244 Über Popmusik 10 – David Bowie
David Bowie gehörte nie so recht zu meinen Favoriten in der Pop-Kultur. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands und Stars hat mich nie ein Live-Auftritt interessiert. Weder mochte ich seine dünne falsettierende Stimme noch sein androgyn-theatralisches Gehabe, das zu den späten 70ern passte und das gerade Bowie selbstbewusst verbreitete. Alle drei folgenden Lieder standen im Umkreis der Emanzipationsbewegung der Geschlechter und sie haben, ich muss es zugeben, die Pop-Musikgeschichte bereichert. Aus verschiedenen Gründen, die mehr im Politisch-Sozialen als im Musikalischen liegen.
Absolute Beginners (1986)
Wer von uns war nicht schon einmal ein völliger Anfänger, ein absoluter Beginner?
Jeder! – Ob beim Braten des Spiegeleies, dem Autofahren, Gedichte-lernen-Müssen oder im Sex.
Ein Liebeslied mit diesem Eingeständnis zu beginnen, das scheint verführerisch. Ich kann es nicht, gesteht man treuherzig dem Gegenüber, und du vielleicht auch nicht. Wenn doch, dann umso besser für uns beide. Auch wenn wir nur wenig anzubieten haben – wir wollen einfach mehr nicht. Und: Es gibt keinen Grund, harte Zeiten zu beklagen, wenn man verliebt ist.
Wenn in diesem Liebeslied dann auch noch bewusst die Filmwelt ins Spiel gebracht wird (über Berge und Herzeleid hinweg fliegen können „wie im Film“, die Augen offen halten, „den Ozean anlachen”) und dabei auch noch eine gute Portion Realismus mitschwingt, nämlich das Wissen darüber, dass es gerade nicht so sein kann, wie es uns die Filme versprechen – dann ist zumindest mental fast alles erreicht. Unser kritisches Bewusstsein, das der Lebenswirklichkeit doch immer noch reichlich skeptisch gegenüber steht, nicht wahr, ist zufrieden gestellt ( Puh, was für eine Einleitung!).
Wenn dann auch noch eine zündende Tanzmusik im Hintergrund mitschwingt, das Saxophon quäkt und schreit, eine Frauenstimme den Refrain verdoppelt, eine Strophe auf die andere in schöner Reihenfolge folgt und solange man sich auch noch anlächeln kann – dann ist ein Lied geboren, das unser Herz erreicht (seufz) und mit welchem wir nur allzu viel anfangen können. Denn wie heißt es so schön im Text: “Deine Liebe ist auch meine Liebe” – Gleiches wollen und nicht wollen, sagten die alten Römer. Oder auch (im rituellen Heiratsversprechen bei der Eheschließung): Habemus Cestum Veneris – wir besitzen den Gürtel der Venus (und werden ihn öffnen beim Sex).
Einen Wermutstropfen gilt es gleichwohl in dieser süßen Suppe auszuhalten: Weder Text noch Musik stammen von David Bowie; Paul John Weller ist der Erfinder dieses Hits. So schreibt es wenigstens die Shazam-App. Dennoch wird Bowie wie immer im Sound kräftig mitgemischt haben, nicht zuletzt auch mit seiner androgynen Performance in den Video-Shows.
Asche zu Asche (1980)
Auch dieses Lied ist zum Standard der Popmusik-Geschichte geworden. Einmal wegen seinem Bezug zu David Bowies spektakulärem Ziggy Stardast ScienceFiction-Film, in welchem ebenfalls ein Major Tom vorkommt und die ganze Glitter- und Transvestitenwelt ihren ersten Höhepunkt erreicht hatte. Zum anderen wegen seiner Drogen-Thematik. Ich kenne keinen anderen Song, der dieses Thema so eindringlich, poetisch verschlüsselt wie auch direkt („Major Tom is a junkie“} in den Mittelpunkt rückt. Selbst Lou Reeds „Heroin be the death of me“ erreicht nicht die Stärke und Intensität dieses Liedes.
Inhaltlich ist der Song reichlich gebrochen-konfus und er spiegelt wie das Heroes-Lied auch biografisch Bowies Drogen-und Liebesleben von 1976-79 in Berlin. Da gibt es eine Stimme aus dem Weltall, die Bodenstation kommentiert, eine besorgte Mutter spricht, treuherzig bekennt der Protagonist: „Ich habe nie Gutes getan, nie Schlechtes, und ich handelte auch niemals unüberlegt “ – er hat funktioniert wie wir alle auch. Eingesperrt in ein labyrinthisches und sich selbst steuerndes Gefüge im Stile Kafkas oder Herbert Marcuses lebt man unauffällig und reibungslos schließlich in einem immer währenden Tief, woraus Drogen einen am wenigsten befreien können. Auch die Musik wendet sich resignierend mit ihren drei Tönen dem Boden zu („all-time low“).
Dann dieser LiedTitel! – Wer von uns Kirchgängern kennt nicht das lateinische “homo quia pulveris es et in pulverem reverteris” – Mensch, Staub bist du und zum Staub wirst die wieder zurückkehren. Dann ist „Asche“ doch noch eine viel härtere und fast schon brutale Formulierung, die vielleicht an ein brennendes Heroin-Inferno erinnern will, das diese Krankheit schließlich zum tödlichen Ende hat kommen lassen bei manchen Süchtigen, auch in der Popmusik.
In der Erinnerung geblieben ist mir immer wieder auch der Synthesizer-Beginn mit den wenigen piepsenden Synthesizer-Tönen, die an japanische Musik erinnern, gefolgt von Bowies dünnem und fast weinerlichem Falsett.
Heroes (1977)
Was war die Berliner Mauer doch für eine von uns Deutschen errichtete Schande! Mit jedem Abschied aus Berlin begleitete mich ein Hass auf eine solche Art von Politik und auf ein solches System, das seine Bürger derart „schützen“ musste! Ich erinnere mich an die Zustände im Bahnhof Zoo, der einzigen Bahnstation zum Aus- und Einstieg in West-Berlin. Da dieser Bahnhof als notwendiger Solitär im Westen unter ostdeutscher Verwaltung stand, doch unerreichbar für Ostdeutsche, kümmerte sich niemand um seinen Zustand. Er verrottete und zerfiel zusehends und spektakulär. Obdachlose, Heroin-Junkies, provokativ sich dauerküssende Stricher und Andersartige – ein solcher Brennpunkt war weltweit wohl nicht oder nur noch im Film zu finden. Dann die riesige Mauer, die heute als Museumsbau gar nicht mehr in ihrer gewalttätigen Macht wieder erkennbar ist, Selbstschuss-Anlagen, Stacheldraht, Maschinengewehre und VoPos (Volkspolizisten) hinter der allgegenwärtigen Grenze – Berlin war trotz allem oder gerade auch deswegen ein Spektakel und Faszinosum für etliche Künstler der Welt und vor allem der Popkultur.
In seinem Lied stilisiert Bowie zwar die in einer solchen Stadt Lebenden zu „Helden“, wenn auch nur für einen Tag, „Schüsse peitschen die Luft“ und begleiten die Küsse der beiden Liebenden vor einem makabren Mauer-Hintergrund. Aber geändert hat sich lange Zeit nichts. Die Schande („shame“) auf der anderen Seite dauerte an und blieb bis 1989 und auch noch darüber hinaus. Berlin, das war viele Jahre lang ein ambivalentes Delirium von Lust, Gefangenschaft und Leid.
Die Tanzmusik im Lied versucht diese gebrochen dahin treibende und bunt schimmernde Welt zu konterkarieren, vergessen zu machen. Vergeblich – die Gewalt der Gewehre, der totale Überwachungsstaat und eine schlechte Politik können von einer klagenden und gegen Ende verzweifelt schreienden Stimme mit noch so vielen „Helden“ voll Liebe und Sehnsucht eben nicht aus der Welt geschafft werden. Das Lied, in einer anderen Aufnahme sogar von Bowie teilweise in Deutsch gesungen, bleibt in seiner Intensität jedoch ein trauriges Dokument für einen politischen Weg, wenn nicht sogar Wahnsinn, wie er sich permanent immer noch wiederholt und das bis in die unmittelbare Gegenwart hinein.
Welche Künstler der zeitgenössischen akademischen Klassik und Kunstmusik haben sich je mit dieser Berliner Zeit und Republik, die vielleicht sogar noch schlimmer als die 30er Jahre war, auseinander gesetzt? – Ich kenne niemanden. Nur noch die deutsche Gruppe Alphaville hat dieser damals so dekadent glitzernden Stadt mit ihrer LP „Forever Young“ (1984) einen weiteren eindringlichen Erinnerungsstein gesetzt. Bowie hat sich mit den drei vorgestellten Liedern, eine richtige Zeit-Trilogie, vielleicht unsterblich in der Popmusik-Geschichte gemacht. Selbst wenn sein Können und seine Innovationskraft nicht so stark gewesen sein mögen. Als ein Zeugnis der Zeit werden diese Lieder jedoch unvergesslich bleiben. Unvergesslich wie die autoritäre Gewaltherrschaft in und um Berlin.