrit, der Lacher. Der zweite, weitaus berühmtere, ist Heraklit, der Schwarzseher. Er war ebenfalls älter als Platon, also auch ein Vorsokratiker.
Von Demokrit wird berichtet, dass er alles in der Welt, Handlungen, Weisheiten und Ziele des Menschen so lächerlich findet, dass man nur noch darüber lachen könne. Er hält die stoische Lebensweise, ohne Furcht und Hoffnung zu leben, für falsch und strebt stattdessen eine gelassene Lebenshaltung an (“Wohlgemutetheit”) ähnlich wie später Epikurs Ataraxie: sich an den schönen Dingen des Lebens zu erfreuen und allem anderen aus dem Wege zu gehen. Er soll 100 Jahre alt geworden sein.
Heraklit hingegen ist ein Schwarzseher. In der Erkenntnis-theorie einflussreich bis auf den heutigen Tag mit seiner Dialektik, dass alles aus Gegensätzen bestehe, die sich gegenseitig bedingten (siehe auch Blog Nr.192). Alles befindet sich in einem ständigen Fluss der Bewegung von Werden und Vergehen. Das Sein entsteht durch das Werden und geht wieder zurück ins Nichts. Sein und Nichts, Leben und Tod bedingen einander. Isosthenien sind eine Weiterentwicklung dieses Gedankens: zum Sein wie zum Nichts: zum Leben wie zum Tod entstehen immer wieder neue Gegensätze, so dass sich alles in einem Chaos der Mischungen und Gleichwertigkeiten befindet. Wie man sich dort zuRrecht finden kann, genau das ist für uns Menschen die schwierige Frage von Denken, Entscheidungsfindung und Lebensform.
Wegen seiner kryptisch-verschlüsselten Sprache und schweren Verständlichkeit wird Heraklit bereits im Altertum als “der Dunkle” bezeichnet. Gleichwohl hat er nicht zuletzt auch auf Hegel und Marx einen großen Einfluss ausgeübt.
Außerdem ist er ein richtiger Apokalyptiker, ein Kassandrist: Alles laufe letztendlich auf den Untergang der Welt hinaus, die wie ein Feuerball verglühen müsse – womit er sogar aktuelle Prognosen bereits 2500 Jahre früher vorweggenommen hat.
In der Antike tauchen beide Philosophen immer wie ein Zwillingspaar auf, was nicht zuletzt die dialektische Theorie Hetaklits nur wieder zu bestätigen scheint.
Verkäufer: So tretet hervor! Da biete ich euch ein paar herrliche Charaktere an! Ich halte sie für die zwei weisesten Menschen in meiner ganzen Sammlung.
Käufer: Großer Jupiter! Welch ein Kontrast! Der eine lacht ohne aufzuhören, und dem anderen muss etwas sehr Liebes gestorben sein, denn er weint an einem Stück. Hallo guter Freund, worüber lachst du so?
Demokrit: Du kannst noch fragen? Weil ich alle eure Dinge und euch selbst auch nur noch lächerlich finden kann.
Käufer: Wie? Du lachst uns alle aus und siehst alle menschlichen Dinge als vollkommen unbedeutend an?
Demokrit: So ist es; es ist überall nichts Gescheites daran, alles ist nur ein zufälliger Atomentanz im unendlichen Leeren.
Käufer: Du magst mir wohl selbst ein leerer Kopf und ein großer Schwätzer sein. Was für eine Beleidigung das ist. Wird das Lachen und Auslachen kein Ende nehmen?
Aber du, ehrlicher Mann (denn mit dir, hoffe ich, wird sich doch noch ein vernünftiges Wort reden lassen), warum weinst du?
Heraklit: Weil ich das Los der Menschen jämmerlich finde. Alles, vom kleinsten bis zum größten, ist der Hinfälligkeit und dem Tod unterworfen. Das menschliche Leben ist in meinen Augen ein immer währender Leichenzug und die Erde ein immer offenes Grab.
Die Gegenwart mag ja noch hingehen: aber was in der Zukunft bevorsteht, ist äußerst traurig. Ich meine den allgemeinen Weltenbrandt, der das Ganze zerstören wird. Das ist es, was ich bejammere. Und dass es nichts Beständiges in der Natur gibt, sondern alles sich in einem ewigen Durcheinander mischt: Vergnügen und Schmerz, Wissen und Unwissenheit, Großes und Kleines, das Oberste und das Unterste im Grunde immer dasselbe sind. Kurz, dass in dem Kinderspiel der Zeit alles sich verändert, kommt und geht und alle Dinge ohne Plan und Endzweck sich mischen und wechseln.
Käufer: Was ist denn dann die Zeit?
Heraklit: Ein Kind, das mit Steinen spielt und ohne Ziel sinnlos hin und her läuft.
Käufer: Und was sind die Menschen?
Heraklit: Sterbliche Götter.
Käufer: Und die Götter?
Heraklit: Unsterbliche Menschen.
Käufer: Du sprichst ja nur lauter Rätsel, guter Freund; man wird aus deiner Rede nicht klüger als aus dem Orakel von Delphi.
Heraklit: Weil ihr mich nichts angeht und ich mich um euch nicht kümmere.
Käufer: So wird dich auch kein vernünftiger Mensch kaufen.
Heraklit: ihr könnt meinetwegen alle, so wie Ihr da seid, Käufer und Nicht-Käufer, zum Henker gehen!
Käufer: Der arme Mann ist krank, er hat die Milzsucht schon in einem hohen Grade. Ich für meinen Teil kann keinen von den beiden hier brauchen.
Verkäufer: Die beiden werden also auch unverkauft bleiben.
(Auch Aristipp, der Anhänger von Wohlleben, Geld und Luxus konnte nicht verkauft werden)
1 Lukian „Werke“, Aufbau Berlin 1981(Wieland-Übersetzung)
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